Mittwoch, 24. August 2022

Grundwasser als „Umwelt-Zeitbombe“?

 Berliner Zeitung hier 21.8.2022

Auf dem Trockenen - Was Forscher dazu sagen

Versickert unser wertvolles Grundwasser?

Die Sommer werden heißer und trockener, und die Wasserdefizite unter unseren Füßen vergrößern sich. Welche Folgen hat das – und was kann man dagegen tun?

Lange Zeit war das Niveau des Grundwassers in Deutschland stabil. Was entnommen wurde, füllte sich auch wieder auf, über Niederschläge, mit Wasser aus Seen und Flüssen. Doch durch mehrere heiße und regenarme Jahre – vor allem seit 2018 – hat sich das geändert. Setzt sich dieser Trend fort, könnte künftig in manchen Regionen sogar die Trinkwasserversorgung, die sich zu drei Vierteln aus Grundwasser speist, gefährdet sein – wenn man sich nicht dagegen wappnet.

Innerhalb von 20 Jahren hat Deutschland 2,5 Milliarden Kubikmeter Wasser verloren – aus Böden, Vegetation, Gewässern und Grundwasser. Das entspricht etwa der Wassermenge des Bodensees, wie jüngst ein deutsch-amerikanisches Forschungsprojekt ergab. Grundlage waren Satellitendaten der Grace-Mission. Hier messen Satelliten mit höchster Präzision das Erdgravitationsfeld. Die Daten ermöglichen genaue Rückschlüsse auf die irdische Massenverteilung und ihre Veränderung – etwa durch den großflächigen Rückgang von Grundwasser-Reservoirs.

Doch was ist überhaupt Grundwasser? „Per Definition ist Grundwasser das Wasser zu unseren Füßen, es füllt die Porenräume, die Hohlräume zwischen Sand, Kies und Gesteinen aus und bewegt sich durch Schwerkraft zu Flüssen und Meeren hin“, vom Leipziger Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) im MDR. Durchnässter Boden und Sickerwasser sind damit nicht gemeint – obwohl sich das Grundwasser aus versickerndem Regenwasser speist, auch aus dem Wasser von Seen und Flüssen.

Das Absinken des Grundwassers ist eine „Umwelt-Zeitbombe“

„In Berlin sind im Untergrund, wie fast überall in Norddeutschland, zwei mächtige Grundwasserstockwerke ausgebildet“, schreibt die Senatsverwaltung für Umwelt. „Im unteren Stockwerk, das in einer Tiefe von ca. 300 Meter liegt, zirkuliert Salzwasser. Darüber schützt eine ca. 80 Meter mächtige hydraulische Barriere aus Ton das ergiebige Süßwasservorkommen, das wir als Trinkwasser nutzen können“. Rund 60 Prozent des Berliner Trinkwassers werden durch Uferfiltration aus Havel und Spree gewonnen, . Dafür gibt es rund 650 Trinkwasserbrunnen, zwischen 30 und 140 Metern tief.

„Fördert man Grundwasser in Flussnähe, dann versickert Flusswasser in das Grundwasser“, erklärt Jörg Dietrich, Hydrologe an der Universität Hannover. „Dabei wird es auf natürliche Weise gereinigt und es ergänzt das vorhandene Grundwasser, sodass die Entnahme den Grundwasserstand letztlich nicht so stark beeinträchtigt.“ Allerdings dauert die Versickerung aus dem Gewässer über verschiedenste Bodenschichten in das Grundwasser mindestens 50 Tage, mitunter auch Monate und Jahre.

Forschern zufolge liegt die große Gefahr darin, dass sich die Grundwasser-Reservoirs nicht mehr erholen, weil man dauerhaft immer mehr entnimmt, als neu nachgebildet wird. In trockenen Regionen der Welt sinke der Grundwasserspiegel oft so weit ab, dass er nicht mehr wirtschaftlich zu nutzen ist. Forscher sprechen von einer „Umwelt-Zeitbombe“. Denn das übermäßige Abpumpen von Grundwasser hat auch einschneidende Folgen für ganze Süßwasserökosysteme, die sich aus dem Grundwasser speisen.

Noch hat Deutschland genügend Grundwasser-Vorräte

Tickt diese „Umwelt-Zweitbombe“ auch bei uns? Die Grundwassermenge sei in Deutschland „kein großes Problem“, sagte der Hydrogeologe Andreas Musolff noch im Mai. „Wir haben genügend Vorräte und decken etwa 80 Prozent unserer Wasserversorgung über Grundwasserbrunnen ab“, so Musolff. Der Rest komme aus Oberflächenwasser, etwa aus Trinkwassertalsperren in den Mittelgebirgen. Dennoch sind grundlegende Veränderungen zu beobachten. In diesem Jahr unter anderem das Austrocknen ganzer Flüsse.

