Montag, 22. August 2022

Riesenerfolg oder Riesenpleite?

 hier im Südkurier  15.08.2022  |  VON DOMINIK DOSE

NEUN-EURO-TICKET Erfolg ausbauen

Misserfolge umdeuten, Probleme kleinreden, das sind ohne Fragen politische Kernkompetenzen.
Womit sich die Regierenden offensichtlich deutlich schwerer tun: Erfolge als solche wahrzunehmen und sie entsprechend auszubauen. Anders ist das Rumgeeiere um die Nachfolge des Neun-Euro-Tickets kaum zu erklären.

Sehr viele Menschen haben das Ticket gekauft, es genutzt und ja, manche sind sogar einfach zum Spaß damit gefahren. Was groteskerweise gegen den Günstigtarif verwendet wird – also ob es etwa der Umwelt schaden würde, wenn ich mich aus Gaudi in einen Zug setze. Wie viele tatsächlich schädliche Sinnlos-Fahrten durch die tankrabattierten Spritpreise verursacht worden sind, das verschweigt man lieber. Und ja, natürlich hat die Bahn Defizite, die nun deutlich geworden sind. Aber dann müssen wir die beheben – und mit einem zwar nicht ebenso günstigen, aber doch weiterhin leistbaren Bus-und-Bahn-Ticket jedem den Zugang zu umweltfreundlicher Mobilität offenhalten. 


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15.08.2022  |  VON ANGELIKA WOHLFROM ANGELIKA.WOHLFROM@SUEDKURIER.DE

Riesenerfolg oder Riesenpleite?

Seit fast drei Monaten gibt es nun das Neun-Euro-Ticket, mit dem man in ganz Deutschland den regionalen Bus- und Bahnverkehr nutzen darf. Ende des Monats soll Schluss sein, so hatte es jedenfalls die Ampel-Koalition beschlossen. Vorstöße, das Ticket beizubehalten, gibt es viele. Auch verschiedene Ideen, wie es weitergehen könnte. Der Koalitionspartner FDP hat zuletzt allerdings ziemlich deutlich gemacht, dass er mit „Gratismentalität à la bedingungslosem Grundeinkommen“ im öffentlichen Nahverkehr nichts anfangen könne.

Höchste Zeit Bilanz zu ziehen: War’s denn gut? Sollte man es beibehalten? Auf den ersten Blick ist da erstmal ein riesiger Erfolg. Seit dem Verkaufsstart Ende Mai sind nach Angaben des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) bundesweit rund 38 Millionen Neun-Euro-Tickets verkauft worden. Außerdem erhielten monatlich etwa zehn Millionen Abonnenten einen entsprechenden Rabatt.

Schon nach dem ersten Monat hatte der VDV eine gründlichere Auswertung vorgenommen. Die Ergebnisse: Jeder fünfte Nutzer des Neun-Euro-Tickets hatte den ÖPNV vorher normalerweise nicht genutzt. Und jede vierte Fahrt hätte gar nicht stattgefunden ohne das Ticket. Das zeigt, dass dem Ticket genau das gelungen ist, was sich Verfechter einer Verkehrswende gewünscht hatten: Menschen in Bus und Bahn zu locken, die sich sonst gewohnheitsmäßig ins Auto setzen.

Klimatechnisch weniger vorteilhaft das zweite Ergebnis. Fahrten zu fördern, die sonst nicht stattgefunden hätten, könnte man als unnötig bezeichnen – auch wenn diese Wochenendausflüge sicherlich vielen Spaß gemacht haben.

35 Prozent nutzten häufiger die Bahn

Einer Studie aus dem Großraum München, die Bewegungsdaten Hunderter Teilnehmer ausgewertet hat, kam zum Schluss, dass 35 Prozent der Probanden häufiger mit Bus und Bahn fuhren – aber nur drei Prozent ihr eigenes Fahrzeug seltener nutzten. Demnach hätte das Neun-Euro-Ticket vor allem eines gebracht: mehr Verkehr. Fachleute warnen allerdings, dass die Datenlage noch sehr dünn sei.

Matthias Lieb vom Verkehrsclub Deutschland (VCD) ist passionierter Bahnfahrer, pendelt regelmäßig von Mühlacker nach Stuttgart. Er ist überzeugt: „Der öffentliche Verkehr hat insgesamt einen Imagegewinn erreicht, weil viele Leute, die sonst gar nie Bus und Bahn fahren, das tatsächlich genutzt haben.“ Der ÖPNV sei ins Bewusstsein einer großen Bevölkerungsgruppe getreten. Das Ticket habe aber auch die Defizite des öffentlichen Nahverkehrs aufgezeigt: Zum einen, dass es teilweise zu wenig Kapazitäten gibt, zum anderen, dass das Angebot im ländlichen Raum zu gering ist. „Das Gefälle zwischen Stadt und Land war eigentlich schon klar, aber jetzt ist es nochmal deutlicher geworden.“

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Schuld am Bahnchaos haben zumindest im Süden Baden-Württembergs auch die zahlreichen Baustellen. Die Gäubahn ist wegen Bauarbeiten die ganzen Sommerferien lang nur mit zwischenzeitlichem Umstieg auf Bus zu benutzen. Auch bei der Schwarzwaldbahn müssen Fahrgäste seit Ende Juni zwischen Hausach und St. Georgen in Busse umsteigen. Grund: Der Reifenverschleiß war auf den 2021 frisch verlegten Gleisen zu hoch. Die Bahn will nun mit drei Schleifmaschinen die Gleise abschleifen, um die Reibung zu minimieren. Bis Ende August sollen die Gleisarbeiten abgeschlossen sein.

Weil der Bahn Personal fehlt und sich die Materialschäden häufen, fallen überdies für zwei Wochen etliche Verbindungen zwischen Ulm und Friedrichshafen, Ulm und Aulendorf sowie Aulendorf und Kißlegg aus, wie der Bodensee-Oberschwaben-Verkehrsverbund (Bodo) mitteilen musste. Betroffen sind auch der Seehas, die Remsbahn, die Rheintalbahn, die Höllentalbahn sowie die Donautalbahn, wie das Verkehrsministerium bekannt gab.

...Die Beschwerden, die das Neun-Euro-Ticket für gehandicapte Menschen bedeutet, sind auch beim Sozialverband VdK angekommen. „Das Neun-Euro-Ticket ist ein gutes Angebot für Menschen mit kleinen Einkommen. Allerdings ist es Fahrgästen etwa mit Rollstuhl oder Rollator, aber auch Eltern mit Kinderwagen teilweise unmöglich, in den Zug zu kommen und dort einen Stell- oder Sitzplatz zu finden“, sagt VdK-Präsidentin Verena Bentele auf SÜDKURIER-Anfrage....

Matthias Lieb vom VCD hofft dennoch darauf, dass das große Nahverkehrsexperiment Ende August nicht einfach zum Abbruch kommt. Er schließt sich dem VDV an und seinem 69-Euro-Monatsticket. „Ich hätte da schon Hoffnung, dass viele Menschen das nutzen würden“, sagt Lieb. Auch wenn 69 Euro ganz anders ins Gewicht fallen als neun. Mit 69 Euro drohen zumindest die Züge nicht mehr ganz so voll zu werden. Was gut ist. Denn auf die ganz große Verkehrswende ist die Bahn im Moment jedenfalls nicht vorbereitet......

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