Donnerstag, 18. August 2022

Spanien führt Übergewinnsteuer ein - und finanziert damit kostenlosen ÖPNV

Frankfurter Rundschau  hier   28.07.2022, Moritz Serif

In Spanien gibt es eine Übergewinnsteuer auf Krisengewinne. Die Regierung möchte die Mittelklasse und Arbeiter in Schutz nehmen. Ein Vorbild für Deutschland?

 „Diese Regierung wird nicht zulassen, dass das Leiden vieler der Gewinn Einzelner ist“, sagte Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez kürzlich und kündigte eine zweijährige Übergewinnsteuer an. Die Sondersteuer soll für Energiekonzerne und Banken gelten, berichtet die Deutsche Presse-Agentur.

Die „fortschrittliche Regierung“ werde „alles tun, um die Mittelklasse und die Arbeiter in Schutz zu nehmen“, fügte Sánchez hinzu. Pro Jahr werde der Staat so rund zwei Milliarden Euro einnehmen - der Standard kommt mit seiner Rechnung sogar auf 3,5 Milliarden.

Demnach wolle Sánchez rund eine Million Schüler:innen und Studierende, die ein Stipendium zwischen 2200 und 2900 Euro bekommen, mit zusätzlichen 100 Euro pro Monat unterstützen.

Spanien führt Übergewinnsteuer ein - und finanziert damit kostenlosen ÖPNV

Der ÖPNV wird im Nah- und Regionalverkehr kostenlos sein. Außerdem werden Haushalte entlastet. Es wird eine Obergrenze für Mietsteigerungen geben, die Mehrwertsteuer für Strom sinkt von zehn auf fünf Prozent, Niedrigrenten werden um 15 Prozent angehoben. Auch der Mindestlohn steigt.

Auch in Deutschland gibt es Diskussionen über eine Übergewinnsteuer. SPD und Grüne zeigen sich der Abgabe gegenüber offen - die FDP, allen voran Finanzminister Christian Lindner, ist strikt dagegen. „Ich kann nur vor Populismus an dieser Stelle warnen“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur Anfang Juni. „Wir wissen nicht, ob es Übergewinne gibt“.

FDP und Lindner stemmen sich gegen Übergewinnsteuer

Das Steuerrecht kenne keine Übergewinne, es kenne nur Gewinne, sagte der Finanzminister. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert fände eine solche Abgabe fair. „Keine Mehrbelastung für die Leistungsträger in der Mitte der Gesellschaft“, sagte Kühnert dem Spiegel. Ricarda Lang sagte der Wirtschaftswoche, dass andere Länder das ebenfalls machten.

„Man kann das für bestimmte Sparten festschreiben, etwa für Mineralöl- und Energiekonzerne. Das könnte ich mir vorstellen“. „Am Ende braucht es beides: eine Übergewinnsteuer und die Prüfung des Kartellamtes“, erklärte die Bundesvorsitzende der Grünen. Ob die Ampelkoalition noch eine Einigung findet, ist indes offen. Dafür müsste die FDP von ihrer ablehnenden Haltung abweichen. Das Beispiel Spanien zeigt, dass eine Übergewinnsteuer möglich ist. 


NTV hier FDP-Kampf gegen Übergewinnsteuer  Von Sebastian Huld  05.08.2022

Täglich grüßt Lindner das rot-grüne Murmeltier

Rekordgewinne der Ölmultis fachen die Debatte über eine Sonderabgabe an, obwohl die FDP die Übergewinnsteuer "begraben" will. Tatsächlich lassen SPD und Grüne bei der Debatte über deren Umsetzung wichtige Fragen offen. Dennoch gerät Bundesfinanzminister Lindner unter Druck - und womöglich auch Kanzler Scholz.

Bundesfinanzminister Christian Lindner kann es vermutlich nicht mehr hören und lesen, dennoch begegnet ihm das Wort unablässig in den Nachrichten: Übergewinnsteuer. So auch am heutigen Donnerstag, als SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch in der ntv-Sendung "Frühstart" sagte: "Wir haben im Moment Konzerne, die richtig viel Geld machen. Die müssen jetzt über eine Übergewinnsteuer die Verantwortung auch mitübernehmen." Zwei Tage zuvor hatte der Grünen-Fraktionsvize Michael Audretsch gefordert: "Wenn Mineralölkonzerne völlig leistungslose Milliardengewinne einfahren, dann muss es eine Übergewinnsteuer geben."

Und als am Mittwoch einmal kein prominenter Vertreter von SPD und Grünen die Abschöpfung der Krisengewinne anmahnte, meldete sich UN-Generalsekretär Antonio Guterres zu Wort: Die Gier der Energiekonzerne sei "grotesk", sagte er und forderte Regierungen weltweit auf, exzessive Gewinne zu besteuern, um mit den Einnahmen die Schwächsten zu unterstützen. Angesichts dieser ständigen Forderungen bemühte sich Lindner am Donnerstag per Twitter um Klarstellung, warum er eine Übergewinnsteuer ablehnt.

