Montag, 15. September 2025

Und vielleicht ist das der entscheidende Punkt: ob Rechtspopulisten definieren sollen, was links ist


hier  Aus der ZEIT Nr. 39/2025   Von Andrea Böhm und Petra Pinzler  10.9.25

Der Staat päppelt nur die Linken? Von wegen! 

Ständig gibt es Kritik an den Zuschüssen für die Omas gegen Rechts. Dabei fließt das meiste öffentliche Geld in ganz andere Organisationen: Sportvereine, Wohlfahrtsverbände, auch in die Landjugend.
Um linke Politik geht es da nicht.

Eigentlich war die Sache klar: Die Stadt Salzwedel in Sachsen-Anhalt bekommt ein Jugendforum. Damit Schüler sich stärker an der lokalen Politik beteiligen und lernen, wie Demokratie funktionieren kann. Die Finanzierung, von der Stadtverwaltung selbst beantragt, war gesichert. 140.000 Euro pro Jahr hatte der Bund im November 2024 bewilligt. Nur der Stadtrat musste noch abstimmen. Doch im vergangenen April lehnte eine Mehrheit aus CDU, Vertretern der Freien Wähler und AfD das Projekt im Stadtrat überraschend ab. Man wolle keine "linke Einflussnahme" auf die Gesellschaft, sagte die AfD. Und schon gar nicht staatlich finanziert.

Salzwedel hat rund 23.000 Einwohner, ist berühmt als "Stadt der Hanse und des Baumkuchens" – und nun auch als weiterer Schauplatz eines Kulturkampfes. Es geht um das Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft, um die Frage, ob der Staat zum Schutz der Demokratie Vereine und Initiativen finanziell unterstützen soll. Und wenn ja, welche. Die Antwort dürfte einigen Einfluss haben auf die politischen Verhältnisse der kommenden Jahre.

Der Vorwurf, Bund und Länder würden unter dem Etikett der Demokratieförderung linke Organisationen päppeln, wird schon länger erhoben und debattiert. Auch in dieser Zeitung. 

In Salzwedel kippte das Jugendforum (mit den Stimmen der CDU) genau fünf Tage nachdem die Union unter dem damaligen Oppositionsführer Friedrich Merz einen ähnlich lautenden Verdacht in einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung formuliert hatte. Von einer "Schattenstruktur" linker NGOs war darin die Rede.

In den folgenden Wochen scheiterte nicht nur das Jugendforum in Salzwedel. Vorstöße gegen Projekte zur Demokratieförderung unternahm die AfD auch in Wurzen, Bautzen oder Schwerin – mit Unterstützung der CDU.

Ende August erklärte die AfD in Thüringen, auch beim Finanzamt gegen die Gemeinnützigkeit von Vereinen vorgehen zu wollen, zum Beispiel gegen die Omas gegen Rechts, eine Initiative gegen Antisemitismus, Rassismus und Frauenfeindlichkeit. Das Ende einer "steuerfinanzierten Zivilgesellschaft" hatte Björn Höcke, Thüringer Fraktionschef der AfD, schon vor Längerem mit den Worten angekündigt: "Der Stecker wird gezogen."

Kulturkämpfe haben es an sich, dass Zahlen und Begriffe gern missverstanden und zu Reizwörtern zugespitzt werden. Fangen wir mit einem Blick auf Zahlen an. Der Vorwurf, der Staat unterstütze mit seinen Fördermitteln vor allem eine "linke" Zivilgesellschaft, erweist sich da schnell als Einbildung, um es freundlich zu formulieren. So nimmt sich zum Beispiel der gesamte staatliche Zuschuss von einmalig 23.000 Euro für Projekte der Omas gegen Rechts eher bescheiden aus im Vergleich zu den 800.000 Euro, welche die Ludwig-Erhard-Stiftung 2023/24 aus der Staatskasse zwecks Förderung des Ordo-Liberalismus bekommen hat.

Beide – die Omas wie auch die Stiftung – gehören zur Zivilgesellschaft. Die umfasst, vereinfacht gesagt, alle nichtstaatlichen Organisationen, die weder profitorientiert noch von parteipolitischen Interessen abhängig sind. Dazu zählen Trachtenvereine, Sport- und Wohlfahrtsverbände, bestimmte Stiftungen, Religionsgemeinschaften, freiwillige Feuerwehren, Initiativen für Umweltschutz und gegen Rechtsextremismus. Der Staat hilft nicht allen, aber vielen dieser Gruppen seit Jahrzehnten auf verschiedene Weise. Die mit Abstand größten Fördersummen gehen an Sport- und Wohlfahrtsverbände. Das Argument dafür: Erstere übernehmen eine gesellschaftlich wichtige Aufgabe, Letztere nehmen dem Staat unter anderem durch Pflegeeinrichtungen und soziale Dienste Arbeit ab. Links sind beide nicht.

Außerdem profitieren viele zivilgesellschaftliche Organisationen vom Status der Gemeinnützigkeit, der ihnen steuerliche Vorteile und das Recht verleiht, steuerlich absetzbare Spendenbescheinigungen auszustellen. Die Omas gegen Rechts sind nicht gemeinnützig, auch wenn die Thüringer AfD das behauptet. Die Ludwig-Erhardt-Stiftung ist es.

