Sonntag, 28. August 2022

Wasserknappheit: Von der Dusche aufs Feld

Zeit  hier  Von Maike Rademaker  28. August 2022

Auch bei Braunschweig hat es viel zu wenig geregnet, doch Mais und Roggen sprießen. In der Region wird gereinigtes Abwasser genutzt. Ein Modell mit Zukunft?

Ein Feld nahe Braunschweig, an einem heißen Sommertag im August.....

Dürre? Ist für den Landwirt kein Problem, obwohl es auch in diesem Landstrich viel zu wenig geregnet hat dieses Jahr und der sandige Boden jegliches Wasser im Nu versickern lässt. Der Grund steht auf dem Zuckerrübenfeld und brummt laut: eine Art riesige Kabeltrommel, belegt mit einem armdicken Schlauch. Weiter hinten zischt Wasser in hellen Fontänen über die Pflanzen: Olfe und seine Kollegen bewässern ihre Felder.

Was aber hier auf Mais, Roggen, Zuckerrüben niedergeht, ist nur zu einem kleinen Teil Grundwasser. Es ist vor allem geklärtes Abwasser, sogenanntes Klarwasser. Es ist das, was die Braunschweiger Einwohnerinnen und Einwohner tagtäglich den Abfluss runterspülen, aus Dusche, Toilette, Waschbecken, zu Hause und im Betrieb. Satte 37.000 Kubikmeter, sorgfältig geklärt in verschiedenen Stufen, landen davon jeden Tag auf den umliegenden Feldern, zusammen mit 13.000 Kubikmetern Grundwasser. Es ist ein einzigartiges Modell in Deutschland.

Bisher. Denn Wasserwiederverwendung ist das Stichwort, das neben dem Wassersparen angesichts der anhaltenden Dürre immer häufiger fällt. Kein Wunder: Jeden Tag rauschen pro Person im Schnitt 127 Liter bestes Trinkwasser in den Abfluss, von da in Kläranlagen und in die Flüsse. Warum nicht dieses Wasser wiederverwenden – soweit es möglich ist, trotz all der Keime und anderen Belastungen? Wie gut lässt es sich reinigen, was könnte man damit bewässern?

"Grundwasser würde mich das Doppelte kosten"

In Braunschweig hat man sich schon vor Jahrzehnten für die Wiederverwendung entschieden und investiert. Ein aufwendiges System an Leitungen, Pumpwerken und Hydranten sorgt seitdem dafür, dass das Klarwasser an die Felder der 80 Landwirte und Landwirtinnen gebracht wird, die Mitglied im hiesigen Verband sind. Am Feld besorgen insgesamt 170 bewegliche Trommelregner und Regenmaschinen den letzten Schritt.

"Ich muss mich um die Bewässerung nicht groß kümmern", sagt Olfe. "Das machen die Regenmeister und Regenwärter. Sie müssen sich mit den Landwirten absprechen, weil natürlich in trockenen Zeiten alle gern die Bewässerung haben wollen." Die Regenmeister bräuchten da manchmal ein dickes Fell, lacht er. Der Landwirt, der Mitglied beim Abwasserverband ist, zahlt pro Jahr und Hektar 83 Euro Beitrag für die Verregnung. "Grundwasser würde mich das Doppelte kosten."

Angebaut und bewässert werden allerdings nur Pflanzen, die Menschen nicht roh verzehren – Mais und Roggen in der Region gehen als Energielieferanten in die örtliche Biogasanlage. Denn nicht nur das Wasser wird wiederverwendet: Der Klärschlamm wird, nachdem er ausgefault wurde – sonst stinkt's richtig –, wieder fein dosiert beigemischt und düngt mit. "Das ist eine Gewinnsituation für alle: Wir Landwirte profitieren bei Wasser und Dünger und die Stadt bei der Entsorgung und Energieerzeugung", sagt Olfe. Mitunter müffelt die Wasserfontäne dadurch dann leicht. Anwohnerinnen und Anwohner der Felder werden deswegen vor Spritzern mit hohen Hecken geschützt. Laut Olfe stören sie sich aber nicht am Geruch: "Die beschweren sich eher über das Klack-klack der Anlage nachts."

Vorbilder weltweit

Mehrkosten fallen durch dieses Verfahren nicht an. "Die Braunschweiger Klärung ist nicht ungewöhnlich teuer, die Gebühren liegen bei entsprechenden Rankings im Mittelfeld", sagt die Geschäftsführerin des Abwasserverbands, Franziska Gromadecki. Sie sieht großes Potenzial in der Wasserwiederverwendung. "Wir haben zu wenig Süßwasser und fallende Grundwasserstände, da kann man mit der Nutzung dieses Wassers noch viel bewerkstelligen." Mit dem Wasser könne man ja auch Parks und Grünanlagen beregnen. Auch in der Landwirtschaft ist das Potenzial da: Immerhin werden in Deutschland fast 2,4 Millionen Hektar Fläche mit Energiepflanzen bebaut.

