Freitag, 26. August 2022

Wissings Klima-Debakel: Ein solches Trauerspiel kann man sich kaum ausdenken

WIWO   HIER KOMMENTAR VON MAX BIEDERBECK-KETTERER  25. AUGUST 2022

KLIMASCHUTZ IM VERKEHR

Der FDP-Verkehrsminister hat CO2-Pläne präsentiert, die klar ihr Ziel verfehlen. Gleichzeitig heizt sein Parteichef die Debatte ideologisch an. Das alles ist Gift für effektiven Klimaschutz – und die Ampel-Koalition selbst. Ein Kommentar.

Dieses Ergebnis zeigt bitter, wie die Ampel-Regierung bei ihrem wichtigsten Auftrag auf der Stelle tritt. Am Donnerstagmorgen hat der Expertenrat für Klimafragen (EKR) seine Bewertung der Klimaschutz-Maßnahmen in den Bereichen Gebäude und Verkehr vorgelegt. Schon im Vorfeld hatte es von Umweltschützern deshalb einen regelrechten Shitstorm für Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) gegeben. Der EKR hat diese Kritik jetzt noch einmal schmerzlich offiziell gemacht.

Seine Bewertung zeigt: Das Programm des Verkehrsministeriums zur Einsparung von CO2 ist kaum mehr als ein Buzzword-Gewitter. Angeführte Ideen sind entweder heftig umstritten und weit entfernt von einer tatsächlichen Umsetzung (9-Euro-Ticket-Nachfolge). Oder sie entpuppen sich als ambitionslose Verweise auf die Arbeit anderer Ministerien (Homeoffice, THG-Handel).

Wissings Plan ist so rückwärtsgewandt, dass der Klimarat seine sechs kümmerlichen Maßnahmen noch nicht einmal im Einzelnen geprüft hat. Es sei ohnehin klar gewesen, dass die Rechnung nicht aufgehe, hieß es. 14 Millionen Tonnen CO2 will der Minister einsparen. Es fehlen 261 Millionen Tonnen, um das Klimaziel der Bundesregierung bis 2030 zu erreichen. So etwas kann man sich kaum ausdenken. 

Und es gibt einen Grund für dieses Trauerspiel. Wissing verzichtet auf einen Haupthebel, mit dem er Emissionen reduzieren könnte: die Regulierung von Verbrennern. Die Reform der Kfz-Steuer etwa, das Dienstwagenprivileg oder ein Tempolimit. Wie bereits sein Vorgänger Andreas Scheuer (CSU) will wohl auch Wissing um jeden Preis vermeiden, Autofahrerinnen und -fahrer in irgendeiner Form in die Verantwortung zu ziehen. Dann doch lieber das Klimaschutzgesetz ignorieren, scheint das Motto zu sein.

Rückendeckung kommt dabei von Parteichef Christian Lindner, der lieber von „Gratismentalität“ und Forderungen der „Antifa“ spricht, wenn es um das 9-Euro-Ticket im ÖPNV geht. Der außerdem das „Dienstwagenprivileg“ als linkes Framing bezeichnet hat. Man möchte nur rufen: Are you serious, Donald Lindner?! Ist der Regierungs-FDP im Dauerwahlkampf die Vernunft abhanden gekommen?

Unterschiedliche Meinungen zum Thema hin oder her: Hier heizen zwei FDP-Minister gezielt eine Debatte ideologisch auf, um dann auf der anderen Seite einseitige Politik zugunsten einer Zielgruppe zu machen. Das mag mit Blick auf die Umfragewerte verständlich erscheinen. Für das Klima in der Koalition und das Klima in der Welt ist es Gift, das am Schluss niemandem helfen wird.

Man sei überrascht ob der „erheblichen Erfüllungslücken“, sagt denn auch die stellvertretende EKR-Vorsitzende Brigitte Knopf. Die CO2-Emissionen ließen sich mit Wissings Plänen bis 2030 kaum auf null reduzieren. „Die Maßnahmen werden eine erhebliche Überschreitung der Jahreswerte nicht verhindern“, erklärt die Klimaexpertin.

