Rico Grimm @ricogrimm.de 9.9.25
Zack, die Speicher weg!
Wie kann es sein, dass eine Behörde voller Energiespezialisten glaubt, in Deutschland entstünde kein einziger Netzspeicher mehr?
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Wie die Netzspeicher aus dem BNetzA-Bericht verschwanden
Das Modell war so eingestellt, dass sie gar nicht wachsen konnten.
Diese Woche schauen wir auf den neuesten Bericht der Bundesnetzagentur zur Versorgungssicherheit. Der löste einen Sturm der Entrüstung aus, weil er große Batteriespeicher wegmodelliert hat und damit dem Bau von noch mehr Gaskraftwerken Vorschub leistet.
Ich zeige dir, warum Netzspeicher in diesem Bericht nicht auftauchten, obwohl alle wissen, dass sie gerade boomen.
Politiker deuten regelmäßig Regierungsberichte für ihre Zwecke um. Seltener verfälschen die Berichte selbst die Realität.
Letzte Woche geschah genau das. Der Bericht zur Versorgungssicherheit (PDF) erscheint alle zwei Jahre unter Federführung der Bundesnetzagentur. Er bildet die wichtigste politische Grundlage, um auch in Zukunft alle Menschen in Deutschland mit Strom versorgen zu können.
Und er ignoriert vollständig den aktuellen Boom beim Bau großer Batteriespeicher.
Grotesk falsche Annahmen im Bericht
Der Bericht erwartet für 2035 nur 2 GW Netzspeicher in Deutschland (orange im Diagramm):
Versorgungssicherheit Strom Bericht 2025, S.45
Diese Annahme widerspricht sämtlichen Fakten.
• Der neue Netzentwicklungsplan (PDF, S. 39) rechnet mit einem Speicherbedarf von 24 GW / 61 GWh bis 2037 und 55 GW / 136 GWh bis 2045.
• Die Fraunhofer-Gesellschaft bestätigt, dass die Größenordnung zutrifft.
• Netzbetreiber prüfen aktuell 500 GW an Anschlussanfragen für Speicher. Etwa 10% davon werden realisiert.
• Die Berichtsautoren erwähnen selbst in einer Fußnote: Investoren planen bereits heute 4,4 GW an Netzspeichern.
Die Netzbetreiber, die Wissenschaftler und auch die Studienautoren wissen also, dass dieser Bericht auf grotesk falschen Annahmen beruht.
Die Bundesnetzagentur antwortete nur auf meine Nachfrage: Die Annahmen zu Batteriespeichern seien „modellendogen“. Das heißt: Das Modell berechnet den Speicherausbau selbst nach seinen eigenen Vorgaben.
Mit anderen Worten:
Das Modell, das dem strompolitisch aktuell wichtigsten
Bericht Deutschlands zugrunde liegt,
kann den aktuell wichtigsten Großtrend am Strommarkt
nicht modellieren
Wie die falschen Annahmen zustande kommen
Im Methodenteil des Berichts erläutern die Autoren ihre Annahmen. Sie beziehen Wärmepumpen, E-Autos, Interkonnektoren zu den europäischen Nachbarn, Netzausbau, CO₂-Preise und Stromverbrauch, Wetter und andere Faktoren mit ein.
Sie schreiben den Stand vom Jahr 2024 bei Netzspeichern fort.
Die Autoren nehmen bei Gaskraftwerken aber etwas anderes an. Sie bauen einen großen Zuwachs Ende des Jahrzehnts in ihr Modell als externe Vorgabe ein (im Originaltext von Rico gibt es dazu Grafiken)
Wer hat diesen Zubau vorgegeben?
Der Bericht erklärt, dass der Zubau der Erdgas-Kraftwerke 2029 bis 2031 den Annahmen der Kraftwerksstrategie folgt.
Weil Netzspeicher keine Rolle in der Kraftwerksstrategie der Ampelregierung spielten, tauchen sie nicht in diesem Bericht auf. Es gibt also eine mindestens indirekte politische Vorgabe, Netzspeicher zu ignorieren.