Es gibt auch genug Vorbilder. Wasserwiederverwendung mit geklärtem Abwasser ist in anderen europäischen Ländern verbreitet. So manches Gemüse und Obst in hiesigen Supermärkten dürfte in Kontakt mit diesem Wasser gekommen sein: "Im südeuropäischen Raum oder auch in Israel ist das längst etabliert. Aus diesen Ländern importieren wir Nahrungsmittel, die mit Klarwasser bewässert wurden – aber das wird ausgeblendet", sagt Professor Thomas Dockhorn. Er leitet das Institut für Siedlungswasserwirtschaft an der TU Braunschweig. Und es werde nicht nur bewässert: "In Windhoek, Namibia, macht man seit Langem aus Abwasser wieder Trinkwasser – das ist möglich und eine Frage der Technik."

Spätestens seit dem zweiten Jahr der Dürre sei die Wiederverwendung in aller Munde. "Die Landwirte sagen mir, wir brauchen dringend alternative Wasserquellen und effizientere Methoden der Bewässerung: Wenn es nicht mehr Wasser gibt, vertrocknen uns die Felder." Für den Forscher ist klar, dass beim Wasser genau wie bereits beim Müll neu gedacht werden muss. "Das große Thema ist die Kreislaufwirtschaft im Abwassersektor, wie wir sie beim Müll schon haben. Bisher werden mit sehr großem technischem Aufwand wertvolle Ressourcen wie zum Beispiel Pflanzennährstoffe eliminiert. Das ist widersinnig." Schließlich werde dazu bereits seit Langem geforscht. "Derzeit gehen erste Konzepte allmählich in die großtechnische Umsetzung und Skalierung – aber der Rechtsrahmen ist noch nicht angepasst. Das muss jetzt geschehen."

Rechtliche Anforderungen werden strenger

Tatsächlich sind es nicht nur die teuren Anfangsinvestitionen, die das Modell in Braunschweig schwer kopierbar machen. Oder die Entfernungen zwischen Kläranlagen und Feldern in bevölkerungsarmen Regionen, die einen Transport des Wassers teuer machen würden. Die Verwendung von Abwasser mit seinen Inhalten ist in Deutschland zudem fest eingezäunt von zahlreichen Gesetzen, vom Wasserhaushaltsgesetz über die Düngeverordnung bis zum Bodenschutzgesetz und der Rückstandsverordnung. Es geht vor allem um krankmachende Keime, Schwermetalle und Rückstände von Medikamenten – Wassernutzung ist streng reglementiert.

Und es könnten neue Anforderungen dazukommen. Weil bisher in der EU unterschiedliche Standards für die Wiederverwendung von Wasser gelten, hat die Kommission eine Richtlinie erarbeitet, die ab Juni kommenden Jahres umgesetzt werden muss. Das Wasser in Braunschweig entspricht diesen Anforderungen nicht – der Abwasserverband plant bereits Nachbesserungen. "Wir müssen das Wasser dann desinfizieren, also in einer bestimmten Größenordnung von Bakterien befreien", sagt Gromadecki.

Ob das, was der Abwasserverband in seine Anlage jetzt investiert, aber dann auch ein paar Jahre reicht, ist offen: Die EU-Verordnung erlaubt den Mitgliedstaaten, noch anspruchsvollere Regelungen zu entwickeln – und genau daran arbeitet man laut Umweltbundesamt in Deutschland. Es könnte Ergänzungen im Wasserhaushaltsgesetz und eine neue nationale Rechtsverordnung zur Wasserwiederverwendung geben, heißt es dort.

"Keine Probleme gegeben mit Krankheiten"

Forscher Dockhorn warnt allerdings davor, die Anforderungen auf diese Art immer höher zu setzen. Schon jetzt gelten höchste Qualitätsmaßstäbe, wenn es um die Bewässerung von Nahrungsmitteln gehe, die roh verzehrt würden. "Die Vorgaben der EU speisen sich aus internationalen Erfahrungen, unter anderem der Weltgesundheitsorganisation, und sind vernünftig. In Deutschland sind allerdings verschiedene Gruppen und ihre Interessen in der Umsetzung involviert – und man ist dabei, die Latte immer wieder nach oben zu versetzen. Maximalforderungen zu stellen ist allerdings schwierig in einer Situation, in der die Wasserwiederverwendung immer wichtiger wird", sagt er. Risiken und Chancen müssten vielmehr sorgfältig und wissenschaftlich basiert abgewogen werden.

Die Chefin des Abwasserverbands Gromadecki jedenfalls hat kein Problem mit derart bewässerten Produkten. "Ja, ich würde auch Nahrungsmittel essen, die mit unserem Wasser beregnet werden. In all den Jahren hat es hier keine Probleme gegeben mit Krankheiten."

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