Das Ministerium verweist zur Verteidigung auf das große Klimaschutzprogramm, das die Bundesregierung plane. Ein eigenes Sofortprogramm brauche es da doch nicht. Das ist auch deshalb zynisch, weil gerade der Bereich Verkehr hinter den Kulissen noch immer für Streit und Verzögerungen sorgt. Man darf gespannt sein, ob und wann nach der Sommerpause des Parlaments denn da endlich einmal eine Reform kommt. Klar ist: Je länger die Regierung sinnvolle Programme verschleppt, desto höher werden die ökonomischen Kosten des Klimaschutzes ausfallen. Gerade auch im Bereich des Pkw-Verkehrs. 

Die Bewertung des EKR ist rechtlich übrigens nicht bindend. Vorsitzende Knopf bringt es allerdings gut auf den Punkt: „Es geht hier um Governance, also um ein Instrument der guten Regierungsführung selbst.“ Letztere ist gerade nicht zu erkennen. Der Ampel misslingt es, bei ihrem wichtigsten Versprechen einen gemeinsamen Nenner zu finden.

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RND hier  25.08.2022  Annika Müller

Verheerendes Urteil

„Thema verfehlt“: Expertenrat kritisiert Klimapläne der Regierung für Gebäude und Verkehr scharf

Mit den Sofortprogrammen für den Gebäude- und Verkehrssektor können die deutschen Klimaziele laut Expertenrat nicht erreicht werden. Das Sofortprogramm des Verkehrs­ministeriums sei „schon im Ansatz ohne hinreichenden Anspruch“. Umwelt­verbände werfen Wissing „Arbeits­verweigerung“ vor

Der Expertenrat für Klimafragen hat den Sofortprogrammen für den Gebäude- und Verkehrssektor ein vernichtendes Urteil ausgestellt. Sie könnten die Einhaltung der Klimaziele nicht sicherstellen, besonders das Sofort­programm aus dem Verkehrs­ministerium kritisierte der Expertenrat scharf: Es sei „schon im Ansatz ohne hinreichenden Anspruch“, heißt es im am Donnerstag vorgestellten Prüfbericht. Wirtschafts­minister Robert Habeck (Grüne) fordert nach dem verheerenden Urteil schnelles Handeln. „Wir sind in der Pflicht, noch im September das Klima­schutz-Sofort­programm zu beschließen.“ Dabei müssten „alle Sektoren ihren Beitrag leisten“.

Das Sofortprogramm für den Gebäudesektor müsse getrennt vom Sofort­programm für den Verkehrs­sektor betrachtet werden. Während der Gebäude­sektor wenigstens versuche, wieder auf den Pfad der Klima­schutz­ziele zu kommen, wolle das vom Verkehrs­ministerium vorgelegte Programm nur die Überschreitungen aus dem vergangenen Jahr einholen: Die Pläne würden bis 2030 nur 14 Megatonnen an Treib­haus­gas-Emissionen einsparen, 261 Megatonnen zu wenig.

Expertenrat: „Bei einem Schulaufsatz würde man jetzt sagen: Thema verfehlt“

Ein Sprecher des Verkehrs­ministeriums teilte auf Anfrage des Redaktions­Netzwerks Deutschland (RND) mit, dass das Sofort­programm den Anforderungen des Bundes-Klima­schutz­gesetzes entspreche. „Mit den vorgeschlagenen Maßnahmen kann die vom Expertenrat festgestellte Zielverfehlung des Jahres 2021 in den nächsten Jahren ausgeglichen werden“, heißt es aus dem Ministerium. Die Sicherstellung der Erreichung der Klima­schutz­ziele bis 2030 sei Gegenstand des Klima­schutz­programms der Bundesregierung.

