Montag, 8. August 2022

Und schon wieder Atomenergie: "Abschalten, jetzt erst recht!"

2 neue Artikel mit guten Argumenten aus 2 sehr unterschiedlichen Presseorganen: Spiegel und FAZ. Beide sind lesenswert.

Spiegel  hier   07.08.2022  Ein Gastbeitrag von Achim Brunnengräber, Albert Denk und Lucas Schwarz

Zu den Autoren

Albert Denk (Soziologe, Jahrgang 1982), Achim Brunnengräber (Politikwissenschaftler, Jahrgang 1963) und Lucas Schwarz (Geograf, Jahrgang 1995) arbeiten am Forschungszentrum für Nachhaltigkeit (FFN) der FU Berlin im Projekt Transens: »Transdisziplinäre Forschung zur Entsorgung hochradioaktiver Abfälle in Deutschland«. Das Verbundprojekt, an dem 17 Forscherteams aus Deutschland und aus der Schweiz beteiligt sind, wird vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) und aus dem Niedersächsischen Vorab der Volkswagenstiftung von 2019 bis 2024 gefördert.


Renaissance der Atomkraft: Abschalten, jetzt erst recht!

Kernkraft ist eine klimafreundliche Energiequelle, dank der wir sicher durch den Winter kommen? Von wegen! Fünf Gründe gegen den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken, die in der derzeitigen Debatte unterschlagen werden.

Atomkraft bestimmt einmal mehr die Schlagzeilen – Ausstieg, Streckbetrieb oder Laufzeitverlängerung? Gegenwärtig wird die Debatte durch die kriegsbedingte Krise und die Gasknappheit angefeuert. Die Vorstellung von kaltem Duschen, ungeheizten Wohnräumen und exorbitanten Stromrechnungen wirkt auf viele Menschen existenziell und bedrohlich. Angst ist jedoch selten ein guter Ratgeber. Sie führt zu zunehmend populistischen Zügen in der Debatte sowie zu Vereinfachungen und Verkürzungen. Dabei wird der Blick auf angeblich klimaneutrale Atomkraftwerke verengt, die uns in Kriegszeiten mitunter durch den nächsten Winter bringen sollen.

Nicht grundlos aber hat diese Form der Energiegewinnung über Jahrzehnte hinweg zu heftigen Konflikten geführt. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine zeigt darüber hinaus einmal mehr, welche Gefahren von Atomkraftwerken gerade im Krieg ausgehen. Dennoch sehen Pro-Atom-Akteure ihre Chance, über das Einfallstor des möglichen Streckbetriebs hinaus die Atomkraft in Deutschland wieder salonfähig zu machen. Laufzeitverlängerungen inklusive der Beschaffung neuer Brennelemente oder gar AKW-Neubauten werden ins Spiel gebracht. Die vielfältigen Argumente gegen die Atomkraft werden in der Debatte unterschlagen:

Erstens ist Atomkraft eine der umweltschädlichsten Energiequellen der Menschheitsgeschichte, obwohl gern das Gegenteil behauptet wird. Das wird nur dadurch möglich, dass nicht die gesamte Energiekette betrachtet wird, die mit dem Uranabbau beginnt. Der Ressourcenkolonialismus hat im brasilianischen, kasachischen oder namibischen Tagebau auch zu Vertreibungen indigener Völker, Brandrodungen, Grundwasserkontaminationen, zum Verlust der Biodiversität oder der Hebung von Grubenwasser samt der Verunreinigung mit Schwermetallen geführt. Nicht nur beim Betrieb des Tagebaus werden große Mengen an Diesel verbraucht, energieintensiv sind auch die Transporte des nuklearen Materials rund um den Globus und die Herstellung der Brennelemente, die wiederum zu den Kernkraftwerken und später zum Zwischenlager oder den Anlagen zur Wiederaufarbeitung transportiert werden müssen.

