Süddeutsche Zeitung hier Von Thomas Hummel 26. August 2022
Begradigt, ausgebaggert, eingemauert: Das ging so lange gut, wie relativ gleichmäßig Regen fiel. Nun fehlt das Wasser. Für Fachleute liegt die Lösung auf der Hand. Doch bequem ist sie nicht.
Der Engelradingbach ist typisch für die Landschaft im Münsterland. Er fließt normalerweise recht gerade durch den Kreis Borken, nimmt einige Nebenbäche auf und mündet schließlich in die Borkener Aa. Als Henry Tünte kürzlich in der Gegend war, floss allerdings nichts mehr. "Der Engelradingbach ist trockengefallen", berichtet der Sprecher des Bundesarbeitskreises Wasser beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND).
Reihenweise, sagt Tünte, liegen in der Gegend die Bachbetten trocken. Die Dürre, klar. Wie in weiten Teilen des Landes, wie in weiten Teilen Europas, fällt auch im Norden von Nordrhein-Westfalen zu wenig Regen. Das war schon 2018 so, 2019, 2020 und in diesem Jahr wieder. Die Grundwasserspiegel im Münsterland seien deshalb gravierend gefallen, so der BUND-Experte, und da viele Bäche vom Zufluss aus dem Untergrund abhingen, komme oben kein Wasser mehr an.
Deutschland erlebt in diesem Sommer den Schwund seiner Oberflächengewässer.
Ein Streifen von Nordrhein-Westfalen über Niedersachsen, Hessen, Sachsen-Anhalt, Sachsen nach Brandenburg ist besonders betroffen. Bäche verschwinden, in mittleren und größeren Flüssen sinken die Pegel. Schiffe können nicht mehr fahren, im Bodensee liegt ein grüner Algenteppich, die Oder-Katstrophe wäre bei höherem Wasser wohl weniger schlimm ausgefallen. "Die Lage ist dramatisch", sagt Tünte. Dabei sind nicht nur Umweltschützer alarmiert. Ohne genügend Wasser fehlen wichtige Transportwege. Tierhalter, Industrie oder Teile der Landwirtschaft sind auf eine gute Versorgung angewiesen. Kohle-, Gas- oder Atomkraftwerke müssen gekühlt werden. Ohne Wasser geht wenig.
Dabei kommt die aktuelle Notlage für Fachleute wenig überraschend.
"Das Thema Wasser ist bislang in der Klimadebatte unterbelichtet", sagt Dietrich Borchardt, Professor für Aquatische Ökosystemanalyse am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung. Deshalb rief das Bundesumweltministerium bereits 2016 die Experten zu einem Wasserdialog zusammen, dessen Ergebnisse in eine Nationale Wasserstrategie mündeten. Diese soll spätestens Anfang des kommenden Jahres von der Bundesregierung beschlossen werden. "Sie kommt zur richtigen Zeit", sagt Borchardt, selbst einer der Autoren. Er sieht Deutschland damit international an führender Stelle, denn es würden alle Bereiche des Wassermanagements bearbeitet und Verantwortlichkeiten geklärt, wer künftig was zu tun hat.
Dass die Deutschen vielerorts ihre Gewässer nur mäßig hüten, ist indes nicht neu. Noch vor wenigen Jahrzehnten wurden Abwasser teils ungeklärt in Flüsse geleitet, wer ins Wasser fiel, kam nicht selten mit einem Hautausschlag wieder heraus. Immerhin arbeiten nun überall Kläranlagen. Doch sauber genug sind immer noch wenige Gewässer, zumindest nach der Wasserrahmenrichtlinie der Europäischen Union. Demnach sollen bis spätestens 2027 alle Gewässer in sehr gutem oder gutem ökologischen Zustand sein, bei der letzten offiziellen Untersuchung im Jahr 2015 erreichten dies in Deutschland nur etwa sieben Prozent. Aktuelle Zahlen soll es im September geben, aus dem Umweltbundesamt (UBA) heißt es, die Lage habe sich nur geringfügig verbessert.
