Mittwoch, 28. April 2021

Kies bringt Kies - von Wolfram Frommlet - Jetzt auch in der TAZ veröffentlicht

Eine wunderschöne Zusammenfassung!

Selbst in Oberschwaben schwindet die Macht der CDU.  Neben den Grünen  hat sich eine außerparlamentarische Opposition gebildet, die der alten Politik gerne aufs Dach steigt.


Es geht da einiges durcheinander in Oberschwaben. Da fällt das Rutenfest
in der Metropole Ravensburg aus, das Schützenfest in Biberach und keiner
weiß, wie es weitergeht mit der „Maß“ in diesem Jahr. Da übernachten
junge Menschen auf Bäumen, und die Ordnung scheint erst
wiederhergestellt, als eine halbe Hundertschaft Reservepolizisten einen
(!) Baumbesetzer und einen (!) Professor der FH Weingarten festnehmen.

https://www.kontextwochenzeitung.de/schaubuehne/511/ohne-baeume-keine-traeume-7243.html
In Rechnung gestellt von der Stadt Ravensburg mit € 4.050,53.

Sie geben nicht auf. In der Nacht zum 6. Februar steigen sie dem
Regionalverband Bodensee-Oberschwaben aufs Dach
und befestigen, ohne den
geringsten Schaden anzurichten, ein Transparent mit der Losung:
„Kiesexport und Asphaltwahn das ist ein Klima-Höllen-Plan“. Dies, so der
Mengener CDU-Bürgermeister Stefan Bubeck vor der Kreistagsfraktion, habe
ihn an den Sturm auf das Capitol erinnert
. An die Gewaltorgien also
rechts-nationalistischer, rassistischer Hooligans des „anderen Amerika“.
Das ist das alte Oberschwaben. Das neue demonstriert vor dem Gebäude.
Ein Bündnis von 17 außerparlamentarischen Organisationen, das in dieser
breiten Aufstellung bisher einmalig ist in den Kreisen Sigmaringen,
Ravensburg, Bodensee: BUND. NABU, Fridays for Future, parents4future,
Demeter, der Verein Altdorfer Wald, die Initiative gegen den
1000-Kühe-Stall in Ostrach, Kreis Sigmaringen.

Der Regionalverband Bodensee-Oberschwaben, Versammlungsort von
Bürgermeistern und Oberbürgermeistern, ist zuständig für die Entwicklung
des Landstrichs und hat dafür einen Plan vorgelegt, der Visionen bis
2035 vorstellt. Er ist stark umstritten, weil die Grundlage, wenig
erstaunlich, ungebremstes Wachstum bildet.
Der Verband spricht von
einem  Bevölkerungsplus von 10,3 Prozent, das Statistische Landesamt von
2,7 Prozent, und 20 Wissenschaftler von scients4future von einem
„schwach ausgeprägten Willen“  in den Kommunen zum Flächensparen.  Ihr  
Mitstreiter, der Ravensburger Politikberater und Regionalplaner Martin
Walser, kritisiert, dass verdichtetes Wohnen, der Tausch der oft viel zu
großen Einfamilienhäuser älterer Besitzer gegen zentralere Wohnmodelle,
so wenig erwogen wird wie regionale, die Ortszentren belebende Märkte
oder kommunale Kooperationen für Zentren für Handwerker und Industrie,
um die viel zu hohe Zersiedelung zu stoppen.

Längst keine heile Welt mehr ist auch die Landwirtschaft. Der
Flächenverbrauch geht zu Lasten nachhaltiger, familiärer Agrarbetriebe,

er hat Massentierhaltung wie den 1000-Kühe-Stall in Ostrach oder den
geplanten 1500-Kühe-Stall in Ellwangen zur Folge, erläutert der
Demeter-Bauer und langjährige grüne Leutkircher Stadtrat Alfons Notz.
„Wer Biodiversität ernsthaft und effektiv fördern will, der muss dafür
sorgen, dass die Kühe auf die Weide dürfen.
Eine Kuh produziert während
einer Weidesaison circa 1000 Kuhfladen“, rechnet er vor, „diese bilden
den Nährboden für 100 Kilo Insekten. Davon können zehn Kilo Vögel ihren
Futterbedarf decken. Als Bauer sage ich Ihnen: Geld kann man nicht
essen. Und wenn die letzten Böden versiegelt sind, kann man mit Geld
auch kein Essen mehr kaufen.“ Barbara Herzig vom BUND ergänzt, dass in
der Bodenseeregion 70 Prozent der Insekten in wenigen Jahren
verlorengegangen sind.