Die Anzahl der Monate mit unterdurchschnittlich hohen Grundwasserständen habe sich gegenüber früheren Jahrzehnten erhöht, sagen Forscher. „In einigen, aber nicht allen Regionen Deutschlands sind die Grundwasserspiegel in den letzten vier Jahren um einige Zentimeter bis Dezimeter – selten mehr – gesunken“, sagt Thomas Riedel, Wissenschaftler am IWW Zentrum Wasser in Mülheim an der Ruhr, in einer Umfrage des Science Media Centers Germany (SMC). In Berlin liege der Grundwasserspiegel derzeit 20 bis 50 Zentimeter unter dem langjährigen Mittelwert, warnte jüngst der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND).

Bereits Anfang der 1970er- und der 1990er-Jahre habe es starke Veränderungen im Grundwasser in Deutschland gegeben, die durch nassere Folgejahre wieder ausgeglichen wurden, so Riedel. Im Vergleich zu Ländern wie Kalifornien oder Indien, wo über Jahrzehnte vereinzelt die Grundwasserstände um bis zu 100 Meter abgesunken seien, sei die Situation noch nicht beunruhigend. „Es sollte aber dennoch als Warnung verstanden werden.“

Das Abfallen des Grundwasserspiegels ist seit 2003 und im Nordosten Deutschlands besonders ausgeprägt und kann auf den Klimawandel zurückgeführt werden“, erklärt Petra Döll, Professorin für Hydrologie an der Universität Frankfurt am Main. Mancher nennt die Region Berlin-Brandenburg auch .

Prognosen für ganz Deutschland, die auf Klimamodellen beruhen, zeigen etwas Interessantes. Für viele Regionen würden vor allem im Juni, Juli und August „im Durchschnitt weniger Niederschläge im Vergleich zur jüngeren Vergangenheit erwartet“, sagt Thomas Riedel. Dafür werde es im Winter und Frühjahr, wo die meiste Grundwasserneubildung stattfinde, mehr Niederschlag geben. „Dieser Trend wird umso stärker, je stärker der Klimawandel ausfällt“, sagt Riedel. „Das bedeutet, dass auch die Menge an Grundwasserneubildung im Winter und Frühjahr leicht zunehmen wird.“  (Anmerkung: falls das Wasser dann nicht als Flutregen fällt)

Doch das wird wohl nicht ausreichen, um die Defizite auszugleichen. Denn je heißer und trockener die Sommer sind, desto mehr Wasser wird verbraucht: für die notwendige Bewässerung von Gärten, Parks, Grünflächen, die Landwirtschaft, für Klimaanlagen, Pools und die Kühlung von Anlagen. Der größte Teil davon ist Trinkwasser. Die möglicherweise leicht erhöhte Grundwasserneubildung im Winter stehe zukünftig also einem größeren Bedarf an Wasser im Sommer gegenüber, sagt Riedel. Bei zunehmendem sommerlichen Bedarf wachse das Risiko für sinkende Grundwasserstände in einzelnen Grundwasserleitern.

Der Hydrologe Jörg Dietrich verweist allerdings auf verschiedene Wechselwirkungen, die Prognosen schwieriger machten. „Kommt es zunehmend zu Starkregen, dann fließt mehr Wasser oberflächlich ab, statt zu versickern. Nimmt der Bodenfrost ab, dann kann es bei Schneeschmelze – oder auch bei Ausbleiben von Schnee – hingegen zu verbesserter Versickerung im Winter kommen“, erklärt Dietrich.

Nahezu sicher sei aber, dass es durch höhere Temperaturen zu mehr Verdunstung komme und damit Wasser der Landoberfläche in Richtung Atmosphäre „entzogen“ werde. „Infolgedessen entsteht ein höherer Wasserbedarf der Vegetation, insbesondere in der Landwirtschaft.“ Dennoch sei Deutschland weit von einem „nationalen Problem“ entfernt, so Dietrich. „Die verfügbaren Wasserressourcen und der technische Fortschritt erlauben es, die Wasserwirtschaft weiter zu optimieren und an die erwarteten Änderungen anzupassen.“

Doch wie soll diese Anpassung aussehen? „Man sollte vermeiden, Trinkwasser für die Bewässerung zu verwenden, und könnte Reservoirs aufbauen, die mehr Regenwasser speichern“, sagt zum Beispiel Sonia Seneviratne, Professorin am Center für Klimasystem-Modellierung der ETH Zürich. Kurz, es geht darum, möglichst sparsam und nachhaltig mit dem Wasser unter unseren Füßen umzugehen und dafür Regenwasser besser zu nutzen.

Ideen dazu gibt es genügend, unter anderem im Konzept der „Schwammstadt“ („Sponge City“). Dieses verfolgt das Ziel, Regenwasser, das sonst durch die Kanalisation in die Gewässer gelangt, in der Stadt zu halten, es zu nutzen, zu speichern, versickern und verdunsten zu lassen. Dazu werden vielerorts Regenrückhaltebecken gebaut, die Wassermassen bei Starkregen aufnehmen sollen, Flächen entsiegelt, kleine Speicherräume im Straßenraum und auf Dachflächen geschaffen. Auf dem Land wiederum sollen Moore wieder vernässt und trockengelegte Flussauen renaturiert werden, sagt Claudia Pahl-Wostl, Professorin für Ressourcenmanagement an der Universität Osnabrück.

