Grüne und CDU wollen bis zum Jahr 2035 die Netto-Null beim Verbrauch von neuen Flächen erreichen. Im Koalitionsvertrag heißt es: „Wir wollen den Flächenverbrauch weiter reduzieren und halten weiterhin an dem Ziel der „Netto-Null“ fest.“ Um das zu erreichen, soll auch nicht mehr benötigte Infrastruktur zurückgebaut werden. Das Statistische Landesamt macht der Regierung aber auch etwas Hoffnung: Längerfristig betrachtet zeige sich beim Flächenverbrauch eine abnehmende Tendenz. So habe die tägliche Versiegelung von Böden im Jahr 2008 noch bei 8 Hektar gelegen, während sie im Schnitt der vergangenen fünf Jahre bei 5,8 Hektar gelegen habe.
Für den Landesnaturschutzverband ist das kein Grund zur Freude - im Gegenteil. „Die Landesregierung hat im Koalitionsvertrag ein ambitioniertes Flächensparziel von 2,5 ha pro Tag beschlossen, tut aber bisher nichts, um es auch zu erreichen“, sagte Landeschef Gerhard Bronner. Aus seiner Sicht ist der Paragraf 13b im Baugesetzbuch der Grund dafür, dass der Flächenfraß weiter um sich greife. Dieser Paragraf erlaube Gemeinden, ohne Bedarfsprüfung im Flächennutzungsplan, ohne Umweltprüfung und ohne Naturschutzausgleich neue Wohnbaugebiete auszuweisen. Bronner sieht das größte Problem in ländlichen Gebieten wie in Oberschwaben und Hohenlohe, „wo man großzügig Fläche für Einfamilienhausgebiete verschwende, obwohl die Dörfer voller Baulücken und Leerstände sind“.
Das Umweltministerium erklärte: „Boden ist eine endliche Ressource und ein schützenswertes Gut - als Lebensgrundlage für Tiere und Pflanzen und für unsere Versorgung mit Nahrungsmitteln. Deshalb können wir mit der aktuellen Entwicklung nicht zufrieden sein.“ Man halte am Ziel des Netto-Null-Verbrauchs fest, sei sich aber bewusst, „dass wir unsere Anstrengungen deutlich verstärken müssen. Diese Aufgabe betrifft alle Ressorts“, erklärte eine Sprecherin.
Schwäbische Zeitung hier Von Simon Müller
Die Fehde um die Fläche
Flächenverbrauch im Südwesten nimmt zu - Naturschützer kritisieren Landesregierung
Deutschlandweit sind die Schwaben als Häuslebauer bekannt. Die aktuellen Zahlen des Statistischen Landesamtes bestätigen dieses Bild. Die Siedlungs- und Verkehrsfläche nahm im Jahr 2021 im Südwesten zu und erreichte einen Anteil von fast 15 Prozent der Landesfläche. ....
Mit gravierenden Folgen für die Natur und den Menschen. „Wir machen uns immer abhängiger von landwirtschaftlichen Importen aus anderen Ländern, wenn wir unsere landwirtschaftliche Fläche bebauen. Dabei zeigt die aktuelle Krisenzeit, wie wichtig es ist, unabhängig von Importen zu sein“, sagt er. Durch Versiegelung zerstöre man außerdem notwendige Lebensräume der Tier- und Pflanzenwelt.
Wichtig ist allerdings, Flächenverbrauch nicht mit der Versiegelung von Flächen gleichzusetzen. Denn zu den Siedlungsflächen zählen auch Frei- und Erholungsflächen - beispielsweise der Garten vor dem Einfamilienhaus oder der Spielplatz im Ort. Nach Schätzungen des Statistischen Landesamtes sind in Baden-Württemberg knapp die Hälfte der Siedlungs- und Verkehrsflächen tatsächlich versiegelt. (Anmerkung: doch nutzen diese Rest- Flächen im Allgemeinen weder der landwirtschaftlichen Produktion noch der Biodiversität)
....Laut Bronner nutzen diesen Paragrafen (13b) vor allem kleinere, ländlichere Gemeinden für Bauvorhaben. Statt die Wohnungsnot in wachsenden Kommunen zu mindern, würden viele Einfamilienhaussiedlungen am Orts- oder Stadtrand gebaut. Sprich: viel Flächenverbrauch bei gleichbleibender Wohnungsnot. „Solche Siedlungen mit Paragraf 13b zu bauen, ist eine krasse Verschwendung“, sagt Bronner. Einfamilienhäuser würden nur einen Luxusbedarf befriedigen.
