Mittwoch, 31. August 2022

Klimaschutz in der Landwirtschaft: »Müssen viel weniger Fleisch und Milchprodukte produzieren und essen«

Spiegel hier   Jonas Schaible

In der Agrarpolitik hat die Bundesregierung noch fast nichts erreicht. Der Agrarexperte Harald Grethe spricht über die Ampelbilanz und darüber, warum der Klimaschutz einige Bundesländer besonders betrifft.

SPIEGEL: Herr Grethe, was ist die wichtigste agrarpolitische Entscheidung der Bundesregierung in ihren ersten acht Monaten?

Grethe: Es ist wichtig, dass das Landwirtschaftsministerium sich grundsätzlich hinter die Umsetzung der Vorschläge der Borchert-Kommission stellt, in der Vertreterinnen und Vertreter der Bauern, von Politik, Wissenschaft und Fachverbänden sich auf den Umbau der Tierhaltung als Ziel verständigt haben. Das ist ein gutes Signal.

SPIEGEL: Sie haben vor dieser Antwort sehr lange überlegt. Trotzdem ist Ihnen kein Gesetz und keine Verordnung eingefallen. Hat sich schon einmal eine Regierung so viel Zeit in der Agrarpolitik gelassen?

Grethe: Ich würde mir wünschen, dass sich die Bundesregierung dort, wo der agrar- und ernährungspolitische Handlungsbedarf eindeutig ist und die Lösungen auf dem Tisch liegen, schneller an die Ausgestaltung macht. Die Ursachen für den langsamen Start sind vielfältig. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und die Diskussion um kurzfristige Anpassungsmaßnahmen haben viele Ressourcen gebunden. Und es zeigt sich auch, wie wichtig es ist, als Partei frühzeitig ein klares Programm zu haben, welches dann einen zügigen Einstieg in die Umsetzung erlaubt. Und natürlich müssen die Partner der Ampelkoalition an einem Strang ziehen.

SPIEGEL: Ist dadurch schon zu viel Zeit verloren für wirklich wirkungsvolle Agrarpolitik?

Grethe: Nein. Eine Legislaturperiode ist zwar kurz, aber noch ist Zeit, Dinge voranzubringen und anzuschieben. Es kommt jetzt darauf an, Tempo aufzunehmen, Schwerpunkte zu setzen und diese in konkrete politische Maßnahmen zu übersetzen.

SPIEGEL: Reden wir mal über das große Projekt des Landwirtschaftsministers Cem Özdemir: ein Tierhaltungskennzeichen…

Grethe: …bisher nur für frisches Schweinefleisch, nicht für verarbeitetes, nicht in der Gastronomie…

SPIEGEL: …richtig, der Rest soll später folgen. Warum ist das für Sie die richtige Schwerpunktsetzung?

Grethe: Der Umbau der Nutztierhaltung ist wichtig für unser Klima, unsere Umwelt und unsere Gesundheit. Ein Baustein davon ist das Haltungskennzeichen. Die Nutztierhaltung steht mit Blick auf das Tierwohlniveau zu Recht in der Kritik der Bevölkerung und von Fachleuten. Das müssen wir verbessern, denn für eine Tierhaltung, die auf Gesundheit und Wohlbefinden der Tiere bedacht ist, braucht es ausreichend Mittel.

SPIEGEL: Einen Finanzierungsplan hat die Regierung allerdings noch nicht.

Grethe: Dabei ist die Finanzierung der aller wichtigste Schritt, wichtiger noch als die Kennzeichnung selbst. Für die höchsten Haltungsstufen, die wirklich Tierwohl bringen, aber auch hohe Mehrkosten, müssen wir staatliche Tierwohlprämien einführen. Die müssen dauerhaft und verlässlich sein und dürfen nicht nur für Investitionen in Ställe bezahlt werden, sondern müssen vor allem auch die laufenden Tierwohlkosten abdecken. Die Optionen hierfür liegen seit Jahren auf dem Tisch und wurden durch verschiedene, bereits durch die Vorgängerregierung beauftragte Rechtsgutachten bestätigt.

SPIEGEL: Die FDP lehnte bis vor Kurzem aber alle Finanzierungsmodelle ab.

Grethe: Es macht Hoffnung, dass die niedersächsische FDP jetzt rechtssichere und langfristige Investitions- und Betriebskostenzuschüsse für ein erhöhtes Tierwohl fordert. Allerdings ist unklar, wie genau das Finanzierungsmodell aussehen soll. Und es bleibt abzuwarten, wie sich die FDP auf Bundesebene dazu positioniert.

SPIEGEL: Wenn die Finanzierungsfragen weiter offen bleiben, ist dann das ganze Projekt gescheitert, also der Umbau der Tierhaltung?

Grethe: Wenn es der Ampelkoalition nicht gelingt, sich für die langfristige staatliche Finanzierung eines höheren Tierwohlniveaus zu entscheiden, ist der Umbau der Tierhaltung in dieser Legislaturperiode gescheitert. Das wäre ein schwerer Schlag.

