Freitag, 26. August 2022

Bsp. Dänemark: Eine «grüne Wende» von unten

 hier NZZ   Rudolf Hermann,17.08.2022

Wie Dänemark mit lokalen Projekten Erfolg hat

Eine Insel, die schon jetzt klimaneutral ist, und eine Industriestadt, deren Abfall Rohstoff für andere ist: Dänemark hat viele Beispiele für vernetztes Denken, das der Umwelt zugutekommt. Damit sparen die Dänen auch Geld.

«Ellen» schnurrt zufrieden, während sie sich am Kai von Söby füttern lässt. Dabei ist «Ellen» nicht etwa eine Katze, sondern eine Fähre. Und eine besondere dazu: Derzeit ist sie das Fährschiff, das weltweit die längste rein elektrisch betriebene Strecke in kommerziellem Betrieb bedient.

Mehrmals am Tag absolviert die «Ellen» mit bis zu 30 Autos und 20o Personen an Bord die rund 40 Kilometer zwischen dem südjütländischen Fynshav und Söby auf der Insel Aerö im Kleinen Belt. Immer wenn sie im Hafen von Söby am Anleger liegt, werden ihre Batterien aufgeladen mit Strom, den die Insel mit Windrädern selber erzeugt. Der Betrieb der Fähre ist damit emissionsfrei.

Das Beispiel Aerö

Im regulären Verkehr steht die Elektrofähre «Ellen» seit rund einem Jahr. Geboren wurde die Idee auf Aerö, das eine lange maritime Tradition hat und wo es noch heute eine kleine Werft gibt, in der die «Ellen» dann auch zusammengebaut wurde.

Als die Verwaltung der Insel nach Wegen suchte, ihren Klimafussabdruck zu verringern, war die Schifffahrt naturgemäss weit vorne im Blickfeld. Denn die Verbindungen nach Festland-Dänemark sind nicht nur wichtig für das öffentliche Leben, sondern auch eine Knacknuss auf dem Weg zur Abkehr von fossilen Energieträgern. Diese will man auf Aerö bis 2030 eliminieren.

Die Entwicklung einer E-Fähre allein zu stemmen, wäre für die kleine Gemeinde mit ihren bloss rund 6000 Einwohnern allerdings schwierig gewesen. Doch vermochte man vor einigen Jahren die EU an Bord zu holen, die die Entwicklung des 21 Millionen Euro teuren Schiffs über das Programm Horizon 2020 schliesslich zu über der Hälfte mitfinanzierte.

Eine Elektrofähre sei zwar in der Anschaffung kostspieliger als ein konventionelles Schiff, erklärte ein Vertreter der Gemeinde Aerö in einem Presseinterview, der Betrieb falle dann allerdings deutlich billiger aus. Weil die Insel inzwischen mehr Strom herstelle, als sie konsumiere, sei der Entscheid deshalb nicht nur klimapolitisch, sondern vor allem auch wirtschaftlich richtig gewesen. Und darüber hinaus könne man demonstrieren, dass E-Fähren eine valable Alternative seien. Schiffe vom Typ der «Ellen» könnten in Dänemark nämlich 75 Prozent aller heute angebotenen Routen bedienen.

Ein Provinznest als «Welthauptstadt der Energieeffizienz»

Mit ihrem Engagement für den Klimaschutz ist die Insel Aerö in Dänemark kein Einzelfall. Es gibt eine ganze Reihe von Initiativen, die zwar auf kommunaler oder regionaler Ebene konzipiert wurden, die aber weit darüber hinaus ausstrahlen.

Sönderborg zum Beispiel, ein Provinznest ganz im Süden Dänemarks, hat sich die Energieeffizienz auf die Fahnen geschrieben. Sein «Project Zero», eine Partnerschaft von öffentlichen und privaten Körperschaften, bringt den optimierten Einsatz von Energie praxisorientiert und nahe an die Bürger. Das Projekt läuft so gut, dass Sönderborg im Juni dafür eine globale Bühne bekam: Die Kleinstadt fungierte als Gastgeberin der prestigeträchtigen Jahreskonferenz der Internationalen Energieagentur (IEA) zu Fragen der Energieeffizienz.

