Freitag, 19. August 2022

FINANZHILFEN: Wir haben es ja

hier im Südkurier

 18.08.2022  |  VON ULRIKE BÄUERLEIN, STUTTGART

Die Zahl der Forderungen nach staatlicher Hilfe ist dieser Tage ebenso inflationär wie der Kaufkraftverlust. Es vergeht kein Tag, an dem angesichts der drohenden Energiekrise und steigender Preise nicht ein Verband wahlweise eine finanzielle Entlastung, einen kräftigen Zuschuss aus der Staatskasse oder beides verlangt. Ob Breitensport oder Handwerk, ob Sozial- und Wohlfahrtsverband oder Mittelstandsunternehmen, ob Städte- und Gemeindetag oder Großkonzerne – für die Folgen von Putins Krieg soll der deutsche Staat bezahlen.

Ganz unschuldig ist die Politik an dieser Anspruchshaltung nicht. Nicht nur, dass über Programme wie Tankrabatt, Neun-Euro-Ticket oder Energiegeld Milliarden mit der Gießkanne an alle Bürger verteilt wurden, ob sie es brauchen oder nicht. Auch Teile der Wirtschaft haben aus den staatlichen Hilfspaketen der Corona-Krise die Erkenntnis mitgenommen, dass der Staat offenbar stark genug und willens ist, Risiken selbst börsennotierter Unternehmen finanziell abzufedern, auf dadurch ermöglichte Gewinne oder Dividenden aber noch nicht einmal nominell Anspruch erhebt. Das lässt die Begehrlichkeiten ins Maßlose wachsen. Denn offenbar haben wir es ja.

Aber weder der SPD-Kanzler noch der grüne Wirtschaftsminister und schon gar nicht der FDP-Finanzminister machten sich bislang die Mühe, zu erklären, warum beispielsweise die 300 Euro Energiekostenzuschuss auch an alle Gutverdiener samt ihrer eigenen Gehaltsklasse ausgezahlt werden – aber Rentner leer ausgehen. Auch alle Erwerbslosen – darunter Alleinerziehende, chronisch Kranke, Behinderte und andere sozial schwache Personen sollen die Gasumlage Stand heute mit bezahlen. Für diese Gruppe dürfte die gerade beschlossene Mehrwertsteuersenkung auf Gas kaum Erleichterung bringen. Eine SPD, deren Kanzler so etwas mitträgt, hat das Thema soziale Gerechtigkeit aus ihrer Agenda gestrichen. Doch der Aufschrei der Genossen bleibt aus.

Überhaupt ist erstaunlich, wie stoisch Bundeskanzler Olaf Scholz die unverfrorene Klientelpolitik des Christian Lindner hinnimmt. Der FDP-Politiker darf weiter davon schwadronieren, dass eine Folgeregelung für das Neun-Euro-Ticket „unfair“ wäre und günstiger öffentlicher Nahverkehr eine „Gratismentalität“ befördere, aber im Gegenzug fälschlich und geradezu dreist behaupten, das Abschaffen des Dienstwagenprivilegs sei im Vergleich dazu nicht haushaltsrelevant. Dabei übersteigt die Pro-Kopf-Subvention pro Dienstwagen die für ein günstiges Nahverkehrsticket um ein Vielfaches. Wer sich je fragte, für was Lindners FDP eigentlich steht: Das ist die Antwort.

Insgesamt gibt die Finanzpolitik des Bundes derzeit ein verheerendes Bild ab. Es stimmt: Angesichts der aufgrund der äußeren Faktoren unberechenbaren konjunkturellen Lage ist es vor der Herbst-Steuerschätzung kaum möglich, eine belastbare Haushaltsplanung vorzulegen. Das Mindeste aber wäre, eine Richtung aufzuzeigen. Wo wollen wir hin? Denn es geht schlicht nicht zusammen, sowohl Steuererhöhungen als auch neue Schulden auszuschließen und gleichzeitig noch weitere Entlastungen zu versprechen. Es ist überfällig, dass sich diese Bundesregierung haushalterisch ehrlich macht. Auch, wenn es damit mindestens für einen der drei Koalitionspartner unbequem wird.

Bei dieser Gelegenheit müsste dann auch einmal begründet werden, warum es sich Deutschland – im Gegensatz zu anderen EU-Ländern – nach wie vor leistet, auf eine Übergewinnsteuer für kriegs- und krisenprofitierende Unternehmen zu verzichten, aber über Nacht eine von den Verbrauchern zu bezahlende Gasumlage eingeführt wird, um wiederum diese Unternehmen zu entlasten. Dabei haben bereits zwei große Gasversorger erklärt, die Umlage gar nicht in Anspruch nehmen zu wollen. Der Kanzler wird gute Erklärungen brauchen für seine Politik in den kommenden Monaten. Je länger er wartet, desto lauter werden die Trillerpfeifen und Buhrufe, die er übertönen muss.

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