„Bei einem Schulaufsatz würde man jetzt sagen: Thema verfehlt“, sagte Brigitte Knopf, stellvertretende Vorsitzende des Expertenrats, dem RND. Da der Expertenrat auch das angekündigte Programm der Bundes­regierung prüfen werde, habe er von einer tiefergehenden Prüfung des Sofortprogramms aus dem Verkehrsministerium abgesehen. Laut Knopf sollte jetzt dringend mit weiteren Maßnahmen für den Verkehrssektor nachgelegt werden, anderenfalls könnten die deutschen Klimaziele deutlich verfehlt werden. „Daraus könnten sich kritische Herausforderungen auch in Bezug auf die europäischen Vorgaben ergeben.“

Malte Hentschke-Kemper, stellvertretender Geschäftsführer der Klima-Allianz, wirft Wissing „Arbeitsverweigerung“ vor und fordert Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf, „dass er dieses unwürdige Schauspiel beendet“. Der Natur­schutz­bund Deutschland (Nabu) reagierte ähnlich: „Man könnte auch sagen, Bundes­­verkehrs­­minister Volker Wissing ist heute bereits an der 5‑Prozent-Hürde gescheitert“, kommentiert Nabu-Bundes­geschäfts­führer Leif Miller.

Deutsche Umwelthilfe kündigt Klage an

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) geht einen Schritt weiter und kündigte schon am Mittwoch an, vor dem Ober­verwaltungs­gericht Berlin-Brandenburg Klage gegen das Sofortprogramm für den Verkehrssektor einzureichen. DUH-Chef Jürgen Resch teilte am Donnerstag mit: „Ein gesetzeskonformes Klimaschutz-Sofort­programm kommt nicht aus ohne Tempolimit, Stopp der Dienstwagen­förderung gerade bei besonders spritdurstigen Fahrzeugen und einen massiven Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und der Bahn inklusive 365‑Euro-Klimaticket.“

Das Sofortprogramm im Gebäudesektor sei laut Expertenrat ausreichend, um die Ziele des Bundes-Klima­schutz­gesetzes bis 2030 zu erreichen. Aber: Bis 2027 würde es trotz der geplanten Schritte weiter zu Überschreitungen der Vorgaben kommen, erst zum Ende des Jahrzehnts könnten die Emissionen ausreichend gesenkt werden.

Der Expertenrat halte es zudem „für nur teilweise wahrscheinlich“, dass die vom Wirtschafts- und Bauministerium angegebenen Treib­haus­gas-Minderungen auch in vollem Umfang tatsächlich erreicht werden, so Knopf. „Bei einigen Maßnahmen sind da jetzt noch ein paar Fragezeichen“, sagte sie dem RND.

Das Verkehrs-, das Bau- und das Wirtschafts­ministerium hatten am 13. Juli Sofortprogramme für den Gebäude- und Verkehrssektor vorgelegt. Das war nach Bundes-Klima­schutz­gesetz notwendig, da in beiden Sektoren im vergangenen Jahr die Emissionsziele verfehlt wurden


NTV  25.08.2022

Kein Beitrag zu CO2-Senkung
"Anspruchslos": Experten weisen Wissings Klimaplan zurück

Gerade die Bereiche Verkehr und Bauen könnten massiv CO2 einsparen, um die Ziele des Bundes zu erreichen. Aber die Pläne der Ministerien werden dem Anspruch kaum gerecht. Vor allem Verkehrsminister Wissing gerät in den Fokus - sein Vorhaben sei "ohne Anspruch". NGOs fordern das Eingreifen des Kanzlers.

Der Expertenrat für Klimafragen hat den Klimaplan von Verkehrsminister Volker Wissing als völlig unzureichend zurückgewiesen. Sein Sofortprogramm sei "schon im Ansatz ohne hinreichenden Anspruch", stellten die Experten fest, die im gesetzlichen Auftrag des Bundes die Klimaprogramme prüfen. Die Pläne von Bauministerin Klara Geywitz könnten ebenfalls die Ziele im Gebäudesektor nicht sicherstellen. Deren Programm könne aber immerhin einen substanziellen Beitrag zur Minderung der CO2-Emissionen leisten.Neue Milliarden für Sanierungen geplant