Politische Neutralitätspflicht

Womit man bei der Frage wäre, ob solche Organisationen die Hand beißen dürfen, die ihnen hilft – zum Beispiel, indem sie gegen den Staat demonstrieren, der sie, in welcher Form auch immer, unterstützt. Die CDU/CSU-Fraktion hatte ihre Anfrage im Bundestag Anfang dieses Jahres gestellt, weil kurz zuvor Tausende Menschen unter dem Motto "ZusammenGegenRechts" unter anderem vor deren Parteizentrale in Berlin dagegen protestiert hatten, dass Friedrich Merz einen Antrag zur Verschärfung der Migrationspolitik mit den Stimmen der AfD durchgebracht hatte: ein Tabubruch im deutschen Parlament. Weil auch staatlich geförderte NGOs zu den Kundgebungen aufgerufen hatten, witterte die CDU/CSU-Fraktion einen Verstoß gegen das "Gebot der politischen Neutralität".

Nun dürfte Friedrich Merz bekannt sein, dass NGOs auch dann gegen den Staat auf die Straße gehen dürfen, wenn sie von ihm Unterstützung erhalten. Und dass sie es tun.

Bei der Kundgebung "ZusammenGegenRechts" war beispielsweise auch die Diakonie, der gemeinnützige Wohlfahrtsverband der evangelischen Kirchen, mit dabei. Auch als Tausende von Bauern Anfang 2024 aus Wut über den Abbau von Dieselsubventionen in mehreren Städten mit Treckern den Verkehr lahmlegten, waren Gruppen dabei, die staatliche Gelder erhalten – zum Beispiel der Bund der Deutschen Landjugend. Oder der Bayerische Bauernverband. Dabei konnte man all diese Aktionen auch als gezielte Proteste gegen die damaligen oder künftige Regierungsparteien werten.

Es kam im Bundestag aber niemand auf die Idee, die Unterstützung für diese Organisationen infrage zu stellen. Oder sie an eine politische Neutralitätspflicht zu erinnern. Die gibt es in dieser Form auch gar nicht. Staatlich geförderte Vereine oder Initiativen müssen zwar parteipolitisch neutral bleiben. Doch der Staat darf ihnen keine komplette politische Enthaltsamkeit verordnen.

Womit man bei der nächsten Frage wäre:
Woher kommt der Vorwurf einer linksdominierten, staatsfinanzierten Zivilgesellschaft?

Im Landtag von Sachsen-Anhalt tauchte er schon im Dezember 2017 auf. Die AfD-Fraktion hatte eine Anfrage an die Landesregierung gestellt – genauer gesagt: ihr einen Katalog von 236 Fragen vorgelegt, bezüglich Hilfen der Landesregierung für Projekte zur Demokratieförderung und gegen Extremismus. Nun sind solche Anfragen das gute Recht einer jeden Parlamentsfraktion.

 Bloß ging es der AfD nicht um Transparenz, wie Philip Stein, Verleger der Neuen Rechten und ein Stratege dieser Anfragen-Kampagne, damals schrieb: "Die umfassende erste Anfrage und ähnliche Recherchen sind ein Weg, um den linken Geldfluss an Fördermitteln trockenzulegen und endlich wieder ernsthafte Arbeit für unsere Demokratie zu betreiben. Der Anfang ist gemacht." Die Anfrage im Landtag von Sachsen-Anhalt hatte Stein, der sich selbst als "rechtsradikal" bezeichnet, mitformuliert. Wenig später referierte er im Bundestag vor der AfD-Fraktion über "linke Förderstrukturen" und den "Kampf gegen rechts".

Juristische und politische Angriffe der Partei auf Organisationen, die sich gegen Rassismus und Antisemitismus engagieren oder extremistische Gewalt dokumentieren, gehören also längst zum Standardrepertoire ihrer Parlamentsfraktionen. Besonders im Visier hatte die AfD schon 2017 die staatliche Unterstützung für den Salzwedeler Verein Miteinander e. V., weil er die Nähe von AfD-Positionen zu denen neonazistischer Organisationen kritisiert hatte. Miteinander e.V. hätte die Koordinierung des Jugendforums übernehmen sollen. Dass die AfD deren staatliche Unterstützung nicht möchte, ist wenig verwunderlich. Aber die CDU?

In Thüringen hat es die AfD auf Projekte wie die Opferberatungsstelle Ezra abgesehen. Franz Zobel heißt der Leiter, der mit rund einem halben Dutzend Mitarbeitern Opfer antisemitischer, rassistischer und rechter Gewalt begleitet: ins Krankenhaus, zur Polizei und durch Gerichtsverfahren. Angesichts der wachsenden Zahl von Angriffen könnte Zobel mehr Leute gebrauchen. Vorerst ist er froh, dass die Beratungsstelle überhaupt noch finanziell gesichert ist – unter anderem durch Mittel aus dem Bundesprogramm "Demokratie leben", über das auch das Jugendforum hätte finanziert werden sollen.