Gerade im ländlichen Oberschwaben seien Hunderte Baugebiete auf Basis dieses Paragrafen entstanden. Schließlich ist die wirtschaftlich starke Region attraktiv. Schaut man sich die prozentuale Zunahme der Siedlungs- und Verkehrsfläche in Baden-Württemberg innerhalb der vergangenen zehn Jahre an, wird ein Muster deutlich. Je ländlicher eine Gemeinde strukturiert ist, desto mehr Siedlungsfläche wurde verbraucht. Im Ballungsraum wird wesentlich sparsamer mit Bauflächen umgegangen. Besonders negativ stechen unter anderem weite Teile Oberschwabens heraus. Laut LNV sind hier Gemeinden wie Pfullendorf, Ostrach, Leutkirch, Kisslegg oder Baindt zu nennen. „In solchen Gemeinden wird eine Gesetzeslücke ausgenützt“, sagt Naturschützer Bronner.
Dem Land kann man hier nur bedingt einen Vorwurf machen - denn Paragraf 13b ist Sache des Bundes. „Wir haben uns als Landesregierung im Mai 2021 im Bundesrat dafür eingesetzt, diesen Paragraphen zu ändern, fanden dafür aber in der Länderkammer keine Mehrheit“, sagt ein Sprecher des baden-württembergischen Ministeriums für Landesentwicklung und Wohnen. Zum Ende des Jahres wird der 2017 eingeführte Paragraf nun auslaufen. „Aber Hunderte Verfahren sind schon durch. Es wird in den kommenden Jahren also noch viel gebaut werden“, erklärt Bronner.
Gerade wegen Paragraf 13b hat sich das Problem der Wohnungsnot in den ländlichen Kommunen nicht reduziert. Denn die Bevölkerung in Baden-Württemberg wächst, besonders in der Region Bodensee-Oberschwaben. Dadurch wird Wohnraum immer knapper und auch immer teurer. Für die Kommunen ist es ein Balanceakt, möglichst wenig Fläche zu verbrauchen und dennoch dem Bedarf an Wohnraum gerecht zu werden.
Auch für den Baubürgermeister der Stadt Biberach, Christian Kuhlmann, ist das eine echte Herausforderung. „Die Nachfrage nach Bauplätzen, Eigentums- und Mietwohnungen kann in Biberach nicht gedeckt werden“, sagt er. Der Druck auf den Wohnungsmarkt sei in der Region ungebrochen. „2021 wurden in Biberach in der Summe neun Hektar Siedlungsfläche neu entwickelt“, so Kuhlmann.
Von Paragraf 13b mache die Stadt aber wenig Gebrauch. „Ich halte die Regelung nicht für sinnvoll“, sagt er. „Dadurch wird dem Flächenfraß nichts entgegengesetzt.“ Außerdem herrsche in Biberach seit 20 Jahren der Grundsatz, nur Flächen zu entwickeln, die selbst von der Stadt gekauft worden sind. „So kann man die Grundstückspreise besser steuern und hat den Überblick, wo und wie etwas entsteht“, erklärt er.
Das klassische, freistehende Einfamilienhaus sei nach wie vor der beliebteste Wohnwunsch. Für Kuhlmann sind aber andere Konzepte zur Deckung des Wohnbedarf notwendig. „Wir müssen in die Verdichtung“, betont er. „Jede im Innenbereich entwickelte Fläche spart neue Siedlungsflächen im Außenbereich.“
Zum einen müssten Gebäude mehr in die Höhe, zum anderen müsse es mehr kompakte Einfamilienhäuser geben. Beispielsweise würde mit Doppel- oder Reihenhäusern weniger Fläche verbraucht werden. Außerdem sei es billiger und spare Energiekosten. Eine Wohnform, die bereits in den sechziger Jahren nach dem Wirtschaftswunder sehr beliebt war. „Der Traum vom Eigenheim muss nicht zwingend ein freistehendes Haus sein“, betont Kuhlmann.
Für den LNV-Vorsitzenden Gerhard Bronner ist ein Flächenkontingent für Gemeinden der richtige Ansatz, um Fläche zu sparen. „Das wären vorgegebene Kontingente, über die die Kommunen auch untereinander verhandeln könnten. Damit würde man den Flächenverbrauch in Deutschland halbieren“, betont er.
Der Traum vom Eigenheim ist für Bronner sowieso geplatzt. „Das können wir uns nicht mehr leisten, wir müssen unsere Wohnformen ändern“, sagt er. Die Schwaben dürfen also aus Sicht des Naturschützers gerne weiter die Häuslebauer der Nation sein - nur sollten sie schnellstmöglich anfangen, anders zu bauen.
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