Umweltverbände reagierten empört: Die Umwelthilfe nannte Wissings Plan klar gesetzwidrig und kündigte Klage an. Die Klima-Allianz warf der Regierung Arbeitsverweigerung vor und rief Bundeskanzler Olaf Scholz zum Eingreifen auf. Klimaminister Robert Habeck sprach von einem Signal der Experten: "Wir sind in der Pflicht, noch im September das Klimaschutzsofortprogramm zu beschließen." Nach dem Klimaschutzgesetz haben alle Sektoren wie Energie, Industrie, Landwirtschaft, Gebäude oder Verkehr klare, jahresscharfe Vorgaben für ihren maximalen Ausstoß an Treibhausgasen. 2021 verfehlten Gebäude und Verkehr diese.

Laut Gesetz mussten Wissing und Geywitz Sofortprogramme vorlegen, um wieder auf Kurs zu kommen. Der unabhängige Expertenrat überprüfte diese mit dem jetzt vorgelegten Gutachten noch einmal. Bis 2030 ist Deutschland verpflichtet, seinen CO2-Ausstoß gegenüber 1990 um 65 Prozent zu reduzieren. Im vergangenen Jahr lag man bei rund 39 Prozent.

Experten prüfen Wissings Plan nicht tiefergehend

Die Experten bemängelten bei Wissings Vorhaben, dass dessen Pläne allenfalls die Verfehlungen von 2021 aufholen könnten. Die Vorgaben für 2022 und folgende sind dem Gesetz zufolge aber immer anspruchsvoller. Sie könnten mit dem Programm keinesfalls erreicht werden. Die Experten prüften seine Vorschläge daher gar nicht mehr vertieft. Im Gebäudesektor komme man ebenfalls in den nächsten Jahren nicht auf Kurs, möglicherweise aber ab Ende des Jahrzehnts, erklärten sie. "Ob die Einsparungen allerdings wirklich in diesem Umfang realisiert werden können, erscheint nach unserer Prüfung fraglich", sagte der Vorsitzende des Rates, Hans-Martin Henning.

Der Expertenrat wies auf Unschärfe im Gesetz hin und bat um Klarstellung. Für Unsicherheit sorgt vor allem das im Koalitionsvertrag der Ampel vorgesehene umfassende Klimaschutz-Sofortprogramm. Im Koalitionsvertrag ist zudem angedeutet, dass die Ziele auch sektorübergreifend und über mehrere Jahre hinweg erfüllt werden könnten. Der Energiesektor könnte so beispielsweise Mängel im Verkehr ausgleichen. Klimaminister Habeck verwies auf die Pläne der Ampel für ein umfassenderes Klimaschutz-Sofortprogramm: "Dabei müssen alle Sektoren ihren Beitrag leisten, sonst werden wir die Klimaziele nicht erreichen." Dies war bislang am Streit in der Koalition gescheitert.

Habeck kündigte es für Ende September an und betonte mit Blick auf die Sektoren Bau und Verkehr, die Erkenntnisse der Experten würden dabei berücksichtigt. Grünen-Chefin Ricarda Lang verlangte ebenfalls eine Entscheidung im September. Es gebe im Verkehr viele Ansätze wie beispielsweise eine Reform des Dienstwagen-Privilegs, eine Verlängerung des 9-Euro-Tickets im Nahverkehr oder ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen. "Aber was nicht geht, das ist immer nur 'Nein' zu sagen", sagte Lang.

Die Klima-Allianz, ein Zusammenschluss von 140 Organisationen, warf der FDP Versagen vor und fordert den Bundeskanzler zum Eingreifen auf: "Scholz darf Wissing seine Arbeitsverweigerung in Sachen Klimaschutz nicht mehr durchgehen lassen."
Der BUND bemängelte ein unverantwortliches, klimapolitisches Versagen.
Die Deutsche Umwelthilfe erklärte, die Regierung sei krachend gescheitert und handele klar gesetzeswidrig: "Da sich offensichtlich auch in dieser Bundesregierung Klimaschutz nur über die Gerichte durchsetzen lässt, ziehen wir nun vor das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg."


Quelle: ntv.de, als/rts

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