Ob das von der Ampelregierung so gewollt war, steht auf einem anderen Blatt. Aber um die Kraftwerksstrategie gab es heftigen Streit. Ein Fixpunkt der Diskussion war die Frage, welche Rolle Netzspeicher im System spielen können. Unstrittig war allerdings immer, dass Gaskraftwerke zugebaut werden müssen. Voilà, genau das ist nun auch ein Ergebnis des Berichts.
Dabei hätte es Wege gegeben, Netzspeicher in den Bericht zu bekommen. In der langen Liste der Modellvorgaben fehlen für Batteriespeicher essenzielle Daten: Zahl der Stunden mit negativen Strompreisen, große Preisunterschiede je nach Tageszeit. Denn genau diese Daten bestimmen doch, ob Netzspeicher wirtschaftlich sind und private Investoren sie bauen. Gibt es diese Daten nicht, gibt es, voilà, auch keine Netzspeicher.
Es hätte noch einen ganz anderen Weg gegeben. Ein Blick auf diesen Chart aus dem Bericht zeigt das
Hier wächst das bidirektionale Laden von E-Autos (gelb) Jahr für Jahr stetig. Dabei existiert bidirektionales Laden in Deutschland abseits kleiner Modellversuche gar nicht. Erklärung der BNetzA: „Bidirektionales Laden (BiDi) ging in das Zielszenario als exogene Vorgabe ein.” Der Hochlauf wurde einfach festgelegt und angenommen.
Warum hat die Bundesnetzagentur nicht auch einen ähnlich ambitionierten Hochlauf für Batteriespeicher festgelegt und angenommen?
Die Bundesregierung hat es nicht vorgegeben. Sie ist die letzte Instanz bei diesem Bericht. „Dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie obliegt es, zu diesem Bericht Einvernehmen in der Bundesregierung herzustellen“, schrieb mir die BNetzA.
Katherina Reiche nutzt die falschen Annahmen, um für noch mehr Gaskraftwerke zu plädieren
Wer braucht dann so ein Modell?
Die Antwort kam nur kurze Zeit nach der Veröffentlichung des Berichts. Sie wurde von Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) geliefert: „Der Bericht der Bundesnetzagentur zeigt, dass wir Handlungsbedarf haben und neue steuerbare Kapazitäten, insbesondere neue Gaskraftwerke, zubauen müssen. Bis 2035 sieht der Bericht einen Bedarf im Umfang von 22 bis zu 36 Gigawatt.“
Das Ministerium hat in der Pressemitteilung auch vorsichtshalber viermal erwähnt, dass 22 bis 36 GW an Gaskraftwerken nun nötig seien, damit jeder die Botschaft versteht. „Speicher“ taucht einmal auf – an dritter Stelle in einer Aufzählung.
Das Modell errechnet 22 GW Zubau im optimistischen Zielszenario, 36 GW bei „Verzögerter Energiewende“ – beides mehr als im vorherigen Bericht. Das entspräche 72 neuen Kraftwerksblöcken.
Das ist wichtig, weil Großspeicher am Strommarkt
die natürlichen Fressfeinde von Gaskraftwerken sind.
In normalen Zeiten
nehmen sie den Gaskraftwerken die Marktanteile weg.
Nur in Dunkelflauten, die definitionsgemäß Tage dauern können, liefern Gaskraftwerke,
was Kurzzeitspeicher nicht liefern können.
Wo der Bericht richtig liegt
Der Bericht legt einen großen Fokus auf „Nachfrageflexibilitäten“ wie Wärmepumpen, Elektrolyseure oder regelbare Industrieanlage. Auch für Energiewende-Faule erkennen, dass Deutschland nicht ohne Smart Meter und physiknahe Strompreise auskommen wird.
Denn selbst, wenn die Bundesregierung nur stur auf Gaskraftwerke setzt, muss auch sie eingestehen: 72 Gaskraftwerke in zehn Jahren zu bauen, ist eine zu große Aufgabe.
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