Sonntag, 28. August 2022

Politische Gelassenheit ist nicht mehr angebracht

 hier  25.08.2022  |  VON ELISA-MADELEINE GLÖCKNER  elisa.gloeckner@suedkurier.de 

KLIMAWANDEL: Mehr Druck, mehr Verbote

In der Asservatenkammer der deutschen Redewendungen gibt es eine kleine Ecke für das Phänomen der mühsamen Anreicherung von großen Mengen durch kleine, aber kontinuierliche Beigaben. Der Ausdruck: Kleinvieh macht auch Mist. Ein Bild, das immer dann bemüht wird, wenn es um stetes Streben geht. Und um einen Trost für all die zu haben, die nicht die Mittel besitzen, einen großen einmaligen Beitrag zum Ganzen zu leisten. Genauso verhält es sich beim Einzelnen und dem Klimawandel.

Denn die Katastrophe beginnt im Kleinen. Jeder weiß das. Und jeder ist sich bewusst, dass weniger Autos, weniger Heizen, weniger Fliegen, weniger Fleisch, weniger Palmöl, weniger Schuhe, weniger Plastiktüten dabei helfen, den Kollaps auszubremsen. Es geht also um den Verzicht. Einen Begriff, mit dem sich der industrialisierte Mensch unheimlich schwertut. Das ist verständlich, schließlich ist er in diesen Konsum hineingewachsen, in diese Mentalität, alles tun, alles haben zu können, in der Theorie. Derselbe soll plötzlich verzichten, auf sein Schaumbad, den Sechs-Zylinder-Motor? Er soll entsagen und damit das Gegenteil von dem Größer-Schneller-Mehr, das ihn sein Leben lang prägt?

Verzichten, das tut weh, weil es bedeutet, dass der Einzelne einen Tribut leisten und seinen Wohlstand beschneiden muss. Deshalb mag der Mensch auch gar nicht daran rütteln und blendet die Katastrophe zumindest zeitweise aus. Klimaneutralität? Aufgabe von Industrie und Wirtschaft, die den globalen Treibhausgas-Ausstoß auf ein Niveau bringen müssen, das mit dem Pariser Abkommen kompatibel ist. Obwohl auch das Individuum, so viel Ehrlichkeit muss sein, mit Schuld an dieser Lage hat. Doch während der Vernichtungskrieg gegen den Planeten näher rückt, sediert sich die Bevölkerung mehrheitlich mit Fragen danach, ob Griechenland im Sommer 2022 überlaufen ist. Sie kritisiert steigende Benzinpreise, beschäftigt sich mit dem Nutri-Score und verurteilt die Mängel der Deutschen Post. Das mag sich im Moment des Zeitgeschehens zwar wichtig anfühlen, verdrängt das langfristig Bedeutende aber in die Zukunft: Die Klimakatastrophe kommt nicht, sie ist da.

Politische Gelassenheit ist nicht mehr angebracht. Ohne Druck von oben wird es nicht gehen, auch nicht für den Einzelnen. Denn mit jeder Grenze, die man Online-Shopping-Kunden, SUV-Fahrern oder Fast-Food-Junkies jetzt nicht aufzeigt, wird die Frist bis zur Sintflut kürzer. Forscher datieren den Zeitpunkt, an dem keine Rückkehr mehr möglich ist, an dem sich die Erderwärmung selbst befeuert, bereits aufs nächste Jahrzehnt. Der Verzicht bleibt alternativlos. Freiwillig wird sich der Mensch aber nicht in dem Maß begrenzen, das nötig ist, um die Kipppunkte zu vermeiden. Verbote und Gesetze sind notwendig. Das heißt nicht, dass eine Ökodiktatur linksgrüner Bildungsbürger heranwachsen muss, die ihre Bevölkerung missionarisch bevormundet. Aber dennoch muss es einen politischen Rahmen geben, der es den Menschen erleichtert, das Risiko, in das sie ihre Kinder gebären, zu begreifen. Wird der Wandel nicht abgedämpft, sind die Folgen am Ende – zulasten ihres Wohlstands – weit teurer, als aktuell in Klimaschutz zu investieren.

Noch einmal, die Katastrophe beginnt im Kleinen. Wenn jeder seine Gabel Mist in die Mitte schippt, kann sich das Dazutun aller zu einem ordentlichen Haufen schichten. In Zahlen hat das ansatzweise die Internationale Energieagentur übersetzt: Wenn die Menschen von Autos und Flugzeugen auf die Bahn umstiegen und im Winter weniger heizten, könnten die CO2-Emissionen in den kommenden knapp drei Jahrzehnten um rund acht Prozent vermindert werden. Auf alle Lebensbereiche und das globale Tableau ausgeweitet, würde noch viel mehr Potenzial frei, mit dem Menschen ihrer existenziellen Verantwortung gerecht werden – der selbst gemachten Misere zuvorzukommen. Der Rest liegt dann tatsächlich bei Industrie und Wirtschaft.

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