Donnerstag, 29. April 2021

Kies, Kies Kies

Bericht in der Bildschirmzeitung: ""
 hier geht`s zum Bericht vom KlimaCamp


und das Neueste - die Blockade einer Kiesgrube bei Vogt - kommt vom Ravensburger Spectrum:  hierIn Hängematten über'm Asphalt, statt zwischen Party und Palmen


auch in der Schwäbischen wird die Sperrung thematisiert: hier
Klima-Aktivisten versperren Zufahrt zu Kiesgruben - Polizei mit Großaufgebot im Einsatz


in der Print-Ausgabe vom Südkurier hieß es gestern von Katy Cuko  (hier)

Kampf um neue Kiesgruben im steinreichen Südwesten: Dringend nötig oder nur günstige Baustoffquelle für die Schweiz und Österreich?

Fast alle der 220 Kies- und Sandabbaustätten im Land sind in Oberschwaben und am Oberrhein. Mit dem Kieshunger der Bauwirtschaft steigt der Protest gegen den Aufschluss neuer Gruben. So wie im Altdorfer Wald, wo sich Klimaaktivisten in den Bäumen verschanzt haben, die für eine neue Abbaustätte fallen müssten. Ein Hauptgrund für steigenden Bedarf: Der Kiesexport boomt.

Zwischen hochaufragenden Fichten hängt ein buntes Banner. „Der Altdorfer Wald bleibt“ steht darauf. Dahinter haben Klima-Aktivisten ein Zeltlager aufgebaut, weiter oben reiht sich Baumhaus an Baumhaus. Es ist ihre Form des Protests, der sich am Vorbild des Hambacher Forsts orientiert. Hier campieren zwei Dutzend von tausenden Menschen, die sich auf Unterschriftenlisten, in Bürgerinitiativen, in Versammlungen oder bei Demonstrationen gegen die neue Kiesgrube stemmen.

Die Bäume auf elf Hektar bei Vogt (Landkreis Ravensburg) im Altdorfer Wald sollen weg. Der bildet mit 82 Quadratkilometer den größten Forst und die „grüne Lunge“ Oberschwabens. Das Unternehmen Meichle und Mohr mit Sitz in Immenstaad am Bodensee will Kies abbauen. Die Fläche gehört dem Land, das es an die Firma bereits verpachtet hat. Selbst Ministerpräsident Winfried Kretschmann stellt den Pachtvertrag nicht in Frage, weil er sich nicht in das laufende Rechtsverfahren zum Kiesabbau einmischen will. Das führt der Regionalverband Bodensee-Oberschwaben.

Der Verband hat allein wegen dieser potenziellen Kiesgrube im Altdorfer Wald nach der zweiten öffentlichen Auslegung über 2000 private Einwendungen gegen den aktuellen Regionalplan-Entwurf auf dem Tisch. Dazu kommen Anwaltsschreiben und Einwände von Kommunen und Verbänden, die sich quer stellen. So wie die Gemeinden Baienfurt und Baindt, die sich um das Einzugsgebiet der „Weißenbronner Quellen“ mit einem Wasserreservoir für rund 80.000 Menschen im Schussental sorgen. Oder sechs Bürgermeister, die vorgeschlagen haben, besser die Abbaugebiete auf ihren Gemarkungen zu erweitern, um keine neue Kiesgrube im Forst zu eröffnen.

Laut Regionalplan-Entwurf soll aus dem bisherigen Ausschlussgebiet für Kiesabbau ein Vorranggebiet werden, noch dazu mitten im Trinkwasserschutzgebiet. Das verstehen viele nicht.

Steigende Nachfrage nach Baurohstoffen

Seit drei Jahren wird die inzwischen sehr emotionale Debatte geführt, die landesweit ausstrahlt. Der Altdorfer Wald steht für ein Dilemma, das widerstreitende Interessen offenbart. Der Bauboom sorgt für eine steigende Nachfrage nach Baurohstoffen. Nach Angaben des Industrieverbands Steine und Erden Baden-Württemberg (ISTE) gehen Studien davon aus, dass die Nachfrage nach Sand und Kies bis zum Jahr 2035 deutschlandweit um 12,6 Prozent wächst – und Baden-Württemberg liege noch über dem Bundestrend.

Auf der anderen Seite konkurriert oder kollidiert der nötige Abbau der Rohstoffe mit dem Schutz von Klima, Wald und Wasser, mit Interessen der Anwohner nach Naherholung und intakter Landschaft. Auch andernorts gibt es Ärger mit dem Kiesabbau, etwa im Dellenhau, einem Wald zwischen Singen und Gottmadingen. Mehrere Gemeinden gehen dort gerichtlich gegen ein ein neues, 15 Hektar großes Projekt vor.