Zweitens nimmt die Menge an Atommüll, die in ein Endlager eingelagert werden muss, weiter zu, obwohl bis heute – weltweit (!) – noch kein einziges Endlager in Betrieb genommen wurde. Nicht ohne Grund galt in Deutschland zur Inbetriebnahme eines Kernkraftwerks die gesetzliche Nachweispflicht für ein Endlager. Diese Funktion hatte das Erkundungsbergwerk Gorleben ausgefüllt. Gorleben ist allerdings Ende 2020 nach über vier Jahrzehnten des Widerstandes aus der Standortsuche ausgeschieden. Daraus leitet sich die Frage ab, auf welcher Grundlage eigentlich der Weiterbetrieb von AKW hinsichtlich eines immensen Entsorgungsproblems gerechtfertigt ist. In der aktuellen Debatte verschiebt sich der Fokus auf kurzfristige Lösungen, die aber mit den langfristigen Herausforderungen im Widerspruch stehen.

Drittens übergeben wir damit ein hohes Risiko an alle uns nachfolgenden Generationen. In Deutschland hat der Gesetzgeber eine möglichst sichere Lagerung der hoch radioaktiven Abfälle für einen Zeitraum von einer Million Jahre festgeschrieben, 500 Jahre lang soll die Bergung der Abfälle möglich sein. Welche Gefahren für den Menschen und seine natürliche Umwelt in diesem nach menschlichem Ermessen unüberschaubaren Zeitraum noch entstehen werden, ist heute nicht annähernd abzuschätzen. Schon die Lasten durch den Bau und die Einlagerung des Endlagers werden erheblich sein. Die negativen Konsequenzen der Energiegewinnung durch Kernkraft sind folglich nicht nur heute im globalen Süden spürbar, sondern werden auch zukünftig lebenden Menschen Sorgen bereiten, ohne dass diese irgendeinen Nutzen daraus ziehen konnten. Atomkraft funktioniert schlicht auf Kosten anderer.

 Viertens bleibt Atomkraft eine vom Menschen nicht vollkommen kontrollierbare Hochrisikotechnologie. Der permanente Vergleich, die deutschen Atomkraftwerke seien die sichersten der Welt, hat letztlich keine Aussagekraft darüber, ob sie nun sicher sind oder nicht. Im Zweifelsfall besteht das Prädikat der Sicherheit nur bis zum Unfall, der sowohl räumlich als auch zeitlich weitreichende Folgen hätte. Die drei letzten Atomkraftwerke in Deutschland, um die es geht, sind betagte 34 Jahre alt. Die letzten Sicherheitsüberprüfungen fanden 2009, also vor 13 Jahren (!) statt. Seit der Inbetriebnahme gab es in den drei verbleibenden Reaktoren zusammen 407 meldepflichtige Ereignisse (sicherheitstechnisch relevante Ereignisse, die potenziell auch Strahlenaustritte umfassen); neben den Ereignissen, die dieser Meldepflicht nicht unterliegen.

Selbst die sichersten Kraftwerke werden nie frei von der Gefahr eines Super-GAUs sein, der Reaktorkatastrophe mit Kernschmelze und dem Austritt radioaktiver Strahlung. Nach der Reaktorkatastrophe im heute ukrainischen Tschernobyl (1986) wurde noch auf eine veraltete sowjetische Technologie verwiesen. Nach dem GAU im japanischen Fukushima (2011), bei dem mit einem Tsunami dieses Ausmaßes schlicht nicht gerechnet wurde, war dies nicht mehr möglich. Der Klimawandel wird aufgrund von Wetterextremen für weitere solcher Unberechenbarkeiten sorgen. Was geschieht, wenn – wie jetzt schon in Frankreich zu beobachten – AKW aufgrund von steigenden Temperaturen der umliegenden Flüsse nicht mehr hinreichend gekühlt werden können? Oder Katastrophen plötzlich und unerwartet – wie bei der Hochwasserkatastrophe im Aartal – die gesamte Infrastruktur zerstören? Nicht grundlos ist die Frage der Haftung bei einem Streckbetrieb noch ungeklärt. Die Betreiberfirmen der AKW wollen diese ab 2023 nicht mehr übernehmen.

