Sonntag, 14. September 2025

Qualm der kanadischen Waldbrände forderte in Europa 22.000 Todesopfer

Standard  hier Julia Sica 11. September 2025

Qualm der kanadischen Waldbrände forderte in Europa 22.000 Todesopfer
Einer Studie zufolge sorgten die Feuer im Jahr 2023 für rund 80.000 verfrühte Tode. Warum sind mehr Menschen betroffen, obwohl die Waldbrandflächen abnehmen?

Im Sommer 2023 brachten Amber und James Vigh ihren neunjährigen Sohn ins Haus, als sich Rauch aus dem Norden näherte. Im kanadischen British Columbia und in anderen Provinzen brannte der Wald. Das ist immer wieder Anlass, um zehntausende Ortsansässige in Sicherheit zu bringen. Die Familie Vigh war davon aber nicht betroffen und glaubte, ihr würden ärgere Folgen erspart bleiben: Der kleine Carter hatte zwar Asthma, aber im Haus würde mit Inhalatoren und Allergietabletten schon alles in Ordnung sein.

Es kam anders. Am selben Abend begann Carter, heftig zu husten – und weder das Notfallset noch ein kühles Bad konnten seinen Körper beruhigen. Seine Mutter brachte ihn ins Krankenhaus, das er nicht lebendig verlassen würde. Die Ärzte sprachen von einem Asthmaanfall, der durch den Rauch verschlimmert worden war, wie der Guardian berichtet.

Es handelt sich nicht um einen traurigen Einzelfall: Einer aktuellen Studie zufolge führten die besonders verheerenden kanadischen Waldbrände 2023 zu rund 5400 akuten Todesfällen in Nordamerika und mehr als 64.000 chronischen Todesfällen in Nordamerika und Europa.
Das Problem ist der Feinstaub der Größenordnung PM2,5, der bei den Bränden entsteht und bis über den Atlantik geweht wird.

Unterschätzte Gefahr
Die Schätzungen des internationalen Forschungsteams im Fachjournal Nature kommen allein für Europa auf rund 22.000 verfrühte Tode, die der erhöhten Feinstaubbelastung infolge der Feuer zuzuschreiben sind. Zum Vergleich: In Europa sterben jährlich rund 300.000 Menschen an den Folgen der Feinstaubbelastung eines verfrühten Todes.

Global geht man jährlich von mehr als 1,5 Millionen Todesfällen aufgrund von Waldbränden aus (die meisten entfallen auf den afrikanischen Kontinent). Die Forschenden in der aktuellen Studie kommen auf rund 82.000 Fälle im Zusammenhang mit den kanadischen Bränden vor zwei Jahren.

Das mag nach viel klingen, Fachleuten zufolge wird die Sterblichkeit jedoch unterschätzt: "Diese Analyse geht davon aus, dass PM2,5 aus Waldbränden die gleiche Toxizität hat wie PM2,5 aus allen anderen Quellen", sagt Cathryn Tonne, Umweltepidemiologin am Institut für globale Gesundheit (ISGlobal) in Barcelona.

Es gebe jedoch immer mehr Hinweise darauf, dass Waldbrände Feinstaub mit höherer Toxizität produzieren. Einen dieser Hinweise lieferte die Forscherin selbst mit einer vor kurzem veröffentlichten Studie. Die Gefahr für die menschliche Gesundheit werde auch in der Gesellschaft stark unterschätzt.

Waldbrand-Paradoxon
Dabei kommt es zu einem Paradoxon, wie eine weitere aktuelle Studie im Fachjournal Science zeigt. Die Waldfläche, die weltweit abgebrannt ist, dürfte seit 2002 jährlich kleiner werden, jedenfalls im längerfristigen Trend, wie auch Grafiken der Plattform Our World in Data veranschaulichen. Das lässt zumindest vermuten, dass wir besser im Waldbrandmanagement geworden sind.

Gleichzeitig deuten andere Parameter auf eine Verschlimmerung hin: Der Klimawandel erhöht in einigen Regionen wie Kalifornien das Risiko für Feuerwetter, also Wetter, das durch heiße, trockene und windstarke Bedingungen Brände begünstigt. Extreme Waldbrände kommen in Europa häufiger vor. Und: Die Anzahl der Menschen, die von den Folgen betroffen sind, ist seit 2002 um 40 Prozent gestiegen.

Das liegt laut Studienautor Amir AghaKouchak von der University of California in Irvine vor allem daran, dass menschliche Siedlungen immer mehr in waldbrandgefährdete Landschaften hineingebaut werden. Daher "werden proaktive Maßnahmen zur Eindämmung immer wichtiger, um das Risiko künftiger Waldbrandkatastrophen zu verringern", sagt der Forscher.

Ungenaue Apps
Ein falsches Gefühl von Sicherheit können Apps mit Informationen zur Luftqualität liefern. Auch Carters Mutter Amber Vigh ging von einem geringen Risiko aus, weil nur niedrige Werte im Bereich Luftverschmutzung für diesen Tag angegeben waren. Doch die Messstation befand sich in etwa 100 Kilometern Entfernung und lieferte keine realistische Einschätzung.

Damit anderen ein ähnliches Schicksal erspart bleibt, hat Vigh mit einer gemeinnützigen Lungenschutzorganisation eine Initiative ins Leben gerufen und verteilt gratis Geräte zur Luftgütemessung in Ortschaften in British Columbia, wo diese fehlen. (Julia Sica, 11.9.2025)

Studien

Nature: Long-range PM2.5 pollution and health impacts from the 2023 Canadian wildfires

Science: Increasing global human exposure to wildland fires despite declining burned area

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