Da muss die CDU dagegenhalten. Landrätin Stefanie Bürkle aus Sigmaringen
verweist auf den Bedarf an Wohnflächen und neuen Gewerbegebieten.
Mengens Bürgermeister Bubeck nennt die Kritiker „spießbürgerlich“, weil
nur die ökologische Seite betrachtet werde.
In Ravensburg stellt die CDU
eine Anzeige „Schaffe, Schaffe, Häusle Baue! Jungen Familien Eigentum
ermöglichen“ ins Netz, beschwert sich über „die Verunglimpfung“ des
Regionalplans, genauso über die Einwände gegen den Kiesabbau im
Schutzgebiet Altdorfer Wald (Kreis Ravensburg) – der nächsten
Umweltsünde im Oberschwäbischen.

Doch so einfach ist das alles nicht mehr, nicht mal bei der CDU, die es
über Jahrzehnte gewohnt war, den Landstrich zu beherrschen. Der
Baienfurter Gemeinderat, mehrheitlich schwarz und zuständig für den
Altdorfer Wald, sieht das ganz anders. Er will diesen Kiesabbau nicht,

der laut  Regionalplan pro Jahr eine Menge von neun Millionen Tonnen
vorsieht, 360 Millionen über die nächsten 40 Jahre. Alle sind sich einig
- dies widerspreche dem Waser- und dem Klimaschutz. „Wir sehen alle Wege
für uns offen, auch die juristischen“, sagt CDU-Bürgermeister Günter A.
Binder. Und Anne Talk, Klimaschutzmanagerin beim Gemeindeverband
Mittleres Schussental, definiert das Flora- und Fauna Habitat als
zentralen „Klimaschützer und Wasserspeicher.“

Auf der Fahrt nach Grund im Altdorfer Wald. Auf einem Transparent steht:
„Wasser bringt Leben. Kies bringt Kies“. Pressekonferenz der
Ravensburger Baumbesetzer. Zwei Camps sind fertig. Mit Unterstützung aus
anderen Regionen sollen es mehr werden. „Für die CDU und den
Regionalverband ist der Altdorfer Wald nur ein bisher nicht vollständig
erschlossenes Kiesabbaugebiet. Für uns aber ist dieser wertvolle
Lebensraum ein Symbol für unsere Zukunft“,
erklärt die Klimacamperin
Emma Junker (17). „Die CDU ist für Heimatliebe, aber dann roden sie
einen Wald, der in 1000 Jahren entstanden ist. Wir bauen eine
Gesellschaft der Nächstenliebe“, ruft Jonathan Oromek von Fridays for
Future den Besuchern zu. Eine euphorische Stimmung. „Bauen wir doch mehr
Holzhäuser, nutzen wir andere Isolationsmaterialien, die es längst gibt,
dann brauchen wir auch weniger Kies“, fordert Ordinarius Wolfgang Ertel
von der FH Weingarten. Ganz Wassers, ein Dorf am Rande des Waldes, sagt
ein Besucher, sei gegen die Zerstörung dieses Naturschutzgebietes.

Selbst Rudolf Bindig, Fraktionsvorsitzender der SPD, die sonst immer für
Wachstum ist, ist dagegen. In einem langen Offenen Brief hat er sich an
Winfried Kretschmann gewandt. Nun redet Bindig von „heißer
Wahlkampfluft“. Die Grünen Landtagsabgeordneten Manfred Lucha und Petra
Krebs hatten sich für einen Planungsstopp für die Kiesgrube im Altdorfer
Wald ausgesprochen. Bindig hält dies für Wahlrhetorik. „Aus dem
Staatsministerium, dem Wirtschaftsministerium und sogar aus dem
Umweltministerium will man von solchen Anregungen gar nichts wissen“,
poltert er. Von Kretschmann, dem Ministerpräsidenten, gebe es keine
klare Position. Vielleicht doch Ökonomie vor Ökologie? Der Forst gehört
dem Land, ist aber verpachtet an die Firma Meichle + Mohr, auf deren
Website sich der zeitgemäße Satz findet: „Wir sind unserer Verantwortung
Mensch und der Natur gegenüber bewusst.“ „Ein verschachteltes und kaum
zu überblickendes Firmengeflecht“ nennt dies Bindig weniger prosaisch in
seinem Brief. Droht der Pächter mit Schadenersatz, bei diesen
Abbaumengen, über welche Laufzeiten, gar mit Millionenklagen? Ein Thema,
das bislang von keinem Politiker erwähnt wurde.