Von der CDU ins Leben gerufen

Solange die demokratischen Parteien sich einig gewesen seien, dass Opfer rechter Gewalt Anspruch auf Beratung hätten, sagt Zobel, "haben die AfD-Kampagnen gegen die demokratische Zivilgesellschaft ja nicht funktioniert". Doch mit der Anfrage der CDU/CSU vom vergangenen Februar seien die Narrative und Diffamierungen der extremen Rechten in die Mitte des Bundestags eingezogen.

"Demokratie leben" wird vom Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend verwaltet. Thüringen, Sachsen-Anhalt und andere Bundesländer haben zusätzlich eigene Fördertöpfe. Schaut man auf die Gründungsjahre dieser Programme, fällt auf: Sie wurden unter CDU-geführten Regierungen ins Leben gerufen. Das thüringische Programm für "Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit" startete 2010 unter der damaligen CDU-Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht, das Programm "Wir sind das Land" in Sachsen-Anhalt 2012 unter dem CDU-Ministerpräsidenten Reiner Haseloff. Damals erinnerte man sich noch an die "Baseballschlägerjahre", als rechtsextreme Trupps in den neuen Bundesländern Jagd machten auf Flüchtlinge, Obdachlose und Jugendliche, die keine Lust auf völkische Parolen hatten.

"Demokratie leben" entstand 2015, als der NSU-Prozess in den Schlagzeilen war – und damit die Netzwerke eines rechtsextremen Terrorismus. Politiker aller demokratischen Parteien hielten es damals für wichtig, die verschiedenen kleineren Programme zu Demokratieförderung und Gewaltprävention in einem großen zusammenzubinden

Inzwischen hat das Programm ein Budget von rund 190 Millionen Euro, das laut Haushaltsentwurf in den kommenden Jahren auf knapp über 200 Millionen Euro steigen soll. Damit werden keine Vereine oder Verbände finanziert, sondern einzelne von diesen beantragte und geprüfte Projekte – derzeit sind es über 3.000. Ist sich das Ministerium bei der demokratischen Haltung eines Antragstellers nicht sicher, etwa, weil er bislang nicht in Erscheinung getreten ist, fragt es eine Überprüfung beim Verfassungsschutz an. Eine durchaus umstrittene Praxis, weil Organisationen nicht erfahren, ob und in welchem Umfang sie überprüft worden sind. Die zuständige Bundesministerin Karin Prien (CDU) möchte die Überprüfungen nun offenbar ausweiten. Jedenfalls versprach sie das jüngst in einem Brief an ihre Fraktion all jenen Parteifreunden, die sich vor einer linken "Schattenstruktur" fürchten.

Die Konrad-Adenauer-Stiftung muss eine solche Überprüfung vermutlich nicht fürchten. Sie gehört ebenso zu den Geldempfängern von "Demokratie leben" wie die evangelischen Akademien und die Charité. Außerdem Landes-Demokratiezentren, Vereine für die Rechte queerer Menschen, Aussteigerprogramme für extremistische Straftäter. 

Ein großer Batzen geht an Kommunen, die zum Beispiel ein Jugendforum einrichten wollen. Wie in Salzwedel. Genau dort aber funktioniert die AfD-Strategie bislang am effektivsten. In immer mehr Kommunen kann die Partei politischen Druck aufbauen und Mehrheitsverhältnisse organisieren, die verhindern, dass Fördermittel abgerufen werden. Und in Sachsen-Anhalt, wo sie in Umfragen bei 39 Prozent liegt, könnte sie dem Ziel, der vermeintlich linken Zivilgesellschaft den "Stecker zu ziehen", nach den Landtagswahlen 2026 ein gutes Stück näher kommen.

Womit man bei der letzten Frage wäre: Was heißt eigentlich "links" in Zeiten, da eine Partei in den Umfragen nach oben klettert, die der Verfassungsschutz für "gesichert rechtsextrem" hält?

Schaut man sich die CDU/CSU-Anfrage vom vergangenen Februar an, die entsprechenden AfD-Anfragen verblüffend ähnlich ist, dann steht heute schon unter Links-Verdacht, wer Verstöße gegen den Tierschutz dokumentiert. Wer sich für Journalismus oder gesunde Ernährung einsetzt. Wer Antisemitismus oder Hass im Netz bekämpft.

Christine Lieberknecht mischt sich heute immer noch ein, nicht mehr als Politikerin, sondern als Mitglied der Zivilgesellschaft. Vergangenes Jahr mobilisierte sie vor den Landtagswahlen gegen einen Rechtsruck. "Die 32 Prozent für Höcke haben wir nicht verhindert", sagt sie. Aber sie ist überzeugt, dass die Programme zur Demokratieförderung die Bürgerbewegung gegen rechts maßgeblich gestärkt haben. Lieberknecht ist heute stellvertretende Vorsitzende der Stiftung "Gegen Vergessen – Für Demokratie!", die ebenfalls durch "Demokratie leben" gefördert wird. Die sei nicht links, sondern überparteilich – "mit Ausnahme der AfD natürlich".


Und vielleicht ist das der entscheidende Punkt:
ob Rechtspopulisten definieren sollen, was links ist



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen