Montag, 15. August 2022

Christian Lindner: Für Geringverdiener gibt's halt nichts

 Die Zeit hier    Zacharias Zacharakis

Der Finanzminister will das Steuersystem an die hohe Inflation anpassen, was richtig und notwendig ist. Leider setzt er aber die falschen Prioritäten.

Eigentlich ist die Sache viel einfacher, als es auf den ersten Blick aussieht. Christian Lindners Vorschlag für eine Reform der Einkommensteuer wirkt kompliziert, es geht um kalte Progression, um einen Inflationsausgleich, um die Anpassung der Steuertarife.

Doch der Vorschlag des Bundesfinanzministers lässt sich auch ganz leicht erklären, wenn man fragt: Wer würde wie stark von der geplanten Reform profitieren? Die Antwort lautet ganz klar: vor allem Menschen mit hohem Einkommen. Und deshalb ist das vorgelegte Konzept des FDP-Politikers unangebracht und auch ungerecht in einer Zeit, in der weite Teile der Bevölkerung unter extrem gestiegenen finanziellen Belastungen leiden. Besonders ebenjene, die wenig verdienen.

Aber vielleicht doch kurz eine Erläuterung der Details: Im Zuge der hohen Inflation, die wir seit knapp einem Jahr erleben, zahlen viele Unternehmen ihren Beschäftigten mehr Gehalt, damit diese die gestiegenen Preise besser bewältigen können. Das nennt man Inflationsausgleich. Doch wer mehr verdient, steigt schnell in eine höhere Steuerklasse auf und hat deshalb womöglich sogar netto weniger zur Verfügung als vorher. Der Inflationsausgleich ist also futsch. Das wiederum versteht man unter kalter Progression. Und genau dieses Problem möchte Lindner mit seiner Reform angehen, was vollkommen richtig und absolut üblich ist in der Steuerpolitik.

Nur kommt es jetzt darauf an, wie stark man wen entlasten möchte mit einer solchen Reform. Und hier wird die Angelegenheit politisch. Es geht nicht allein um rechnerische Werte, es geht auch um eine Priorisierung, um soziale Fragen. Wer hat staatliche Hilfe in dieser für viele Menschen sehr schwierigen Situation am nötigsten, wer kommt durch eigene Kraft noch ganz gut zurecht? Lindner beantwortet diese Fragen mit seinem Vorschlag deutlich. Er möchte jene Menschen am stärksten entlasten, die im mittleren bis oberen Bereich der Einkommensskala liegen.

Typisch für Lindner

Der Finanzminister selbst schreibt in einem Gastbeitrag für die FAZ von der "Ingenieurin, den erfahrenen Facharbeitern, den Chirurgen oder der Handwerksunternehmerin", die ohne seine Reformvorschläge leer ausgingen. Bei einem Einkommen von zum Beispiel 60.000 Euro pro Jahr machen die geplanten Entlastungen nach Zahlen aus dem Finanzministerium knapp 500 Euro aus. Anderen Berechnungen zufolge können für gut verdienende Ehepaare sogar Entlastungen bis zu 2.000 Euro im Jahr zusammenkommen. Aber wie dringend sind solche Steuererleichterungen für jene, die höhere Gasrechnungen und die gestiegenen Lebensmittelpreise noch recht gut verkraften, wenn am unteren Ende der Gehaltsskala den Plänen Lindners zufolge wenig bis gar nichts passiert?

Wer nämlich nur wenig verdient, zahlt auch wenig bis nahezu gar keine Einkommensteuer. Selbst wenn der Finanzminister plant, diese niedrigeren Gehälter in seiner Reform prozentual stärker zu entlasten, bringt das den Menschen wenig bis nichts. In Zahlen ausgedrückt machen die Entlastungen beispielsweise für eine Familie mit zwei Kindern und einem Jahreseinkommen von rund 30.000 Euro weniger als 300 Euro aus. Das ist besser als nichts, aber es gäbe effektivere Mittel, um gerade Menschen mit geringem Einkommen in diesem Winter zu helfen.

Tatsächlich wäre es sinnvoller, die höheren Steuereinnahmen aus den oberen Gehaltsgruppen dafür zu nutzen, um am unteren Ende der Skala zu entlasten, und zwar nicht nur über den Steuertarif, sondern über direkte und gezielte Zahlungen. Dafür gibt es viele Möglichkeiten. Ein Beispiel ist die Energiepreispauschale aus dem zweiten Entlastungspaket der Regierung im Mai, die Arbeitnehmern im September in Höhe von 300 Euro als Zuschuss zum Gehalt einmalig ausgezahlt werden soll. Das Geld wird versteuert. Für Menschen mit geringem Einkommen bleibt damit am meisten übrig.

Die Einmalzahlung aber wird kaum reichen, wenn die hohen Gas- und Stromrechnungen eingehen. Die Regierung könnte den Wert erhöhen und die Pauschale im Frühjahr erneut zahlen, wenn sich abzeichnet, wie hoch die Belastungen durch die Energiepreise werden.

Die starken Schultern der Gesellschaft, von denen Lindner im übertragenen Sinne so gern spricht, gehören nicht allein jenen, die am meisten Geld verdienen. Dass dieses Land funktioniert und die Wirtschaft läuft, hängt auch von den vielen Millionen Menschen ab, die auf den Baustellen dieses Landes schwere Arbeit leisten, die nachts in den Büros putzen und saugen, die an den Kassen der Supermärkte die Grundversorgung der Bevölkerung sicherstellen. Wenn diese Menschen sich trotz harter Arbeit ihr Leben nicht mehr leisten können, bricht etwas auseinander. Es ist das Grundprinzip einer Solidargemeinschaft, hier Ausgleich zu schaffen. Dass der FDP-Politiker Lindner sich dies nicht eingestehen möchte, ist leider typisch für ihn und die Politik seiner Partei.

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