Süddeutsche hier Kommentar von Michael Bauchmüller 5. September 2025,
Die Koalition ringt sich doch noch zu einer richtigen Entscheidung durchWeil Deutschland seine Klimaziele verfehlt, muss es wohl Strafe zahlen. Kurz dachten die Regierungsparteien deshalb an einen Buchungstrick, verkniffen ihn sich aber. Das ändert nichts daran, dass die Sache ziemlich teuer werden könnte. Dabei gibt es einen Ausweg.
Zu den unangenehmen Gewissheiten des Klimawandels zählt, dass das dicke Ende in aller Regel erst kommt. Und das nicht nur seiner katastrophalen Folgen wegen – sondern auch für den deutschen Staatshaushalt. Im Kreis der EU-Staaten verfehlt Deutschland seine Klimaziele, und das Jahr für Jahr mehr. Europas Regeln sehen vor, dass Berlin dafür bei anderen EU-Ländern Zertifikate zukaufen muss. Bis Ende des Jahrzehnts könnten dafür zweistellige Milliardenbeträge auflaufen. Wer verfolgt, wie die Koalition gerade das Geld zusammenkratzt, ahnt, was das bedeutet.
Wohl deshalb waren Union und SPD auch auf die wahnwitzige Idee verfallen, diese Rechnung künftig aus dem Klima- und Transformationsfonds zu begleichen – jenem Fonds also, der doch eigentlich dabei helfen soll, das Land auf einen klimafreundlichen Kurs zu bringen. Dafür wäre dann nicht mehr viel Geld da gewesen.
Auf den letzten Drücker hat die Koalition den Plan nun offenbar verworfen. Das Geld für die Strafzahlungen soll aus dem Bundeshaushalt kommen. Eine saubere Lösung ist das – und obendrein eine mit disziplinierender Wirkung. So könnten etwa Ministerien herangezogen werden, deren Bereiche besonders säumig sind, allen voran das Verkehrsressort. Die drohende Strafe könnte motivieren, wirklich mal was zu unternehmen. Denn einen eleganten Ausweg gibt es auch: weniger Emissionen.
Süddeutsche Zeitung hier 5. September 2025
Von Michael Bauchmüller, Claus Hulverscheidt und Vivien Timmler, Berlin
Von Michael Bauchmüller, Claus Hulverscheidt und Vivien Timmler, Berlin
Klimaschutz - Ende eines Haushaltstricks
Deutschland drohen Milliardenstrafen wegen verfehlter EU-Klimaziele. Zahlen wollte die Koalition die ausgerechnet aus einem Fonds für Klimaschutz. Doch in letzter Minute schwenkte sie um.
Die Operation war lange unbemerkt geblieben, ihre Folge schwer absehbar. Nicht aus dem Bundeshaushalt sollte künftig gezahlt werden, wenn Deutschland die europäischen Klimaziele reißt, sondern aus dem Klima- und Transformationsfonds, kurz KTF. Nach europäischem Recht muss ein Land Emissionszertifikate zukaufen, wenn es zu viel CO₂ emittiert. Weil das bisher so gut wie nie passierte, lag der Posten bisher bei null Euro. Wo diese null Euro in den Büchern des Bundes stehen, ob im Haushalt oder im KTF, hat deshalb kaum einen interessiert.
Bis jetzt. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung wurde der Plan in buchstäblich letzter Minute vereitelt. Wie bisher müssen die Strafzahlungen damit auch in Zukunft aus dem Bundeshaushalt fließen. Und dass sie fließen werden, und nicht zu knapp, ist schon jetzt ziemlich sicher.
Das wiederum hat mit der europäischen Lastenteilung zu tun oder, wie die Europäer es euphemistisch nennen, „Leistungsteilung“. Denn die Klimaziele gelten zwar für alle Mitgliedstaaten gemeinsam, aber auch jedes für sich muss seinen Anteil erreichen. Schafft das Land dies nicht, muss es überschüssige Emissionszertifikate bei EU-Ländern zukaufen, die schon weiter sind. Weil es diese Zertifikate nicht unendlich gibt, wird das umso teurer, je schärfer die Klimaziele werden.
