hier Tagesschau 22.04.2023 Von Barbara Lindahl, SR
Solaranlagen auf Äckern und Weiden
Mit Photovoltaikanlagen können Landwirte ihre Flächen zweifach nutzen: Als Agrarland und zur Stromproduktion. Bislang mussten interessierte Bauern jedoch gegen teils heftige Widerstände kämpfen. Das könnte sich nun ändern.
Es wurde vor Ertragseinbußen gewarnt, vor Zeitverlust, Mehrarbeit und Ausschlachtung landwirtschaftlicher Nutzflächen. Immer neue Gegenargumente und mehrere Jahre Wartezeit haben Landwirt Jörg Hussong nicht abgeschreckt. Seit 2018 wollte er auf seinem Hof im saarländischen Steinbach eine Agri-Photovoltaikanlage installieren. Bei diesen neuartigen Anlagen kann die Fläche doppelt genutzt werden - für Landwirtschaft und gleichzeitig zur Stromerzeugung. Doch Befürworter und Gegner lieferten sich jahrelang einen heftigen Schlagabtausch, Blockadeverhalten inklusive.
Hussong hat den Hof 1993 von seinem Vater übernommen. Rund 140 Aberdeen-Angus-Rinder grasen auf seinen Weiden. Doch die Erträge in der Landwirtschaft unterliegen häufig hohen Schwankungen. Auch deswegen kam der 60-Jährige auf die Idee, rund um seinen Hof Agri-Photovoltaikanlagen zu errichten, um mit den Mehreinnahmen seinen Betrieb langfristig zu sichern. Der Vorteil: Die Flächen können weiterhin auch landwirtschaftlich genutzt werden. In diesem Fall als Rinderweide mit Obstbäumen - und gleichzeitig zur Stromerzeugung.
Senkrecht stehende Solarpanele
Er bewirtschaftet etwa 140 Hektar, Eigentum und gepachtete Flächen. Auf zwölf Hektar eigenem Grund soll die Agri-PV installiert werden. Damit seine Rinder zwischen den Sonnenstrom-Panelen weiden können, kommen senkrecht stehende Module zum Einsatz. Die fangen die Sonnenstrahlen auf Vorder- und Rückseite ein und sind nach Osten und Westen ausgerichtet, produzieren Strom vorwiegend vor- und nachmittags. Da diese Panele relativ weit auseinander stehen, kann der Landwirt mit seinem Traktor hindurchfahren und auf 90 Prozent der Fläche weiterhin Landwirtschaft betreiben.
Deutschlandweit sind fünf Agri-PV-Anlagen zu Forschungszwecken in Betrieb, so ein Sprecher des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Im saarländischen Dirmingen steht seit 2018 eine Anlage auf einer Fläche von zehn Hektar mit einer Leistung von 2,4 Megawatt. Laut einer ersten Abschätzung des Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme liegt das Potenzial der Agri-PV in Deutschland bei rund 1700 Gigawatt.
Droht der Verlust von Pachtflächen?
Das Vorhaben von Landwirt Hussong wurde seit 2018 blockiert. Ausgerechnet die saarländische Landwirtschaftskammer verweigerte jahrelang die Zustimmung zu seinem Projekt. Auf einer Vollversammlung im Jahr 2012 hatte sie beschlossen, dass PV-Anlagen nicht auf sogenannten Vorrangflächen gebaut werden dürften. Landwirtschaftliche Vorrangflächen sind nur einem einzigen Zweck vorbehalten - der Landwirtschaft - und können deshalb nicht bebaut werden, egal womit.
Franz-Josef Eberl, der Präsident der saarländischen Landwirtschaftskammer, befürchtet vor allem den Verlust von Pachtflächen. Er verweist auf Dach-, Industrie-, und Parkflächen oder Industriebrachen, die sich besser für Photovoltaik eigneten. Der Präsident des saarländischen Bauernverbandes, Peter Hoffmann, lehnt die Agri-PV auch aus praktischen Gründen ab: Ein zu hoher Zeitaufwand sei damit verbunden und zu viel Mehrarbeit für den Landwirt.
Unterstützung bekommt er dabei auch vom Bundesverband in Berlin. Zwar ist man dort der Agri-PV nicht gänzlich abgeneigt, allerdings müssten zuerst alle anderen vorhandenen Flächen bevorzugt werden, so Udo Hemmerling, stellvertretender Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes. Er sieht im Obstbau Chancen für die Agri-PV, weniger aber auf Ackerflächen. Zu groß seien die Landverluste auf Seiten der Bauern.
Genehmigung der Landesregierung
Dass Landwirt Hussong im August nun doch seine Agri-PV-Anlage bauen kann, verdankt er einer politischen Entscheidung. In einem sogenannten Zielabweichungsverfahren wurde die Landwirtschaftskammer vom Innen- und Bauministerium im Saarland überstimmt. Die Technologie spiele eine große Rolle in Sachen Klimaneutralität und Versorgungssicherheit, so das Ministerium. Die Anlage von Hussong solle nun den Nachweis erbringen, dass landwirtschaftliche Nutzung und Erzeugung nachhaltiger Sonnenenergie auf derselben Fläche keine Konkurrenz darstellen.
Und auch bundesweit hat er seit diesem Jahr Rückenwind. Mit der Novelle im Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG) gilt nun, dass Agri-PV-Anlagen auf allen Ackerflächen grundsätzlich zulässig sein sollen. Voraussetzung ist, dass die installierte Anlage die landwirtschaftlich nutzbare Fläche um höchstens 15 Prozent verringert und die Bewirtschaftung mit üblichen landwirtschaftlichen Methoden und Maschinen nicht ausschließt.
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