Die Forscher finden oftmals Algen, was ein Indikator für Verschmutzung ist. Dafür vermissen sie Wasserpflanzen, wirbellose Organismen wie Muscheln oder Fischarten, die dort eigentlich sein sollten. Selbst Neuansiedlungen etwa von Lachs oder Stör schlagen häufig fehl. Tierwelt und Fauna finden dort nicht mehr die Bäche und Flüsse vor, wie sie die Natur einmal gebildet hat. Mäandernd, kurvenreich, mal schnell fließend, mal langsam. Mit Auen und der Freiheit, flussauf- und abwärts zu wandern. Im Zuge der Industrialisierung hat der Mensch fast alle Fließgewässer begradigt, ausgebaggert, eingemauert. Den Engelradingbach im Kreis Borken ebenso wie den Rhein oder die Elbe. "Ein Tropfen Wasser ist heute viel schneller in der Nordsee als vor 100 oder 200 Jahren", sagt Jens Arle, als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim UBA für Binnengewässer zuständig.
Für die wirtschaftenden Menschen hat das Vorteile. Landwirtschaft kann so effizienter betrieben werden, gerade mit großen Maschinen. Gegen Hochwasser wurden Deiche gebaut, dahinter gab es Raum für ein neues Wohnbau- oder Gewerbegebiet. Das ging so lange gut, wie hierzulande der Regen relativ gleichmäßig fiel. Doch die Zeiten sind offenbar vorbei. Zunehmend wechseln sich Trockenheit und Starkregen ab. "Wir haben eine Entwässerungslandschaft, die so nicht mehr funktioniert", sagt Borchardt.
Derzeit fehlt durch die Trockenheit überall Wasser. Bei niedrigem Pegel steigt auch die Konzentration der Schadstoffe, die kontinuierlich einfließen. So leiten etwa 500 Kläranlagen ihr gereinigtes Abwasser in den Neckar, derzeit dürfte der Anteil an Klärwasser im Fluss bei weit mehr als 30 Prozent liegen. Laut UBA kann der Anteil dort wie auch im Rhein oder im Einzugsgebiet der Ostsee sogar auf 50 Prozent steigen. Die meisten Anlagen können Mikroschadstoffe oder Spuren von Medikamenten nicht filtern. Zusätzlich kommt die Belastung durch Gülle, Pestizide, Kunstdünger, die von den Feldern ausgeschwemmt werden. Das Gesundheitsamt Rhein-Neckar-Kreis, das auch für die Stadt Heidelberg zuständig ist, rät nun vom Baden im Neckar ausdrücklich ab.
Wasserexperten und auch die Nationale Wasserstrategie fordern, so viel wie möglich zu renaturieren. Denn trotz Erderwärmung ist die Gesamtmenge an Regen in Deutschland bislang nicht zurückgegangen. Tendenziell regnet es aber im Winterhalbjahr mehr, sonst weniger. Dazu die Starkregenereignisse, die mehr zerstören als bewässern. "Wir müssen das Wasser so lange wie möglich in der Landschaft halten", sagt Borchardt, "um diesen Vorrat bei Trockenheit nutzen zu können." Dazu müsste man Deiche zurückverlegen, Polder schaffen. Den Flüssen und Bächen wieder Raum geben, sich durch die Landschaft zu schlängeln und Tümpel als Speicher anzulegen. Dann siedeln sich auch wieder Pflanzen und Tiere an, die solche Lebensräume benötigen.
Das Umweltbundesamt berichtet von Vorzeigeprojekten, etwa am Inn, an der Ruhr oder an der Fulda in Hessen. Doch oft sprechen Interessen der Anrainer dagegen. Nur selten wollen Landbesitzer ihren Boden kostenlos der Natur zurückgeben. UBA-Mitarbeiter Arle sagt, dass deshalb Gemeinden, Bundesländer oder Umweltinitiativen versuchten, Land zu kaufen. Dennoch entstehe bisweilen die Situation, dass ein Fluss auf hundert Meter renaturiert sei, viele Kilometer stromauf und stromab aber nicht. "Das reicht nicht, um den ökologischen Zustand entscheidend zu verändern", berichtet Arle. Dabei bietet die EU sogar Fördergelder für Renaturierungen. "Es gibt aber zu wenig Antragsteller, die Gelder werden gar nicht ausgeschöpft."
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