Gerade für Deutschland kann das noch teuer werden. Nach Berechnungen des Expertenrats für Klimafragen, eingesetzt von der Bundesregierung, hatte Deutschland bis 2023 noch Überschüsse, rutscht aber seitdem von Jahr zu Jahr tiefer ins Minus. Bis 2030 könnte die Lücke auf 225 Millionen Tonnen Kohlendioxid anwachsen – und das vor allem, weil Deutschland im Verkehr und bei den Gebäuden hinterherhinkt. Die klimaschädlichen Emissionen sinken hier nicht so schnell, wie sie sollten.
Deutschland wird also Zertifikate bei anderen kaufen müssen, und das wird teuer.
Im europäischen Emissionshandel, der für Kraftwerke und Fabriken gilt, kostet die Tonne derzeit rund 75 Euro – macht bei 225 Millionen Tonnen fast 17 Milliarden Euro. Das wird für den Bundeshaushalt schon eine schwere Last. Den Klima- und Transformationsfonds aber würde es zweckentfremden. Schließlich soll der ja gerade dabei helfen, auf klimafreundliche Technologien umzusteigen. Dafür aber hätte er dann kein Geld mehr. Die Korrektur sei überfällig, sagt Grünen-Klimapolitikerin Lisa Badum.
Im europäischen Emissionshandel, der für Kraftwerke und Fabriken gilt, kostet die Tonne derzeit rund 75 Euro – macht bei 225 Millionen Tonnen fast 17 Milliarden Euro. Das wird für den Bundeshaushalt schon eine schwere Last. Den Klima- und Transformationsfonds aber würde es zweckentfremden. Schließlich soll der ja gerade dabei helfen, auf klimafreundliche Technologien umzusteigen. Dafür aber hätte er dann kein Geld mehr. Die Korrektur sei überfällig, sagt Grünen-Klimapolitikerin Lisa Badum.
„Klima-Kannibalismus“ habe gedroht.
„Strafzahlungen für versäumten Klimaschutz
aus dem Klimatopf zu zahlen,
sodass sogar noch weniger Geld
für Verkehrs- und Gebäudewende zur Verfügung steht,
wäre ein absurder Teufelskreis gewesen.“
Expertinnen äußern sich ähnlich. „Es ist gut, dass dieser absurde Weg jetzt nicht beschritten wird“, sagt etwa Brigitte Knopf, Chefin des Berliner Thinktanks Zukunft Klima Sozial und bis vor Kurzem stellvertretende Vorsitzende des Expertenrats für Klimafragen. „Wichtig ist aber vor allem, dafür zu sorgen, dass hohe Kosten für Ankäufe von Zertifikaten erst gar nicht entstehen.“ Dafür wiederum müsse die Bundesregierung im Herbst ein Klimaschutzprogramm vorlegen, „das dafür sorgt, dass der Gebäude- und Verkehrssektor die Klimaziele erreicht“.
Die Vorarbeiten für diesen Plan laufen derzeit, die Federführung liegt beim Umweltministerium. Es sammelt bei allen zuständigen Ministerien Vorschläge ein, wie sich die Emissionen weiter senken lassen. Gerade mit dem Verkehrsministerium gestaltete sich das in der Vergangenheit schwierig. Doch fortan dürfte das Umweltressort einen mächtigen Verbündeten haben: den Bundesfinanzminister.
TAZ hier 7.9.2025 Von Jonas Waack
Klimatopf wird doch nicht für Strafzahlungen geplündert
Die Bundesregierung wollte Zertifikate für verfehlte Klimaziele kaufen – mit Geld, das für Klimaschutz reserviert ist. Jetzt zieht sie zurück.
Die Bundesregierung belässt den Haushaltsposten, mit dem Deutschland Ausgleichszertifikate für verfehlte Klimaziele von anderen EU-Ländern kauft, nach Informationen der taz im Kernhaushalt. Zuerst berichtete die Süddeutsche Zeitung. Damit reagierte die Regierung auf scharfe Kritik von Klimaschützer*innen, auch aus CDU und SPD.