Fünftens sind Atomkraftwerke, wie Russland der Welt vorgeführt hat, im Krieg von doppelter strategischer Bedeutung. Wer die zentralen und großen Versorgungsanlagen zur Stromgewinnung unter seine Kontrolle bringt, kann weite Teile des gesellschaftlichen Lebens kontrollieren. Neben der Kontroll- besteht eine Abschreckungsfunktion. Wer ein AKW direkt angreift, der provoziert oder riskiert immer den Super-GAU. Putins damit verbundene Drohung gegenüber der Nato, sich in seinen Krieg nicht einzumischen, war so drastisch wie unmissverständlich. Aber auch terroristische Anschläge stellen ein erhebliches Risiko hinsichtlich der Atomkraftwerke wie auch hinsichtlich der hoch radioaktiven Atomabfälle dar.

Wenn diese fünf Problembereiche der Atomkraft entgegen aller eindimensionalen Argumente pro Atomkraft berücksichtigt werden, offenbaren sich die Widersprüche in der Debatte: Der Angriffskrieg wird moralisch verurteilt, gleichzeitig aber große Risiken sowie die Ausbeutung von Menschen und ihrer natürlichen Umwelt zugelassen. Selbst zukünftige Generationen werden dabei ungefragt in die Pflicht genommen. Die gegenwärtigen, Atomkraft nutzenden Gesellschaften erhöhen mit jedem Tag, an dem AKW noch am Netz sind, eine historische Schuld, die keine warme Dusche rechtfertigen wird. 



FAZ  hier   Von Wolfram König

Die wahren Risiken einer Laufzeitverlängerung

Wer jetzt am Atomausstieg rüttelt, gefährdet auch die sichere Endlagerung von radioaktivem Abfall.

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine hat in Deutschland die Debattenkultur verändert. Das gilt auch für die Atomdebatte. Vor der Befürchtung einer nicht ausreichenden Versorgung mit Gas wird die Forderung nach einem Weiterbetrieb der drei noch am Netz befindlichen Kernkraftwerke lauter. Die Diskussion über die Sicherheitsreserven dieser Kraftwerke und über den gesamtgesellschaftlichen Preis ihres Weiterbetriebs wird jedoch oft schon im Ansatz durch den Generalvorwurf der Ideologie unterbunden. Auf der Strecke bleibt eine auf wissenschaftlich-technischen Erkenntnissen beruhende Risikoabschätzung.

Eine solche Abschätzung müsste nicht nur die Sicherheit der Atomkraftwerke berücksichtigen, sondern auch die Entsorgung der radioaktiven Abfälle. In beiden Fällen wären die gesamtgesellschaftlichen Kosten für einen Weiterbetrieb der Anlagen erheblich. Zuerst zu den drei Kraftwerken, die sich noch in Betrieb befinden. Mit Blick auf das Abschaltdatum am Ende dieses Jahres wurde ihnen eine Sonderregelung an einem Herzstück der Sicherheitskultur zugestanden – die Aussetzung der Periodischen Sicherheitsüberprüfung (PSÜ). Sie hätte eigentlich 2019 durchgeführt werden müssen. Welche Bedeutung diese Prüfung für die Sicherheit hat, können wir derzeit in Frankreich sehen. Dort wurde im Rahmen einer PSÜ zunächst in einem Kernkraftwerk eine bis dato nicht entdeckte Korrosion in einem Rohrsystem festgestellt. Ein Bruch in diesem System hätte zu einem Kühlmittelverlust und somit bis hin zu einer Kernschmelze führen können. Dieses Problem wurde daraufhin in anderen Reaktoren ebenfalls festgestellt. Das hat maßgeblich zu dem aktuellen Stillstand von mehr als der Hälfte der französischen Reaktoren beigetragen.