Es sind vor allem die Öl- und Gasmultis selbst, die der Debatte neuen Schwung verleihen, nachdem die beiden größten der drei Regierungsparteien schon seit dem Frühjahr eine Übergewinnsteuer fordern - und dabei stets am Veto des FDP-Chefs Lindner scheiterten. BP, Shell, TotalEnergies, Chevron und Exxon meldeten in dieser Woche für das zweite Quartal die höchsten Gewinne seit Jahren, BP gar den höchsten Gewinn seit 14 Jahren. Es ist offensichtlich, dass die Konzerne an der vermeintlichen Marktknappheit prächtig verdienen, während Regierungen weltweit überlegen, wie sie ihre Bevölkerungen im Umgang mit rasant steigenden Lebenshaltungskosten unterstützen können - trotz Corona-bedingt oft leerer Staatskassen.

So auch in Deutschland, wo SPD und Grüne weitere Entlastungsmaßnahmen zugesagt haben und parallel dazu mit Lindner um mehr Geld für Transferleistungen (Bürgergeld und Kindergrundsicherung) sowie die Umstellung auf Erneuerbare Energien streiten. Doch Lindner hält den Geldhahn fest umklammert, will unbedingt im kommenden Jahr zurück zur Schuldenbremse und auch am laufenden Haushalt nichts ändern. "Wer noch in diesem Jahr mehr Geld ausgeben will, muss auch zugleich sagen, woher das Geld kommen soll", sagte Lindner im Interview mit ntv.de.

Eine Übergewinnsteuer zur Finanzierung von Entlastungen aber bewertete Lindner wiederholt als "Populismus". FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai forderte in der "Rheinischen Post", "die Debatte um die Übergewinnsteuer ein für alle Mal zu begraben". Die in Umfragen bei bescheidenen 6 bis 7 Prozent stagnierenden Liberalen fürchten bei einer ihrer Ansicht nach "willkürlichen" Sonderbesteuerung von Unternehmensgewinnen um ihren marktliberale Markenkern - und weiter sinkenden Zuspruch.

SPD-Spitze trommelt für Übergewinnsteuer

Auch der Jurist Hanno Kube hält die Übergewinnsteuer für verfassungsrechtlich problematisch. "Eine zusätzliche Steuer auf die Gewinne einer einzelnen Branche wäre ungerechtfertigte Ungleichbehandlung", erklärte Kube bei ntv.de. "Eine Übergewinnsteuer wäre eine Ertragsteuer auf den Gewinn, und eine solche Steuer muss für alle Unternehmen gleich sein." Das Länder wie Spanien, Italien und Großbritannien sehr wohl die Energiekonzerne zusätzlich besteuern, erklärt sich Juristen zufolge aus dem größeren Spielraum dortiger Regierungen in der Steuergesetzgebung.

Kube hält es deshalb für richtig, dass Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck das Kartellrecht reformieren will, um die Marktmacht der Energiemultis zu bekämpfen. Das Problem: Von der Reform ist seit Wochen nichts mehr zu hören und selbst wenn sie kommt, hilft sie höchstens, künftig die Preise zu senken, schöpft aber weder die immensen Konzerngewinne ab, noch spült sie anderweitig schnell Geld in den Staatshaushalt.

Aus Sicht von Ökonomen wie ifo-Chef Clemens Fuest wäre es zudem kontraproduktiv, Unternehmen für ihre Investitionen für den Fall einer Mangellage zu bestrafen. "Die Gewinne sind insofern verdient, als ohne diese Investitionen die Knappheit noch größer wäre", schreibt Fuest im "Handelsblatt". Fragwürdiger ist Fuests Argument, das Unternehmen ja schon hohe Steuern auf ihre Gewinne zahlen müssten. Gerade die internationalen Energiekonzerne zahlen aber kaum Steuern in Deutschland. Die Staatskasse partizipiert deshalb kaum an den Profiten der Multis.

Lindner wehrt ab, mit Scholz im Rücken

Italien ist deshalb einen anderen Weg gegangen, besteuert einfach pauschal Unternehmen zusätzlich, deren Umsatz in Relation zu einem Vergleichszeitraum gestiegen ist. Das Problem: Von den dadurch erhofften Mehreinnahmen über zehn bis elf Milliarden Euro haben die Unternehmen zum Fälligkeitsdatum Ende Juni neun Milliarden Euro nicht überwiesen. Offenbar wollen sich die Unternehmen gegen die Sonderabgabe zur Wehr setzen.

Das Problem zeigt, wie kompliziert die Erhebung einer Übergewinnsteuer ist. Weil hierzu auch SPD und Grüne ein Konzept schuldig geblieben sind, ist es für Lindner bislang leicht, die Forderungen abzuwehren. Begraben ist die Debatte damit aber noch nicht. Schließlich haben die rot-grünen Koalitionspartner noch andere Finanzierungsideen für ihre Vorhaben: von einer einmaligen Reichensteuer, über eine Vermögenssteuer, eine Reform der Erbschaftssteuer, höhere Spitzensteuersätze oder eben doch eine erneute Aussetzung der Schuldenbremse in 2023.