Der Posten wurde ursprünglich aus dem Kernhaushalt in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) verschoben, der für die Finanzierung der Klimaneutralität eingerichtet wurde. Nun soll der Posten im Kernhaushalt bleiben.
Neben 100 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen Infrastruktur fließen in den KTF auch die Einnahmen aus der nationalen und EU-weiten CO2-Bepreisung.
„Das läuft der Grundidee des KTF völlig zuwider und verschärft die klimapolitische Lücke, anstatt sie zu schließen“, sagte der klimapolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Mark Helfrich, als die Verschiebung des Postens erstmals bekannt wurde. Er ist mit 0 Euro hinterlegt und dient als Platzhalter für Zahlungen, die erst in einigen Jahren anfallen werden.
Zahlungen wären Anfang der 2030er fällig
Deutschland ist im Rahmen der EU-Klimaschutzvorgaben wie alle EU-Staaten dazu verpflichtet, in den Sektoren Gebäude, Verkehr und Landwirtschaft CO2-Emissionen einzusparen. Reißt die Bundesrepublik diese Ziele, muss sie Zertifikate von den Ländern kaufen, die ihre Verpflichtungen übererfüllt haben. Deshalb werden die Zertifikatekäufe häufig als Strafzahlungen bezeichnet, obwohl sie offiziell keine sind.
Für die erste Hälfte des Jahrzehnts hat Deutschland seine EU-Klimaziele eingehalten und muss deshalb in den nächsten Jahren keine Zertifikate kaufen. Der Expertenrat Klima geht aber davon aus, dass das Land bis 2030 224 Millionen Tonnen CO2 mehr ausstoßen wird als erlaubt. Der Zertifikatekauf wäre dann Anfang der 2030er Jahre fällig.
Der Fonds dürfe nicht zum Lückenbüßer für verfehlte Klimapolitik werden, sagte Jakob Blankenburg (SPD), als Ende August der verschobene Haushaltsposten öffentlich wurde. „Nur wenn wir konsequent in Emissionsminderungen investieren, vermeiden wir überhaupt Strafzahlungen.“
Wie teuer es wird, die Ziele zu verfehlen, lässt sich noch nicht zuverlässig schätzen. Das hängt von den CO2-Emissionen der anderen EU-Staaten ab. Es würde aber mehrere Milliarden Euro kosten. Wären die aus dem KTF bezahlt worden, hätte die Bundesregierung sie nicht für den Umbau der Wirtschaft hin zur Klimaneutralität nutzen können.
Ursprünglich eingestellte Beiträge:
Peter Jelinek hier auf LinkedIn
Eine Katastrophe mit Ansage und ein gutes Beispiel, warum Klimaziele Alibipolitik bleiben, wenn wir die Maßnahmen dafür ignorieren.
Der Klima- und Transformationsfond (KTF) soll nach aktuellen Berichten für Strafzahlungen im Verkehrssektor herhalten, weil dieser die Klimaziele nicht einhält.
Sprich: Der Topf wird geplündert, der die Mobilitätswende einleiten sollte.
▪️ Wie steht es um die Emissionen im Verkehrssektor?
Bis auf die Corona-Pandemie verfehlt der Verkehrssektor in Deutschland jedes Jahr routiniert seine Klimaziele. Der Elefant im Raum bei den Emissionen wird nicht oder nur kaum angetastet. Dabei war der Verkehr 2022 für gut 1/5 der Emissionen verantwortlich hierzulande verantwortlich.
Europäisch sieht es auch düster aus: Zwischen 1990 und 2022 erhöhte sich der jährliche CO2-Ausstoß im Straßenverkehr EU-weit um 24 %. Am deutlichsten stieg der CO2-Ausstoß bei Autos (+56 %).
▪️ Was sind die Gründe?
Einer der Hauptgründe: Autos – und allen voran der SUV-Boom seit den 2010er Jahren. Mehr Masse frisst die Energieeffizienz auf. Doch die SUVs versprachen auch mehr Gewinne für Autokonzerne.
▪️ Was sollte dagegen getan werden?
