Montag, 22. August 2022

52 Grad auf dem Asphalt: Wie Städte künftig gebaut sein müssen, um mit der Hitze umgehen zu können

 NZZ  hier   Oliver Camenzind (Text) und Christoph Ruckstuhl (Bilder) 

Die Sommer werden heisser. Damit die Städte nicht zu Brutöfen werden, braucht es mehr Grünflächen. Trotzdem werden wir auch künftig nicht inmitten von Bäumen leben.

So wie bisher wird man in Zukunft keine Städte mehr bauen können. In der Europaallee, einer Geschäftsmeile direkt beim Zürcher Hauptbahnhof, ist sofort klar, warum: Es ist hier viel zu heiss. Selbst an einem Tag mit verhältnismässig angenehmer Lufttemperatur von 26 Grad Celsius wärmt sich der Boden auf 42 Grad auf. Und diese Hitze strahlt ab.

Der Landschaftsarchitekt Daniel Keller steht schwitzend in der prallen Sonne, zeigt den Wert auf dem Display seines Messgeräts und schüttelt den Kopf. Bei 30 Grad Lufttemperatur hat er auf dem Asphalt der Europaallee  (fertiggestellt 2020) schon 52 Grad gemessen. «Und jetzt stellen Sie sich mal vor, wie das ist, wenn die Luft 37 Grad hat. Dann können Sie sich hier nicht mehr aufhalten. Unmöglich.»

Warum es hier so heiss wird, ist schnell erklärt: Alle Bodenflächen sind asphaltiert, die Fassaden der Gebäude sind aus Glas und Beton und teilweise sogar in dunklen Farben gehalten. Es gibt hier viel zu wenig Bäume, und die sind erst noch zu klein. Ausserdem steht die Hälfte von ihnen am Nachmittag im Schatten, wo sie nichts nützen. Wasser ist rar, kühlende Elemente wie Gras oder Kies sucht man vergeblich.

Immerhin geht ein Lüftlein, gerade herrscht Westwind. Aber mit dem Luftzug ist es so eine Sache: Kommt er nämlich aus einer anderen Himmelsrichtung, weisen die Gebäude ihn ab. Dann wird die Allee zum Brutofen.

Warum ausgerechnet hier, wo die letzten Gebäude doch erst 2020 fertiggestellt wurden, in klimatischer Hinsicht so viel falsch gemacht wurde – über diese Frage debattiert der Landschaftsarchitekt Keller mit seiner Geschäftspartnerin Cordula Weber an einem Stadtspaziergang.

Pflanzen standen für Wildheit – ein Albtraum der Architekten

2003 erlebte die Schweiz das, was heute noch als «Jahrhundertsommer» bezeichnet wird. An 50 Tagen zeigte das Thermometer im Mittelland mehr als 30 Grad an. So wie 2003 könnte es ab Mitte des laufenden Jahrhunderts jedes Jahr werden. Das zeigen diverse Klimaszenarien, unter anderem von Meteo Schweiz.

Die Folgen dieser Hitzewellen werden überall zu spüren sein. Aufgrund des sogenannten Hitzeinseleffekts sind Städte aber besonders betroffen. So kann es in Zürich schon heute um bis zu 10 Grad heisser werden als im Umland wenige Kilometer entfernt. Die Europaallee steht symbolhaft für die Probleme, die Städte bei Hitzewellen haben.

Für Cordula Weber hat es unter anderem kunsthistorische Gründe, weshalb diesen Entwicklungen bisher zu wenig Aufmerksamkeit zuteilwurde. «Die aufgeräumte Stadt mit leeren Flächen und klaren Formen galt im zwanzigsten Jahrhundert noch als Ideal, als urban», sagt sie. Pflanzen dagegen wüchsen und vermehrten sich und veränderten das Stadtbild dadurch auf dynamische Weise. Das sei den Architekten lange ein Graus gewesen. Zudem, fügt Daniel Keller an, sei der Leidensdruck wahrscheinlich bis vor kurzem zu wenig gross gewesen.

Für kühlere Städte braucht es politische Massnahmen

Dies dürfte sich nun ändern. Für das Bundesamt für Umwelt haben Cordula Weber und Daniel Keller in einem umfassenden Bericht schon 2018 eine ganze Reihe möglicher Massnahmen aufgelistet. In dem Bericht «Hitze in Städten» geht es unter anderem um Bäume. Ein grosser Baum verdunstet am Tag mehrere hundert Liter Wasser und kühlt die Umgebungsluft damit deutlich ab. Idealerweise wären Innenstädte also längst mit Laubbäumen zugestellt, denn sie werfen im Sommer zudem den begehrten Schatten.

