Dienstag, 2. August 2022

Wenn alles zusammenkommt

 Süddeutsche Zeitung  hier  29. Juli 2022  Von Jakob Wetzel

SZ-Klimakolumne

Oft wird der Niedergang historischer Kulturen mit dem Klima begründet. Aber ist das wirklich immer der einzige Grund? Und was heißt das für die Gegenwart?

Sie kennen das bestimmt: Alles halb so schlimm, denn Klimaveränderungen habe es doch immer schon gegeben, das sei normal, heißt es gerne aus einschlägiger Ecke. Und das hilft zwar niemandem weiter, aber grundsätzlich stimmt das ja auch.

Natürlich, der Vergleich hinkt. Klimaveränderungen in der Vorzeit haben sich viel langsamer vollzogen als der menschengemachte Klimawandel. Die Erde war eine andere, vor Jahrmillionen gab es andere Landmassen, der Meeresspiegel war meist deutlich höher, und so weiter. Auch das ist alles korrekt. Doch Archäologinnen und Archäologen geben auf solche Alles-ganz-normal-Thesen in jüngerer Zeit oft eine ganz andere Antwort. Sie lautet: Ja, das Klima hat sich schon immer verändert, alles ganz normal. Nur: Dummerweise hat das eben dazu beigetragen, dass menschliche Zivilisationen immer wieder untergegangen sind. Wenn der Klimawandel normal ist, dann das auch.

Studien, die diesen Zusammenhang belegen, gibt es mittlerweile so viele, dass sich mit Beispielen eine ganze Reihe von Newslettern füllen ließe. Ob in Mesopotamien oder in Mittelamerika, im Nahen Osten oder in Nordafrika: Überall haben Forscherinnen und Forscher den Niedergang von Kulturen damit in Verbindung gebracht, dass sich das Klima veränderte. Dürren schürten Gewalt unter den Maya, vertrieben Siedler aus Grönland oder ließen in vorislamischer Zeit das Königreich Himyar im heutigen Jemen zerfallen. Wie mein Kollege Hans Holzhaider zuletzt berichtete, haben auch die Erbauer mysteriöser Pyramiden auf Palau im Pazifik ihre Insel wohl wegen Klimaveränderungen verlassen - und ihre Nachfahren haben am Ende vergessen, wozu ihre Ahnen diese Pyramiden eigentlich errichtet hatten.

Bei all diesen Widrigkeiten mit dem Klima wirkt es auf den ersten Blick fast ermutigend, was Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um den britischen Archäologen Matthew J. Jacobson nun in der Fachzeitschrift Plos One berichten. Sie haben untersucht, wieso es ab dem 6. Jahrhundert mit dem unter den Römern zuvor noch florierenden Südwesten Kleinasiens bergab ging. Mehrere Studien hatten das zuvor mit Klimaveränderungen begründet: Nach einem "Klima-Optimum" in römischer Zeit seien die Bedingungen schlechter geworden. Jacobson und sein Team dagegen untersuchten Sedimente und die Zusammensetzung von Gestein und stellten nun fest: Ganz so einfach ist es nun auch nicht. Vielmehr konnten die Menschen offenbar sogar relativ gut mit Klimaschwankungen umgehen.

Das Klima im Südwesten Anatoliens war demnach unter den Römern keineswegs besonders günstig gewesen, im Gegenteil: Verglichen mit der Zeit davor war es sogar eher trocken. Dass die Gegend florierte, lag mehr daran, dass die Römer gezielt investierten. Als sich etwa vom Jahr 460 an die Dürre verstärkte, blieb das Land dicht besiedelt. Die Menschen gaben nur Siedlungen im Landesinneren auf und zogen verstärkt in die Nähe der Küste, wo sie Wasserspeicher bauten, Bäder in Werkstätten umwandelten und Springbrunnen statt mit Trinkwasser mit Regenwasser betrieben.

Ein Einbruch kam erst in der Mitte des 6. Jahrhunderts. Nun gaben die Menschen reihenweise ihre Siedlungen auf und bewohnten in Städten nur noch einzelne Viertel, die sie sogar befestigten. Die Landschaft verwilderte. Am Klima aber hatte sich nichts Wesentliches mehr geändert. Zwar hüllte ein Vulkanausbruch in Island im Jahr 536 mehr als ein Jahr lang die nördliche Hemisphäre in Staub - doch dessen Auswirkungen seien in Südwest-Anatolien archäologisch kaum greifbar.

Was war stattdessen geschehen? Jacobson und die anderen schlagen mehrere Faktoren vor. Ab 541 habe die Justinianische Pest gewütet. Vom 4. Jahrhundert an war es in Kleinasien immer häufiger zu Erdbeben gekommen, irgendwann hörten die Menschen auf, ihre Häuser wieder aufzubauen. Nach einer langen Friedenszeit überfielen nun Perser und Araber das Land. Und vor allem: Das alles, mit dem die Menschen zum Teil schon lange halbwegs zurechtgekommen waren, kam jetzt alles zusammen. Es war einfach zu viel.

"Für die moderne Zeit sind das gute und schlechte Nachrichten", meint Jacobson. Die Studie lege nahe, dass der Mensch mit dem anthropogenen Klimawandel zurechtkommen könnte - das sei die gute Nachricht. Aber eben nur, wenn er es nicht mit zu vielen Katastrophen auf einmal zu tun bekomme. Lieber eins nach dem anderen, die meisten Menschen sind ja ohnehin nicht begabt zum Multitasking. Wenn zum Klimawandel noch eine Seuche und Kriege kommen und womöglich noch ein Erdbeben, dann wird es eng.

Er sei trotzdem zuversichtlich, meint Jacobson. Diese Zuversicht wünsche ich Ihnen auch.

(Dieser Text stammt aus dem wöchentlichen Newsletter Klimafreitag, den Sie hier kostenfrei bestellen können.)

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