Laut ISTE gibt es in Baden-Württemberg 220 Kies- und Sandabbaustätten, etwa 100 davon am Oberrhein und genauso viele in Oberschwaben. Neue Gruben wie im Altdorfer Wald, unter dem viel Kies lagert, der an mehreren Stellen auch schon abgegraben wird, gäbe es nun mal nicht ohne Konflikte, räumte Hauptgeschäftsführer Thomas Beißwenger bei einem Gespräch mit Spitzenpolitikern der Grünen im Januar ein. Rohstoffgewinnung sei aber kein Selbstzweck, sondern genüge gesellschaftlichen Bedürfnissen: „Die Unternehmen decken den Bedarf, sie wecken ihn nicht!“

Über 100 Millionen Tonnen mineralischer Rohstoffe, davon 40 Millionen Tonnen Sand und Kies, werden demnach pro Jahr allein in Baden-Württemberg gefördert. Ohne Kies kein Beton, kein Asphalt. Dabei sieht sich der Verband einig mit der Linie der Landesregierung, dass Steinbrüche und Kiesgruben auch künftig möglichst dezentral über das ganze Land verteilt sein sollten, um die Transportwege kurz zu halten.

Baufirmen haben ein zunehmendes Beschaffungsproblem

Die Branche kämpfe vielmehr mit der „administrativen Verknappung“ von Sand und Kies, so Beißwenger. Neben der hohen Nachfrage haben die Firmen ein zunehmendes Beschaffungsproblem. Vor allem Unternehmen in der Region Bodensee-Oberschwaben seien dringend auf neue Abbauflächen angewiesen. So wie Meichle und Mohr, denen die Kiesreserven in der Nähe ihres Werks in Amtszell-Grenis ausgehen. Das soll mit den Steinen aus dem Altdorfer Wald weiter betrieben werden.

Genehmigung neuer Abbaustätten dauert Jahre

Doch die Rohstoffsicherung über die Regionalpläne und die anschließenden Genehmigungsverfahren für neue Abbaustätten bräuchten Jahre, beklagt die Bauwirtschaft. Für die Kiesgrube im Altdorfer Wald hatte Meichle und Mohr bereits 2017 ein Zielabweichungsverfahren beim Regionalverband Bodensee-Oberschwaben beantragt. Damit sollten vier Hektar des geplanten Vorranggebiets zum Abbau „Im Grund“ vorzeitig, also vor Inkrafttreten des neuen Regionalplans, rechtsgültig werden. Seit 2018 ruht das Verfahren.

Dabei wird der Kampf um den Kies nicht nur in Oberschwaben ausgetragen. Der Rohstoff aus der Grenzregion Bodensee-Oberschwaben ist im benachbarten Ausland sehr beliebt, vor allem deshalb, weil er in der Schweiz und Österreich deutlich teurer ist. Eine Studie der IHK Bodensee-Oberschwaben von 2018 geht von fünf bis sechs Millionen Tonnen aus, die Baden-Württemberg an Steine und Erden exportiert.

Doch valide Zahlen zu bekommen ist schwer, räumt selbst die Landesregierung ein. Es gebe weder einen „gesicherten, vollständigen und zentral vorgehaltenen Datenpool“ noch Daten über die Rohstoffströme selbst. Verfügbar sei derzeit lediglich die Außenhandelsstatistik mit Auswertungen des Statistischen Landesamts, dessen Daten allerdings „teilweise mit Unschärfen behaftet“ sind, räumt das Wirtschaftsministerium im Entwurf für eine Rohstoff-Strategie des Landes ein, die Ende März veröffentlicht wurde.

Laut Außenhandelsstatistik schwankt die Kiesausfuhr nach Österreich in der letzten Dekade sehr stark, liegt demnach im Mittel aber bei unter 200.000 Tonnen pro Jahr. Allerdings wurden für 2016 und 2017 doppelt so hohe Exportmengen gemeldet.

Eine 2018 veröffentlichte Rohstoff-Bedarfsstudie der österreichischen Geomaehr GmbH mit Sitz in Götzis geht jedoch höher: Allein das Bundesland Vorarlberg importiere jährlich etwa 660.000 Tonnen mineralische Rohstoffe aus Deutschland, der Großteil davon Kies fast ausschließlich aus der Region Bodensee-Oberschwaben. Im Transit würden weitere bis zu 300.000 Tonnen in die Schweiz transportiert. Zahlen, die von deutscher Seite statistisch aber nicht belegt sind.

Deutlich umfangreicher ist der direkte Export in die Schweiz mit jährlich rund 1,7 Millionen Tonnen an Steinen und Erden. Laut einer Studie der IHK Hochrhein-Bodensee entfallen 1,1 Millionen Tonnen davon auf die Ausfuhr aus Kiesgruben am Hochrhein und schätzungsweise 500.000 Tonnen auf Förderstätten der Region Bodensee-Oberschwaben. In Summe verlässt damit mehr als eine Million Tonnen des Rohstoffs jedes Jahr die Region Bodensee-Oberschwaben in Richtung Vorarlberg und Schweiz.

Das heißt auch: Grob gerechnet wird mindestens jede zehnte Tonne Kies, die hier aus dem Boden geholt wird, im benachbarten Ausland verbaut. Neun Millionen Tonnen jährlich sollen künftig bis zum Jahr 2035 abgebaut werden, steht im aktuellen Entwurf des Regionalplans. Das sind jedes Jahr rund 40.000 Kieslaster (40-Tonner), die über die Grenzen fahren.

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