Aber so einfach gehe das nicht, erklärt Daniel Keller. Der öffentliche Raum müsse vielen verschiedenen Ansprüchen zugleich gerecht werden. «Auf dem Sechseläutenplatz zum Beispiel gastiert einmal pro Jahr der Circus Knie. Das geht nicht mehr, wenn wir den Platz zu einem kleinen Stadtwald umfunktionieren.» Zudem gibt es technische Hindernisse. Ein Baum braucht Platz, um Wurzeln zu schlagen, er braucht Zugang zu Wasser. Über einer Tiefgarage – wie eben auf dem Sechseläutenplatz – geht das nicht. «Da müssen wir abwägen», sagt Keller: «Tiefgarage oder Bäume?»

Das ist aber häufig eher eine politische als eine architektonische Frage. Auch die Politik wird auf dem Weg zu kühleren Städten ihren Beitrag leisten müssen.

Hatte man bei der Neugestaltung des Sechseläutenplatzes vor rund zehn Jahren noch für eine Tiefgarage votiert, könnten sich die Prioritäten in Zukunft verschieben. Geht es nach dem kantonalen Baudirektor Martin Neukom, werden die Gemeinden mehr Handhabe bekommen, den Baumbestand zu vergrössern. So sollen Grenzabstände geringer werden und Unterbauungen wie Tiefgaragen auf einen bestimmten Anteil der Parzelle begrenzt.

Kopenhagen geht nachhaltiger mit Wasser um

In fortschrittlichen Konzepten ist es dabei längst nicht nur die Politik, die für klimafreundlichere Rahmenbedingungen sorgt. In Kopenhagen beispielsweise werden Anwohnerinnen und Anwohner ermutigt, freie Flächen nach Gutdünken zu bepflanzen. Im Stadtteil Österbro sind auf diese Weise Gärten an Wegrändern und auf Hausdächern entstanden. Das kühlt nicht nur die Umgebung, sondern sorgt auch dafür, dass Regenwasser nicht einfach in die Kanalisation abfliesst. Und dieser Beitrag zum Wasserhaushalt sei mindestens so wertvoll, so Cordula Weber.

Das Kopenhagener Modell bedeutet eine Abkehr von der bisherigen Praxis. Die zielte vor allem darauf ab, den städtischen Raum so trocken wie möglich zu halten, überschüssiges Wasser wurde durch die Kanalisation abgeführt. Mit der Klimaveränderung nehmen die Extreme zu, bei starken Niederschlägen werden Siedlungsbereiche überflutet, da die Kanalisation die Wassermengen nicht aufnehmen kann. Während Trockenperioden aber verdorrt die Vegetation. Was in der dänischen Hauptstadt seit einiger Zeit praktiziert wird, nennt sich nicht mehr Entwässerung, sondern Regenwasserbewirtschaftung.

Der Grundgedanke dieses Konzepts besteht darin, dass die grüne und blaue Infrastruktur Regenwasser aufnimmt, auf diese Weise Überschwemmungen verhindert und Wasser temporär zurückbehält und so später über die Verdunstung zu tieferen Temperaturen beiträgt. Für Cordula Weber und Daniel Keller ist das ein Modell, das sich bereits in vielen Städten bewährt. «Es ist simpel, aber sehr effektiv. Das lässt sich theoretisch auf alle Städte anwenden», sagt Keller. Vorausgesetzt natürlich, dass die Pflanzen die Hitze überstünden, fügt er an.

In weiteren Schritten können Flächen wie Strassen, Plätze oder Dächer sogar so angelegt werden, dass das Wasser, das dort nicht direkt versickert, in Rückhaltebecken aufgefangen werden kann. So stünde es zur Bewässerung zur Verfügung – beispielsweise für begrünte Fassaden an Hochhäusern.

Siesta? Eher nicht – dafür pendeln wir zu viel

Wird Zürich in zwanzig oder dreissig Jahren also von Ost bis West und von Nord bis Süd begrünt sein? «Eher nicht», erklärt Cordula Weber. Das gehe allein schon wegen denkmalgeschützter Gebäude und der bereits grossen Bauwerke und vielen Leitungen im Untergrund nicht. Bei neuen Entwicklungen sei aber mit mehr Grünflächen zu rechnen. Andernorts werde man sich dagegen mit Elementen wie Sonnensegeln begnügen müssen. Oder mit künstlichen Wolken, wie seit diesem Jahr eine auf dem Turbinenplatz steht.

Davon, dass wir uns einer südlicheren Lebensweise anpassen und mittags Siesta halten, geht Daniel Keller nicht aus. «Solche Entwicklungen sind schwer vorhersehbar, aber bei uns wird so viel gependelt, dass ich nicht annehme, dass sich die Leute am Mittag schlafen legen werden.» Höchstwahrscheinlich wird die Zukunft also ziemlich ähnlich sein, wie es die Gegenwart ist – einfach etwas heisser.

Die Frage ist nur: wie viel heisser? 

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