Donnerstag, 18. August 2022

Vorhaben Özdemirs: Wird das Tierwohllabel ein Rohrkrepierer?

 ARD Tagesschau  hier  19.07.2022  Von Nadine Bader, ARD-Hauptstadtstudio

Frühere Regierungen sind mit dem Versuch gescheitert, eine Tierhaltungskennzeichnung einzuführen. Nun will der grüne Landwirtschaftsminister Özdemir das Vorhaben umsetzen - aber mit welchem Geld?

Aller guten Dinge sind bekanntlich drei. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir von den Grünen könnte das in die Hände spielen. Schon zweimal ist die Einführung einer Tierhaltungskennzeichnung gescheitert. Beide Male war das Ministerium da noch unionsgeführt.

Das erste Mal im Jahr 2016, als der damalige Agrarminister Christian Schmidt von der CSU ein freiwilliges staatliches Tierwohllabel einführen wollte. Umgesetzt hat er das genauso wenig wie seine Nachfolgerin Julia Klöckner von der CDU. Als sie ihren Stuhl räumen musste, war dieses Vorhaben weiterhin ungelöst.

Dritter Anlauf

Im dritten Anlauf soll es nun endlich klappen. Diesmal sogar verpflichtend. Cem Özdemir gibt sich ambitioniert. "Wir machen das jetzt", sagte er Anfang Juni bei der Vorstellung der Eckpunkte für die gesetzliche Tierhaltungskennzeichnung. Gerade wurde laut Ministerium die Ressortabstimmung eingeleitet. Nach der Kabinettsbefassung muss das Vorhaben noch der EU vorgelegt werden. Ende des Jahres soll die erste Lesung im Bundestag stattfinden.

"Die Verbraucher und Verbraucherinnen wollen mehr Informationen", wird Özdemir nicht müde zu betonen. Und er wolle, dass auch morgen noch gutes Fleisch aus Deutschland auf unsere Tische komme. Die Fallhöhe ist also gesetzt. Der Minister von den Grünen will nicht so wie seine Amtsvorgänger von der Union an dem Vorhaben scheitern, mehr Tierschutz in der Tierhaltung umzusetzen.

07.06.2022  Özdemir stellt Kennzeichnung vor Ein Tierwohllabel mit fünf Stufen

Finanzierung nicht gesichert

Doch bisher ist die Finanzierung vollkommen unklar. Eine Milliarde Euro sind im Etat des Bundesagrarministeriums für die Jahre 2023 bis 2026 vorgesehen. Viel zu wenig, um die Landwirte beim Umbau der Ställe zu unterstützen. Experten veranschlagen dafür bis zu vier Milliarden Euro jährlich. Mehr Geld rausrücken wird Bundesfinanzminister Christian Lindner von der FDP aber wohl nicht. Mit der Begründung, keine Steuererhöhungen und keine zusätzliche Belastung für die Verbraucher und den Bundeshaushalt.

Wo auch immer in der Branche man sich umhört, herrscht Unverständnis. Es sei wirklich ärgerlich, dass sich die Ampelkoalition nicht zu einem klaren Kurs in der Finanzierung des Tierwohls durchringen könne, heißt es etwa vom Deutschen Bauernverband. Damit drohe weiterer Stillstand. Denn ohne ausreichende staatliche Finanzierung könnten deutsche Tierhalter angesichts des europäischen Wettbewerbs ihre Ställe nicht auf die höheren Standards umbauen.

Martin Hofstetter von Greenpeace sieht das ähnlich. Nicht nur bei den Landwirten schwingt die Befürchtung mit, dass mehr von ihnen aufgeben, wenn Druck und Anforderungen steigen, die Vermarktungsmöglichkeiten und die Finanzierung aber unklar sind. Hofstetter sagt, wenn die FDP sich da verweigere, dann müsse sie sich auch den Schuh anziehen, dass sie für diesen radikalen Abbruch in der Tierhaltung mitverantwortlich sei.

Wissenschaft: Label alleine noch kein "Gamechanger"

Auch in der Wissenschaft blickt man besorgt auf die Unterfinanzierung des Vorhabens. Harald Grethe, Agrarökonom an der Humboldt-Universität zu Berlin, befürwortet die Haltungskennzeichnung. Sie könne zur Transparenz beitragen. Aus der Marktforschung sei aber bekannt, dass mit Transparenz nur eine beschränkte Gruppe von Konsumentinnen und Konsumenten erreicht werde.

Die Anreize für einen Umbau ausschließlich über eine Kennzeichnung seien sehr begrenzt. "Kennzeichnung alleine reicht nicht aus. Wir brauchen zusätzlich dringend staatliche Zahlungen, die die Mehrkosten des Tierwohls ausgleichen, sonst ist der Umbau nicht zu schaffen", sagt Grethe.

Ähnlich sieht das Professor Achim Spiller, Agrarökonom an der Georg-August-Universität Göttingen. Ein Label alleine sei noch kein "Gamechanger". Der Wissenschaftler ist Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik, der das Bundeslandwirtschaftsministerium berät. Spiller befürchtet einen starken Abbau der Tierhaltung in Deutschland, wenn ein Label ohne ausreichend finanzielle Unterstützung eingeführt wird. "Und es wäre ja für den Tierschutz nichts gewonnen, wenn wir dann zukünftig mehr Fleisch importieren würden, vielleicht zu niedrigen Preisen, aber zu schlechten Haltungsstufen", sagt Spiller.

Liberale stellen sich bei Finanzierung quer

Die Liberalen pochen auf die Formulierung im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP. Darin ist festgehalten, dass der Umbau der Ställe durch ein "durch Marktteilnehmer getragenes finanzielles System" getragen werden soll. Der Handel verweist allerdings auf die Vorschläge der Borchert-Kommission.

Das Expertengremium hatte in der vergangenen Legislatur Finanzierungskonzepte erarbeitet, etwa die Einführung einer Tierwohlabgabe oder die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf tierische Produkte. Beides lehnt die FDP ab. "Insofern bedarf es eines weiteren Dialogs, um Lösungen zu finden. Daran wird sich der Lebensmittelhandel gern beteiligen", heißt es vom Handelsverband Lebensmittel (BVLH).

Im Bundeslandwirtschaftsministerium ist man derweil erst einmal zufrieden. Die Vorstellung der Eckpunkte zur verpflichtenden staatlichen Tierhaltungskennzeichnung sei gut gelaufen, heißt es. Es sei klar geworden, wer die auskömmliche Finanzierung des Vorhabens blockiere.

Auch Özdemir weiß, dass das Gelingen seines Prestigeobjekts steht und fällt mit der finanziellen Unterstützung der Landwirte. Gut möglich, dass die Tierhaltungskennzeichnung nun also im dritten Anlauf kommt. Und dass sie wegen der mangelnden Finanzierung auf kurze Sicht trotzdem erst einmal kein Erfolg sein wird.


18.08.2022  |  VON SASCHA MEYERS, DPA

Bio oder Massentierhaltung? Das Fleisch-Logo kommt

Kein Bundesadler, kein Schwarz-Rot-Gold: Die geplante staatliche Tierhaltungskennzeichnung für Fleisch soll in einem betont neutralen Stil in die Supermärkte kommen. Das Bundesagrarministerium sieht als einheitliches Logo ein schwarz-weißes, leicht abgerundetes Rechteck vor, wie aus einem Gesetzentwurf für die weiteren Beratungen hervorgeht. Innerhalb einer schwarzen Umrandung soll die Bezeichnung „Tierhaltung“ stehen. Die genaue Haltungsform anzeigen soll dann ein schwarz ausgefülltes kleineres Rechteck – bei insgesamt fünf kleinen Rechtecken für die Kategorien vom gesetzlichen Standard bis zu Bio.