SPIEGEL: Mit der Borchert-Kommission und der noch breiter besetzten sogenannten Zukunftskommission Landwirtschaft, die sich auf die Borchert-Kommission bezieht, gibt es einen verblüffend großen Konsens in der oft zerstrittenen Agrarwelt. Wie würde die Branche reagieren, wenn nichts passierte?

Grethe: In diesen Kommissionen haben die unterschiedlichsten Beteiligten eine gemeinsame Position entwickelt, von Umweltverbänden über den Berufsstand bis zur Wissenschaft. Da ist enorm viel erreicht worden. Wenn die Umsetzung ausbleibt, besteht die Gefahr, dass die Akteure das Vertrauen in die Politik verlieren. Zudem würde das Landwirtinnen und Landwirte sowie die Umweltverbände schwächen, die sich gemeinsam für konstruktive Lösungen für mehr Tierwohl eingesetzt haben. Das darf nicht passieren – die Politik muss jetzt liefern!

SPIEGEL: Fehlt die Unterstützung des Kanzlers, um zwischen Grünen und FDP zu schlichten?

Grethe: Deutschland wird von einer Koalition regiert, die am Ende gemeinsam verantwortlich ist.

SPIEGEL: Also ja.

Grethe: Ich würde mir sehr wünschen, dass sich alle Parteien gemeinsam dafür einsetzen, hier zu einer Lösung zu kommen.

SPIEGEL: Eine der großen Quellen von Treibhausgasen in der Landwirtschaft ist Tierhaltung: die Verdauung der Tiere, die Gülle, der notwendige Anbau von Futtermitteln. Kann es eine Lösung geben ohne massiven Rückgang der Tierzahlen?

Grethe: Um der Klimakrise zu begegnen, müssen wir viel weniger Fleisch und Milchprodukte produzieren und essen. Das passiert nicht von selbst, das muss man politisch gestalten. Das ist der zweite Grund, warum ein Umbau der Tierhaltung gut ist. Wenn wir das Tierwohlniveau deutlich erhöhen, passen weniger Schweine und Rinder in die heutigen Ställe. Das führt also zur Verringerung der Bestände.

SPIEGEL: Die zweite große Quelle sind die Moore. Sie speichern mehr Kohlenstoff als Regenwälder, sie sind sozusagen der Amazonas-Regenwald Deutschlands. Was genau hat es damit auf sich?

Grethe: Moorböden sind organische Böden, in denen extrem viel Kohlenstoff gespeichert ist. Der wird freigesetzt, wenn die Moore austrocknen. Wir reden dabei von sehr großen Mengen.

SPIEGEL: Nach Angaben der Bundesregierung setzen Moore jedes Jahr mehr als 50 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente frei – sechs bis sieben Prozent der deutschen Gesamtemissionen. Es gibt keinen größeren Klimahebel in der Landwirtschaft als Moore.

Grethe: Wir verursachen auf etwa sieben Prozent der landwirtschaftlichen Fläche etwa 40 Prozent der Emissionen im Agrarsektor. Das meiste, was wir Moor nennen, ist heute kein natürliches Moor mehr – war aber mal eines und hat immer noch reichlich Kohlenstoff gebunden. Wenn man die Flächen wieder vernässt, verhindert man, dass er freigesetzt wird. Dadurch kann man auf kleiner Fläche enorm viel für den Klimaschutz tun.

SPIEGEL: Auf den meisten ehemaligen Moorflächen wirtschaften heute Bauern. Unterscheidet sich die Nutzung von der anderer Böden?

Grethe: Nicht wirklich. Man sieht das auch gar nicht, wenn man vorbeifährt, dazu muss man schon in den Boden greifen. Da werden Rinder gehalten, es wird Ackerbau betrieben.

SPIEGEL: Was aber nicht mehr geht, wenn die Böden vernässt werden, oder?

Grethe: Da kann keine Kuh stehen und kein Weizen wachsen. Deshalb braucht es eine Reihe von Maßnahmen, damit die Wiedervernässung gut verläuft. Der erste Schritt ist, sich komplett von Schuldzuschreibungen zu lösen. Es war eine kulturhistorische Leistung, die Moore trockenzulegen und nutzbar zu machen, es war gesellschaftlich und politisch gewollt. Es hat Nahrung und Land gebracht. Das muss man anerkennen. Wir wissen heute aber, dass es katastrophale Folgen für das Klima hat, und deshalb gilt es nun zu handeln.

SPIEGEL: Es geht also um Geschichte, um Identität, um Tradition. Wie findet da der Wandel seinen Platz?

Grethe: Man muss in den Dialog gehen und alle Betroffenen einbinden. Wir brauchen, vergleichbar mit der Kohlekommission, eine Moorschutzkommission im Bund, aber auch in den betroffenen Bundesländern. Und wir müssen eine Finanzierung schaffen. Wir müssen gemeinsam mit denen, die auf diesen Böden nicht mehr wie gewohnt wirtschaften können, neue Einkommensmöglichkeiten schaffen oder für Entschädigung sorgen.

SPIEGEL: Welche neue Nutzung könnte das sein?