Zu allem auf Dauer Nein zu sagen und gleichzeitig Finanzierungsvorhaben der Bundesregierung abzulehnen, also die beiden größeren Regierungsparteien permanent auflaufen zu lassen, kann auf Dauer nicht klappen - eigentlich. Denn auffällig ist, dass sein Amtsvorgänger in der Debatte hörbar schweigt. "Aus Sicht des Kanzlers ist eine Übergewinnsteuer derzeit nicht vorgesehen", erklärte dann am Montag, und auch erst auf Nachfrage, Regierungssprecher Büchner.

Der sozialdemokratische Bremer Bürgermeister, der im kommenden Mai wiedergewählt werden will, erklärte am Donnerstag, die SPD müsse sich "klar und eindeutig als Schutzmacht der kleinen Leute und der Mittelschicht positionieren und darf dabei auch den Konflikt mit dem liberalen Koalitionspartner nicht scheuen". Auch die FDP müsse erkennen, das das Geld dafür irgendwo herkommen müsse. Ein erster Hinweis darauf, dass sich die Enttäuschung in der SPD allmählich auch gegen den eigenen Kanzler richtet - und der Lindners permanente Abwehrhaltung dann nicht länger mitträgt.

Quelle: ntv.de


Sogar im Berliner Kurier  hier

Zahlreiche Maßnahmen dank neuer SteuerAuch Spanien führt Übergewinnsteuer ein: Schauen Sie mal, Herr Lindner, was DA für Entlastungen drin sind!Es war eine überraschende Aussage, die der SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert da am Dienstagabend bei Markus Lanz von den Lippen kam: Bundeskanzler Olaf Scholz sei entgegen anderslautender Aussagen in der Vergangenheit durchaus für eine Übergewinnsteuer zu gewinnen. Sollte der 33-Jährige mit seiner Einschätzung über seinen Parteigenossen richtig liegen, stünde letztendlich nur die FDP von Finanzminister Christian Lindner, dieser Steuer, die laut einer neuen Berechnung zwischen 30 und 100 Milliarden Euro jährlich einbringen könnte, im Wege.Doch die Liberalen haben bereits mehrfach gezeigt, dass sie auch in Extremsituationen keinen Gedanken daran verschwenden, von ihrer Ideologie abzuweichen. Das war unter anderem beim Tempolimit so – und Beobachter gehen auch davon aus, dass auch die Übergewinnsteuer an der Blockadehaltung der FDP scheitern könnte. Dabei zeigen derzeit mehrere EU-Staaten (und sogar Großbritannien), dass eine solche Abgabe rechtssicher eingeführt werden kann.Beispiel Spanien: Das wird von der Übergewinnsteuer finanziertZuletzt hatte Spanien Ende Juli eine solche Steuer für die Jahre 2023 und 2024 beschlossen. Sie soll für Energiekonzerne und Banken gelten. Die spanische Regierung rechnet durch die neue Steuer mit Einnahmen von zwei Milliarden Euro pro Jahr. Und die sollen dem armen Teil der Bevölkerung dabei helfen, besser durch die Krise zu kommen.Ein Vorgeschmack auf die Erleichterungen in Spanien? Bitteschön: Die linke Regierung von Ministerpräsident Pedro Sánchez will rund eine Million Schüler und Studierende, die ein Stipendium zwischen 2200 und 2900 Euro bekommen, mit zusätzlichen 100 Euro pro Monat unterstützen. Zudem soll der öffentliche Nah- und Regionalverkehr kostenlos werden. Zudem soll es weitere Entlastung für Haushalte, eine Obergrenze für Mietsteigerungen, eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Strom (von 10 auf 5 Prozent), eine Anhebung der Niedrigrenten um 15 Prozent und eine Steigerung des Mindestlohns geben.So steht es um die Entlastungen in DeutschlandEine lange Liste von Entlastungen, der Mittelklasse und den Arbeitern zugute kommen sollen. In Deutschland hingegen läuft das 9-Euro-Ticket Ende August aus, ein Ersatz wurde noch nicht beschlossen. Dafür gibt es eine Energiepreispauschale im September, bei der allerdings Rentner und Studenten, die nicht arbeiten, leer ausgehen.Vom geplanten Inflationsausgleich profitieren hingegen vor allem besser verdienende Haushalte. „Menschen mit geringen Einkommen, die keine oder wenig Einkommensteuer zahlen, bekommen praktisch gar nichts davon“, konstatierte Marcel Fratzscher vom Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung.Weitere Entlastungen sind laut Christian Lindners Finanzministerium nicht geplant, es gebe dafür keinen finanziellen Spielraum. Mit einer Übergewinnsteuer wäre dieser Spielraum wieder da – Spanien macht es vor.

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