Schaut man sich aber in großen Teilen Berlins um, dann sieht man: Gärten und die für das Stadtklima so wichtigen Straßenbäume werden meist mit Trinkwasser gegossen. Dabei sind andere Städte schon weiter. Bochum etwa zeigt, wie man Regenwasser von Dächern auf eine Fläche leiten kann, von der aus unterirdische Baumrigolen gespeist, also Bäume bewässert werden. So etwas könnte man an auch in Berlin machen. Das Prinzip heißt „Regen zu Baum“.

Regenwasser von Dächern zu den Bäumen leiten

Für den 6. September, 19 Uhr, lädt der Berliner Wasserrat ins Haus der Demokratie, Greifswalder Straße 4, zu einer . Die Konferenz soll einen Vorschlag entwickeln, wie so etwas in Berlin umgesetzt werden könnte. „Die Fläche aller Dächer der Stadt beläuft sich auf etwa 300 Millionen Quadratmeter“, sagt der Agrarökonom Hermann Wollner. „Da fallen jährlich insgesamt mindestens 150 Millionen Kubikmeter Regenwasser drauf.“ Davon könnten die 430.000 Straßenbäume Berlins profitieren, wenn man es richtig anstellt.

Forscher machen eine Reihe weiterer Vorschläge, um Grundwasser zu sparen. So könnten in der Stadt öffentliche Flächen und Privatgärten mit weniger Rasen und mehr trockenresistenten Sträuchern bepflanzt werden. In der Landwirtschaft könnte man mehr Tröpfchenbewässerung nutzen, wie sie seit der Antike bekannt ist, weniger wasserintensive Feldfrüchte anbauen und generell Wasser besser speichern und recyceln. Beispiele dafür gibt es aus verschiedenen Teilen der Welt:

„In trockenen Regionen Indiens wird Wasser aus Monsunregenfällen bewusst in kleine Versickerungsbecken umgeleitet, um die dort besonders stark übernutzten Grundwasserleiter wieder zu füllen“, sagt der Hydrologe Jörg Dietrich. „In Zypern wird ein ganzer Fluss im Winter zur Versickerung – und damit Grundwasserneubildung – gebracht, damit das angereicherte Grundwasser im trockenen Sommer genutzt werden kann“, erzählt Thomas Riedel vom IWW Zentrum Wasser. Auch ein deutsches Beispiel gibt es: „Die Zuckerfabrik Uelzen leitet Wasser nicht mehr in einen nahe gelegenen Fluss, sondern speichert es in einem Becken, von wo aus es im Folgejahr für die Bewässerung genutzt werden kann“, sagt Dietrich. „Das ist eine schlaue Lösung zur Optimierung regionaler Kreisläufe.“

Ein Mix aus Wassersparen, Recycling, Speicherung und Umverteilung

Generell fordern die Forscher ein besseres Wassermanagement in Deutschland. Es gehe um eine „überregionale – am besten nationale – ‚vorausschauende Strategie‘, sagt Claudia Pahl-Wostl, und zwar zu den Fragen: „Wie geht man um mit der Priorisierung von Nutzungen in Zeiten von akutem Wassermangel? Was passiert, wenn vermeintlich wasserreichen Gebieten in zehn Jahren doch weniger Wasser zur Verfügung steht als erwartet?“ Es bräuchte den Forschern zufolge auch Kampagnen zum Wassersparen. Diese müssten ganz sicher in besonders trockenen Zeiten auch Verbote des Rasensprengens, der Autowäsche oder der Pool-Befüllung mit Trinkwasser beinhalten, wie es sie in anderen Ländern bereits gibt.

Dass künftig in ganz großem Maße Wasser innerhalb Deutschlands umverteilt werden muss, um besonders trockene Gebiete zu versorgen, glauben die befragten Wissenschaftler eher nicht. „Bereits heute gibt es eine große Zahl von Fernwasserleitungen, mit denen urbane Gebiete mit hoher Bevölkerungsdichte versorgt werden“, sagt Claudia Pahl-Wostl. „Im Bereich Trinkwasserversorgung ist die Infrastruktur in Deutschland historisch bereits so gewachsen, dass in Regionen, in denen es viel Niederschlag, aber keine ausreichenden Grundwasservorkommen gibt – vor allem die Mittelgebirge –, dieses Wasser in Talsperren gesammelt wird und per Fernleitung in andere Regionen transportiert wird“, sagt Thomas Riedel. Auch Verbundsysteme, bei denen sich mehrere Wasserversorger gegenseitig aushelfen könnten, würden häufiger.

Der Hydrologe Jörg Dietrich sieht es optimistisch: „Unsere Gesellschaft wird voraussichtlich auf eine Mischung aus Wassersparen, Recycling, natürlicher Speicherung und in kleinerem Maße auch Umverteilung setzen, um sich dem Klimawandel anzupassen.“

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