Im grünen Scheinwerferlicht steht auch Samsö, das wie Aerö eine beschauliche Insel mit bloss ein paar tausend Einwohnern ist. Während Sönderborg und Aerö erst auf dem Weg zur Emissionsneutralität sind, hat Samsö diese bereits erreicht. Nicht ganz zufällig, denn 1997 wurde die Insel im Rahmen eines gesamtstaatlichen Wettbewerbs ausgewählt, genau dies im Rahmen eines Pilotversuchs vorzuexerzieren. Samsö hatte laut der Jury den besten Plan dazu präsentiert und hatte die besten Bedingungen dafür. Und Dänemark suchte ein Aushängeschild, das zeigen würde, dass die Energiewende tatsächlich zu schaffen sei.

Ein weiteres Beispiel für zukunftsgerichtetes Denken in einem lokalen Kontext ist die Kleinstadt Kalundborg. Mit ihrem Tiefwasserhafen am Grossen Belt (von dem aus auch eine Fährverbindung nach Samsö besteht) entwickelte sie sich nach und nach zu einem Standort für diverse Industriebereiche, von Energie über Pharma und Biotech bis zu Baumaterialien. Die angesiedelten Unternehmen nahmen bereits in den 1970er Jahren einen Anlauf zu einer Kreislaufwirtschaft, in welcher der Abfall des einen Betriebs der Rohstoff des anderen sein würde. Durch ein extensives Röhrensystem werden Wasser, Dampf und andere Stoffe ausgetauscht.

All diesen Projekten ist gemeinsam, dass sie in einem relativ kleinräumigen Rahmen entstanden sind und ihnen nicht idealistische Visionen, sondern pragmatische Bestrebungen um eine Verbesserung der Wirtschaftlichkeit zugrunde liegen. Im Falle der Inseln Aerö und Samsö etwa erlauben Wind, Sonne und Biomasse die lokale Energieproduktion für Strom und Fernwärme, während zuvor praktisch alle Energieträger importiert werden mussten.

Sören Hermansen, der langjährige Projektleiter für die Energiewende auf Samsö, hatte von Anfang an postuliert, dass der Weg in die Emissionsneutralität auf wirtschaftlich nachhaltiger Grundlage stehen und für die Bevölkerung «etwas abwerfen» müsse. Sonst, so sagte er in einem Gespräch für die NZZ, hätte er die eher konservative Bevölkerung der Insel kaum für das Vorhaben gewinnen können.

«Guter Boden für neue Ansätze»

Teil der Strategie war nicht zuletzt, den Einwohnern über eine Genossenschaft Beteiligungen an Windrädern zu ermöglichen und damit die Akzeptanz der Anlage zu steigern. Mit diesem Modell bestanden in Dänemark damals bereits Erfahrungen. Es war schon bei dem 2001 eingeweihten Windpark Middelgrunden bei Kopenhagen, damals mit einer Kapazität von 40 MW der grösste Offshore-Windpark der Welt, zur Anwendung gekommen.

Machen die Dänen mit solchen Initiativen «von unten» eine bessere Energiepolitik als andere Länder? Sind sie talentierter darin, auf lokaler Ebene vernetzt zu denken und zu kooperieren? Das würde sie nicht unbedingt bestätigen, meint Lise Holmegaard Larsen von der Agentur State of Green, die als Scharnier zwischen öffentlicher Verwaltung, Industrie und Wissenschaft fungiert.

Aber Dänemark sei gut darin, neue Denkansätze mit Anreizen zu fördern. Wenn dann noch lokale Verankerung und Kooperation hinzukämen, schaffe das zweifellos ein Klima des Vertrauens bei der Gestaltung einer neuen Wertschöpfungskette.

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