Ein Großteil des Kieses geht bereits jetzt, und weit mehr noch in
Zukunft, nach Vorarlberg und in die Schweiz. Auf Kolonnen von Lastwagen.
Das ist der freie Markt, der in konservativen Kreisen beschworen wird

und dem ja auch Kretschmann gegenüber offen ist. Wie steht es auf dem
Transparent? Kies bringt Kies. Oder, wie es die CDU nennt, „die Bedarfe 
der Region akzeptieren“
 . Nur haben die Bedarfe in den Nachbarländern
ökologische Gründe.
Die Schweiz und Vorarlberg haben ihren Kiesabbau
drastisch reduziert, weil sie die davon betroffenen Wälder unter
Naturschutz stellten. Bei uns aber vermutlich Ende offen. Bis nach der Wahl.

Mit dem Regionalplan eng verbunden ist ein Thema, das nicht für die
wachsende Zahl der Gutverdienenden im attraktiven Kreis Ravensburg und
der Bodenseeregion zum Problem wird, zunehmend brisant aber für
Alleinerziehende, oder die Beschäftigten der in dieser Region
konzentrierten Pflegeberufe und Rentner im unteren Bereich. Die gehen
nicht auf die Straße, das ist nicht ihre Kultur. Und so ist das Thema
nicht sehr publik. Da malt die CDU lieber die Ängste der Häuslebauer
aufs Plakat. Vergessen scheint, dass bereits 2006 Ministerpräsident
Günther Oettinger die Nettonull beim Flächenverbrauch reklamierte. Der
lag damals bei 9,6 Hektar. Pro Tag. 2019, unter der grün-schwarzen
Koalition, bei 5,2 Hektar.


Dies ist der Umwelt-Opposition noch immer zu viel, aber mehr Wohnungsbau
wollen alle. Aber wie?
Andreas Stoch von der SPD schreibt: „Fünf Jahre
grün-schwarze weniger Wohnungspolitik bedeutet auch, viele Menschen
geben deutlich mehr als ein Drittel ihres Einkommens für Wohnen aus. Der
Markt allein schafft keinen bezahlbaren Wohnraum für alle. Deshalb
gründet die SPD die staatliche Wohnbaugesellschaft BWohnen, die 500.000
bezahlbare Wohnungen bis 2026 baut.“ Forsch formuliert. „Wir setzen uns
dafür ein“, heißt dies bei Jonathan Wolf, dem SPD-Landtagskandidaten aus
Meckenbeuren. Er will ungenutzte Grundstücke höher besteuern,
Genossenschaften, Mietshäusersyndikate, einen Mietdeckel für Kommunen
(den auch Die Linke im Programm hat) und BürgerInnenvereine.

Oberschwaben ist nicht mehr die Insel der Seligen, so das je der Fall
war. Selbst die Kirche, konkret die Caritas, ist nicht mehr sakrosankt.
Die Gewerkschaft verdi wirft der dominierenden Sozialfirma
Scheinheiligkeit vor. Sie handle „in krassem Widerspruch zu ihren
eigenen sonstigen Aussagen und Werten, wenn es um gesellschaftlichen
Zusammenhalt und die Bedeutung sozialer Dienste geht. Das ist ein
schlimmes Signal für die Beschäftigten in der Altenpflege“, betont
Vorstandsmitglied Sylvia Bühler. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass
viele Sozialverbände in Baden-Württemberg, wie die Diakonie, die
Stiftung Liebenau, das Zentrum für Psychiatrie oder der Sozialverband
VdK nicht geschlossen hinter den  Pharisäern der Caritas stehen werden -
nur weil sie  im Süden schon immer staatstragend waren.


Wolfram Frommlet

veröffentlicht in Kontext  hier
und in der TAZ

1 Kommentar: