Freitag, 12. August 2022

Prima Klima mit Joe Biden – hoffentlich

  Spiegel    hier Von Özlem Topçu, stellv. Leiterin des SPIEGEL-Auslandsressorts  12.08.2022

USA – plötzlich wieder Vorreiter

...Deshalb habe ich mir vorgenommen, diese Lage mit einer guten Nachricht zu beginnen: Denn heute stimmt das Repräsentantenhaus in Washington über das Klimapaket von Präsident Joe Biden ab. Die Zustimmung der Kammer ist praktisch nur noch eine Formalie. Hier haben die Demokraten eine größere Mehrheit – entscheidender war, dass das Gesetz den Gang durch den Senat Sonntagnacht bereits geschafft hat. Ein Ziel des Pakets: Bis zum Ende des Jahrzehnts sollen die CO2-Emissionen um bis zu 44 Prozent reduziert werden.

Zuletzt war Biden nicht gerade mit Erfolgen gesegnet. Es hagelte schlechte Umfrageergebnisse, Debatten über sein Alter liefen in Wiederholungsschleife. Und, ja, auch das: Das nun zu beschließende Paket ist nur eine kleine Handtaschenausführung des ursprünglich geplanten von 3,5 Billionen Dollar – aber es geht immer noch um 500 Milliarden Dollar.

Das ist übrigens nicht nur eine gute Nachricht für die USA, sondern für die ganze Welt. Erst kürzlich haben Wissenschaftler in einer Studie  vorgerechnet, dass der globale Meeresspiegel um bis zu fünf Meter steigen könnte, wenn das Eisschild in der Ostantarktis schmilzt. Das wäre zu befürchten, wenn es nicht gelingt, die im Pariser Abkommen festgelegten Temperaturgrenzen einzuhalten.

Damit sind die USA, wie so oft, plötzlich wieder Vorreiter, das Gesetz gilt als historischer Durchbruch. Mein Kollege Marc Pitzke, unser Korrespondent in New York, sagt allerdings einschränkend: »Die Frage ist, ob dieser Triumph von Biden auch beim Wähler ankommt«, und spielt auf die anstehenden Kongresswahlen Anfang November an. Damit sich auch die unter Preissteigerungen leidende amerikanische Bevölkerung für das Paket interessiert, hat es den charmanten offiziellen Namen »inflation reduction act«. Es beinhaltet auch Steuernachlässe und eine Verbesserung des Gesundheitswesens


Zeit  12. August 2022   Quelle: dpa

US-Repräsentantenhaus stimmt über Klima- und Sozialpaket ab

Nach langem Streit über Milliardeninvestitionen in den Klimaschutz und Sozialbereich stimmt das US-Repräsentantenhaus über ein umfassendes Gesetzespaket ab. «Am (heutigen) Freitag werden die Demokraten im Repräsentantenhaus das bahnbrechende Inflationsbekämpfungsgesetz verabschieden und dem Präsidenten übermitteln», schrieb die Vorsitzende der Parlamentskammer, Nancy Pelosi, an ihre demokratischen Fraktionskollegen. Der Senat hatte den Gesetzesentwurf am Sonntag mit der knappen Mehrheit der Demokraten in dieser Kammer gebilligt. Alle Republikaner stimmten dagegen.

US-Präsident Joe Biden hat bereits angekündigt, dass er das Gesetz unterzeichnen wird. Er sprach von den bisher umfassendsten Investitionen der USA zur Bekämpfung des Klimawandels. Bidens ursprüngliche Pläne für Klimaschutz und Sozialreformen gehörten zu den Kernvorhaben seiner Amtszeit. Das jetzige Paket ist wegen Streitigkeiten innerhalb seiner Demokratischer Partei ein Kompromiss. Es enthält nur noch einen Bruchteil dessen, was Biden ursprünglich durchsetzen wollte.

Dass es überhaupt zur Abstimmung kommt, ist für den Präsidenten allerdings ein beachtlicher Erfolg - bis vor kurzem wurde damit kaum noch gerechnet. Biden kämpft seit langem mit schlechten Zustimmungswerten. Nach einer Statistik der Webseite Fivethirtyeight, die verschiedene Umfragen zusammenführt, sind nur 40 Prozent mit seiner Arbeit zufrieden, mehr als 55 Prozent sind es nicht.

Die Simulationen von Fivethirtyeight errechnen eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Republikaner bei den Kongresswahlen im November die Mehrheit im Repräsentantenhaus erobern. Dann wird es Biden mit Gesetzesvorhaben noch schwerer haben.

Das sogenannte Inflationsbekämpfungsgesetz, das nun zur Abstimmung steht, ist viel breiter ist, als der Name suggeriert. Es enthält unter anderem folgende Aspekte:

Klimaschutz

In diesen Bereich sollen in den kommenden zehn Jahren rund 370 Milliarden Dollar (etwa 359 Milliarden Euro) investiert werden. So soll die Herstellung von Solarzellen und Windturbinen gefördert werden. Finanzielle Anreize sind auch für den Bau von Werken für Elektroautos vorgesehen. Die Energieforschung soll vorangetrieben werden. Die Maßnahmen sollen zu einer Reduzierung des CO2-Ausstoßes der USA von rund 40 Prozent bis 2030 führen.

Günstigere Medikamente

Der staatlichen Krankenversicherung für ältere oder behinderte Menschen (Medicare) soll erstmals erlaubt werden, die Preise für bestimmte teure Medikamente mit den Pharmafirmen direkt zu verhandeln. Die Demokraten rechnen mit Einsparungen von knapp 290 Milliarden Dollar über zehn Jahre. 2025 soll die Zuzahlung von Patienten für Medikamente auf 2000 Dollar pro Jahr begrenzt werden. Zusätzlich sollen für Millionen Amerikaner die Beiträge für die Krankenversicherung sinken.