Riesiger juristischer, finanzieller und organisatorischer Aufwand

Eine seriöse Sicherheitsüberprüfung dauert rund zwei Jahre. Öffentliche Garantieerklärungen (z.B. TÜV) zur Sicherheit der laufenden und sogar der abgeschalteten Kernkraftwerke durch Vertreter einer Sachverständigenorganisation können den höchstrichterlich bestätigten Rechtsanspruch auf eine dynamische Entwicklung des Sicherheitsniveaus im Falle einer Laufzeitverlängerung nicht ersetzen. Es ist hinlänglich bekannt, dass über einen sogenannten Streckbetrieb von den verbliebenen Anlagen über den nächsten Winter nur ein äußerst begrenzter Beitrag zur Gassubstitution geleistet werden kann. Der hierfür notwendige juristische, finanzielle und organisatorische Aufwand dürfte schon unter Ausblendung der Sicherheitsaspekte nur schwer zu rechtfertigen sein.

Der Krieg in der Ukraine hat uns ein weiteres Risiko vor Augen geführt, das bisher in den Sicherheitsbetrachtungen ausgeschlossen war. Wir haben Livebilder von einem kriegerischen Angriff auf eine Atomanlage gesehen.

Nun zu den radioaktiven Abfällen. Nach der Fukushima-Katastrophe wurde in einem historisch einmaligen Zeitfenster ein Neuanlauf zu deren Entsorgung gewagt. Kernkraftgegner wie Kernkraftbefürworter haben sich nach der Klärung der Grundsatzfrage, dem Atomausstiegsbeschluss im Jahr 2011, auf den Weg gemacht, dieses letzte Kapitel der Atomkraftnutzung in Deutschland gemeinsam zu schreiben. Heute liegt ein sicherer Endlagerstandort weiterhin in großer Ferne.

Es geht um die Sicherheit nachfolgender Generationen

Mein Bundesamt hat gegenüber dem mit der Standortsuche beauftragten Unternehmen immer wieder den Fortschritt im Verfahren angemahnt, damit der gesetzlich festgelegte Zeitplan – bis 2031 einen Standort gefunden zu haben – eingehalten wird. Bis das Endlager betriebsbereit ist, sind weitere 20 Jahre anzusetzen. Heute muss ich konstatieren, dass ich das Ziel 2031 für nicht mehr realistisch halte. Gleichwohl ist es für die Sicherheit der nachfolgenden Generationen von zentraler Bedeutung, den Weg zu einem Endlager konsequent zu verfolgen. Jetzt Laufzeitverlängerungen zu beschließen, wäre nicht nur eine zusätzliche Hypothek für die Entsorgung. Der mühsam errungene gesellschaftliche Konsens würde auch grundsätzlich infrage gestellt werden.

Die über 60 Jahre andauernde friedliche Nutzung der Kernenergie hat in beiden Staaten Deutschlands hoch radioaktive Abfälle angehäuft, die in 16 über die Bundesrepublik verteilten Orten in sogenannten Castorbehältern lagern. Sie können zwar für einen begrenzten Zeitraum die Lagersicherheit gewährleisten. Eine dauerhafte Lösung sind sie nicht. Diese Abfälle werden in rund 1900 Behältern aufbewahrt. Welch großes Risikopotential diese Zwischenlager beinhalten, wird durch einen Vergleich deutlich. Die für jeden Behälter genehmigte maximale radioaktive Gesamtaktivität liegt etwa in der gleichen Größenordnung wie die beim Unfall in Tschernobyl freigesetzte Gesamtaktivität.

Wollen wir nach den jahrzehntelangen Debatten um nachhaltiges Wirtschaften, gesellschaftliche Transformation und Generationengerechtigkeit sowie im Anblick dieser großen ungelösten Aufgaben und des Risikopotentials der Atomkraft wirklich die Tür für die Produktion der gefährlichsten Abfallstoffe der Menschheit wieder aufstoßen? Die Alternative liegt auf der Hand, es ist der Ausbau der erneuerbaren Energien und die Nutzung von Einsparpotentialen. Ein zwar anstrengender, aber dafür sicherer Weg in die Zukunft.

Wolfram König ist Präsident des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung. 

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