Grethe: Es gibt Nutzpflanzen, die man auf nassem Boden anbauen kann. Rohrkolben zum Beispiel oder Schilf. Damit kann man Verpackungsmaterialien herstellen, Dämmstoffe für die Bauindustrie oder teilweise auch Biomasse zur Energieerzeugung. Man hat die Möglichkeit, Fotovoltaikanlagen aufzustellen. Wie das im Detail aussieht, hängt vom Standort ab. Wichtig bleibt die politische Zielformulierung: Wir werden den Großteil der Standorte wieder vernässen. Bisher wird das von den politischen Parteien noch nicht klar kommuniziert.

SPIEGEL: Das ist politisch so kompliziert, weil nur einige Bundesländer relevant große Moorflächen haben: Niedersachsen vor allem, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Brandenburg, Bayern.

Grethe: Es ballt sich in einigen Regionen. Ich war neulich auf einer Moorschutzveranstaltung, und da rief eine Bürgermeisterin: Dann schicken Sie uns einen Moorkommissar! Der Moorkommissar gestaltete früher die Trockenlegung. Ich habe diesen Aufschrei als Wunsch empfunden, dass jemand diesen Prozess gestaltet, dass sich jemand verantwortlich fühlt, mit dem man in den Dialog gehen kann. Die Moore wieder zu vernässen, wird eine ähnliche kulturhistorische Aufgabe wie damals die Trockenlegung. Vor uns liegt ein jahrzehntelanger Prozess. Umso wichtiger ist es, dass wir jetzt damit anfangen.

SPIEGEL: Am meisten kostet es immer, den Klimaschutz zu verschleppen. Aber auch Klimaschutz kostet. Kann man sagen, wie viel?

Grethe: Man rechnet mit vier Milliarden Euro Kosten für die technische Vernässung. Dann bleibt der Unterschied zwischen dem, was man mit der nassen Nutzung verdienen kann und dem, was man bisher verdienen kann. Das abzuschätzen, müsste zwingend Teil einer Moorschutzstrategie sein. Dafür müsste man für jeden Moorkörper in Deutschland genau erfassen, was seine Besonderheiten sind, welche Nutzungen möglich und welche Investitionen dafür erforderlich wären.

SPIEGEL: Im Koalitionsvertrag der Ampel steht: »Wir werden eine Nationale Moorschutzstrategie verabschieden und zügig umsetzen.«

Grethe: Das stand sehr ähnlich auch im letzten Koalitionsvertrag, ist aber nur auf dem Papier umgesetzt worden. Die Strategie des Umweltministeriums der vorherigen Bundesregierung ist viel zu wenig ambitioniert. Ich hoffe sehr, dass sich das ändert. Das ist auch kein Zauberwerk, in einem Jahr kann man so eine Strategie erarbeiten.

SPIEGEL: In anderen Sektoren ist es so, dass Verursacher zunehmend für den Schaden aufkommen müssen, den Treibhausgasemissionen anrichten: zum Beispiel über den CO₂-Preis. Im Fall der Moore reden wir dagegen sogar über Kompensation. Warum eigentlich?

Grethe: Es ist eine große Aufgabe, und es muss jetzt sehr schnell gehen – daher müssen wir die Landwirtinnen und Landwirte bei dieser Transformation unterstützen. Aber natürlich müsste sich die Strategie über die Jahre ändern. Anfangs wird man stark auf Anreize setzen, aber irgendwann wird man mehr übers Ordnungsrecht machen können oder auch Preise festlegen für Emissionen.

SPIEGEL: Das Umweltministerium kümmert sich bislang federführend um Moore. Müsste das nicht eher Sache des Landwirtschaftsministeriums sein?

Grethe: Der Moorschutz muss in beiden Ministerien eine große Rolle spielen. Würde Moorschutz nur als Naturschutz verstanden werden, wäre das für den Klimaschutz nicht hilfreich. Es geht nicht darum, den Urzustand wieder herzustellen oder neue Schutzgebiete einzurichten. Wir brauchen vor allem eine andere – eine sogenannte nasse Nutzung. Dafür brauchen wir Landwirtinnen und Landwirte und somit von Anfang an die Perspektive der Landwirtschaft. Deshalb ist es wichtig, dass das Landwirtschaftsministerium sich einbringt. Dass Umwelt- und Agrarminister aktuell von derselben Partei gestellt werden, vereinfacht diesen Prozess enorm. Diese Chance sollte genutzt werden.

SPIEGEL: Was muss die Regierung noch liefern, damit Sie die Legislaturperiode als Erfolg werten?

Grethe: Sie muss eine Moorschutzstrategie vorlegen, die eine Wiedervernässung des Großteils der Fläche bis 2045 vorsieht. Diese Strategie muss einen Zeitplan, eine Kosten-Nutzen-Analyse für alle Moorkörper und einen Plan für die Finanzierung beinhalten. Zusätzlich müssen neue Institutionen eingerichtet werden: Eine Moorschutzkommission und außerdem so etwas wie eine Klimaagentur Moor, die den Prozess koordiniert. Schließlich muss die Bundesregierung erste Schritte in der Umsetzung gehen, um zu zeigen, dass sie es ernst meint.

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