Steuern

Das Gesetzespaket soll Steuerschlupflöcher schließen. Firmen mit Gewinnen von mehr als einer Milliarde Dollar im Jahr sollen künftig mindestens 15 Prozent Steuern zahlen. Diese Mindeststeuer soll in den kommenden zehn Jahren rund 313 Milliarden Dollar in die Haushaltskasse spülen. Die Steuerbehörde IRS soll im selben Zeitraum zusätzliche 80 Milliarden Dollar erhalten. Die IRS soll dadurch in die Lage versetzt werden, 124 Milliarden Dollar zusätzliche Steuern von Reichen und hochprofitablen Firmen einzutreiben. Familien mit einem Haushaltseinkommen von weniger als 400.000 Dollar pro Jahr sollen davon nach Angaben der US-Regierung nicht betroffen sein.

Defizitabbau

Die US-Regierung geht davon aus, dass durch das Gesetzespaket das staatliche Defizit um mehr als 300 Milliarden Dollar verringert werden kann. Das soll auch die Inflation bremsen, die im Juli bei 8,5 Prozent lag.

© dpa-infocom, dpa:220812-99-358072/4


Freitag hier

Neues Klimagesetz könnte die CO2-Emissionen der USA um 40 Prozent reduzieren

Klimapolitik Die historische Zustimmung des US-Senats für Präsident Joe Bidens Klima- und Sozialpaket in Milliardenhöhe bringt eine Wende in der Klimapolitik des Landes in greifbare Nähe
Nach Jahrzehnten des politischen Zwists und der Verschleierung durch die fossile Brennstoffindustrie unternehmen die USA ziemlich sicher den ersten bedeutenden Versuch, die Klimakrise anzugehen. Laut Experten könnte das neue Klima- und Sozialpaket Inflation Reduction Act (IRA) dazu beitragen, die amerikanische Wirtschaft neu aufzustellen und ein wichtiger Schritt zur Abwendung einer katastrophalen globalen Erwärmung sein.
Die amerikanischen Treibhausgasemissionen könnten bis zum Ende des Jahrzehnts um etwa 40 Prozent gegenüber dem Stand von 2005 gesenkt werden. Diese Reduzierung könnte die USA ganz in Wurfweite des von Joe Biden gesetzten Ziels bringen, die Emissionen bis 2030 zu halbieren. Dieses Ziel müsste laut Wissenschaftler*innen weltweit erreicht werden, wenn eine katastrophale globale Erwärmung mit eskalierenden Hitzewellen, Dürren sowie Überflutungen verhindert werden sollen.
Am Sonntag schaffte es der Gesetzesentwurf mit knapper Mehrheit durch den US-Senat, die Zustimmung des Repräsentantenhauses am Freitag gilt als gesichert.
„Das ist ein enormer Wendepunkt“, erklärte Klimapolitik-Expertin Leah Stokes von der Universität von Kalifornien in Santa Barbara. „Das Gesetz enthält so viel, es umfasst fast 370 Milliarden US-Dollar Investitionen in das Klima und saubere Energien. Das ist wirklich historisch. Insgesamt ist der IRA eine enorme Chance, die Klimakrise anzugehen.”
Ein großer Schritt zur Reduzierung von Emissionen
Im Vergleich zu Bidens ursprünglichem Ziel wurden die Klimainvestitionen auf insgesamt 369 Milliarden Dollar abgespeckt, ein Kompromiss nach mühsamen Verhandlungen mit Joe Manchin, einem Senator aus West-Virginia, der Kohleunternehmen besitzt, aber auch eine entscheidende Stimme für das Gesetz.
Der demokratische Senator Brian Schatz stufte das Gesetzpaket als „bei weitem die größte Klimaaktion in der menschlichen Geschichte“ ein. Biden bezeichnete es als einen „großen Schritt nach vorn”.
Die Demokraten warfen ihre gesamten 50 Stimmen in die Waage plus Vizepräsidentin Kamala Harris’ ausschlaggebende Stimme in Fall eines Gleichstands, während die Republikaner geschlossen gegen die Maßnahmen gegen die Klimakrise stimmten. Milliarden Dollars werden damit in erneuerbare Energien wie Wind- und Solarenergie, Rabatte für Verbraucher, die Elektroautos kaufen und Unterstützung für Haushalte fließen, die saubere Energie nutzen und energieeffizienter werden.
Insgesamt wird das Klimaschutzpaket laut der unabhängigen Rhosium Group die US-amerikanischen Emissionen um zwischen 31 und 44 Prozent unter das Niveau von 2005 senken. Eine andere Analyse durch das Forschungsinstitut Energy Innovation kam auf eine ähnliche Senkung zwischen 37 und 41 Prozent in diesem Jahrzehnt. Insgesamt würden in diesem Zeitrahmen rund eine Milliarde Tonnen Treibhausgas vermieden, was mehr als zweimal den jährlichen Emissionen Großbritanniens entspricht.
Die fossilen Energien aus dem Stromnetz drängen
Die Bandbreite der möglichen Einsparungen hängt von Faktoren wie den zukünftigen Wirtschaftsbedingungen ab. Experten gehen aber davon aus, dass das Gesetzpaket eine Lawine von positiven Auswirkungen auslöst, indem es die fossilen Energien aus dem Stromnetz drängt, Amerikas Durst nach Öl dämpft sowie Wind- und Solarenergie, die in den vergangenen Jahren bereits günstiger wurden, noch preiswerter macht.

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