Mit den Regelungen zur Gestaltung nimmt das Logo weiter Gestalt an, das zu den großen Vorhaben von Agrarminister Cem Özdemir zählt. Nach jahrelangen Auseinandersetzungen hat der Grünen-Politiker einen neuen Anlauf gestartet, um die Kennzeichnung 2023 zunächst bei frischem Schweinefleisch zu starten. Und zwar verpflichtend für inländische Erzeugnisse aller Haltungsformen und nicht mehr als ein freiwilliges Siegel für besonders hervorzuhebende Tierwohlleistungen, wie es noch Stoßrichtung von Amtsvorgängerin Julia Klöckner (CDU) gewesen war.

Das hat auch Auswirkungen auf den Look des Logos, das deshalb ohne wertende oder anpreisende Elemente wie Signalfarben oder Sterne auskommen soll. Um eine einheitliche Kennzeichnung und eindeutige Erkennbarkeit zu gewährleisten, soll laut dem Entwurf aber festgelegt werden, wie das Logo anzubringen ist: Bei verpacktem Fleisch direkt auf der Verpackung oder einem daran befestigten Etikett. Und zwar auf dem „Hauptsichtfeld“ – also da, wo Verbraucherinnen und Verbraucher beim Kauf höchstwahrscheinlich zuerst hinschauen. Bei losem Fleisch sollen demnach Schilder auf die Haltungsform hinweisen.

Özdemir hatte Eckpunkte der Kennzeichnung im Juni vorgestellt, der Referentenentwurf gestaltet sie nun weiter aus. Geplant ist ein System mit fünf Haltungskategorien während der Mast. Es beginnt bei der Haltungsform „Stall“ mit den gesetzlichen Mindestanforderungen. In der Stufe „Stall+Platz“ müssen Schweine unter anderem mindestens 20 Prozent mehr Platz haben, in der Stufe „Frischluftstall“ Kontakt zum Außenklima etwa durch offene Stallseiten. Geplant sind zudem die Stufen „Auslauf/Freiland“ und „Bio“. Auf dem Logo soll ein QR-Code stehen, um per Smartphone zu Infos zu den Haltungsformen zu gelangen.

Die Lebensmittelbranche will das vorgeschlagene Logo zunächst prüfen. Da das Label in seiner jetzigen Gestaltung vollkommen neu und anders als früher vorgestellte Varianten sei, müsse eine Meinungsbildung noch abgewartet werden, hieß es beim Lebensmittelverband auf Anfrage.

Die Verbraucherorganisation Foodwatch kritisierte das ganze Vorgehen. „Ein Label, das lediglich über die Unterschiede in der Haltung informiert, ändert rein gar nichts an millionenfachen Krankheiten und am Leiden von Nutztieren“, sagte Foodwatch-Strategiedirektor Matthias Wolfschmidt. Das Haltungslabel gaukele Verbrauchern vor, sie könnten durch Kaufentscheidungen das Elend der Nutztiere lindern.

Rinder und Geflügel folgen

Das Ministerium sieht die national verbindliche Kennzeichnungspflicht für frisches Fleisch als „guten Anfang“ für bessere Transparenz in Bezug auf die Haltungsform. In nächsten Schritten sollen Rinder und Geflügel, mehr Produkte und Absatzwege wie die Gastronomie folgen. Bei der bisherigen Rechtslage werde mit einer Vielzahl freiwilliger Label der Privatwirtschaft weiter keine klare Orientierung geboten, heißt es im Gesetzentwurf. Das Marktpotenzial für Fleisch aus besonders tiergerechter Haltung könnte nicht ausgeschöpft werden.

Diskussionsbedarf zu mehreren Aspekten der Kennzeichnung gibt es in der Ampel-Koalition jedoch noch. Und ungeklärt ist weiterhin eine gesicherte Finanzierung für die Bauern, damit sie nicht alleine auf Milliarden-Mehrkosten für bessere Haltungsformen sitzen bleiben. Aus der bisher strikt zurückhaltenden FDP kamen jetzt Signale, eine Abgabe auf Fleisch mitzutragen – jedoch mit der Erwartung, dass der Handel die Mehrkosten komplett trägt, um zusätzliche Belastungen für die Kunden in Zeiten steigender Lebensmittelpreise zu vermeiden.

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