Abhilfe sollte eigentlich das deutsche Klimaschutzgesetz (KSG) schaffen. Jeder Sektor sollte berichten, wie es um ihn steht. Droht eine Verfehlung, muss die Minister*in mit einem Sofortprogramm nachbessern. Im Verkehrssektor wäre das bspw. mit einem Tempolimit, Steuern oder der raschen Elektrifizierung möglich gewesen.
Die Debatten darüber erspare ich euch hier. Leider setzte sich in der Ampel-Regierung die FDP durch, das Klimaschutzgesetz aufzuweichen. Sektorziele? Gelten nicht mehr und der ehemalige FDPler und Verkehrsminister Wissing weigerte sich vehement, ein Sofortprogramm vorzulegen.
▪️ Das Problem nun?
Auf 🇪🇺-Ebene unterliegen die Emissionen des Verkehrssektors der Europäischen Klimaschutzverordnung (ESR). Diese sieht für Sektoren eine europäische Reduktion der Emissionen bis 2030 gegenüber 2005 um 40% vor. Für Deutschland gilt bei Verkehr ein Minderungsziel von 50%.
Bei Nicht-Einhaltung drohen Strafzahlungen. Eine Berechnung von T&E aus dem letzten Jahr zeigte: Bei aktuellem Kurs müsste Deutschland bis zu 16,2 Milliarden Euro für Emissionszertifikate bezahlen.
Das ist übrigens auch einer der Gründe, warum die FDP vor einiger Zeit dafür plädierte, auch hier die Gesamtbilanz im ESR zu nehmen statt auf Sektorziele zu schauen – und die Union liebäugelt damit.
Das 2. Problem ist: Zusätzlich werden die Emissionen des Straßenverkehrs schrittweise zusammen mit den Emissionen in das neue Europäische Emissionshandelssystem (EU-ETS 2) integriert. Sprich: Sprit wird teurer.
▪️ Fazit
Was FDP, CDU & CSU hier hinterlassen haben oder planen, ist also eine doppelte Steuererhöhung:
1. Indem Gelder aus dem KTF für Strafzahlungen verwendet werden.
2. Indem es über den ETS einfach den Bürger*innen überlassen wird.
Und die Merz-Regierung? Von CDU-Verkehrsminister Schnieder hört man nichts mehr von Mobilitätswende.
Christina Christiansen hier LinkedIn
Es ist ein perverser Kreislauf, den man eigentlich nur noch mit bitterem Lachen ertragen kann.
Deutschland verfehlt Jahr für Jahr die eigenen Klimaziele, vor allem in den Bereichen Verkehr und Gebäude. Das ist längst kein Betriebsunfall mehr, sondern ein Dauerzustand.
Der Expertenrat für Klimafragen hat gerade erst bestätigt: Der Verkehrssektor reißt seine Vorgaben deutlich. Bei den Gebäuden wird mit Statistiktricks herumlaviert, aber alle wissen, dass auch dort die Bilanz erbärmlich bleibt.
Während also auf allen Ebenen großspurig von „Klimaschutz made in Germany“ geredet wird, passiert in der Realität: nichts oder viel zu wenig.
Und was folgt daraus? Deutschland muss zahlen. Klingt nach einer Strafe, ist offiziell aber ein bürokratischer Euphemismus: Wir kaufen sogenannte Emissionszuweisungen von Ländern, die ihre Ziele übererfüllen. Das ist der Mechanismus der EU-Lastenteilungsverordnung.
Man könnte auch sagen: Deutschland kauft sich mit Geld aus seiner Klimafaulheit frei. Eine Tonne CO₂ weniger gibt es dadurch nicht. Keine Lärmschutzwand, keine Wärmedämmung, kein Bus fährt öfter, kein Haus wird saniert. Es ist die buchhalterische Absolution für politische Bequemlichkeit.
Und jetzt kommt der eigentliche Skandal: Die Bundesregierung will diese Milliardenkosten nicht irgendwo im Haushalt verstecken, sondern ausgerechnet aus dem Klima- und Transformationsfonds nehmen. Aus jenem Topf, der eigentlich für die Wärmewende, für erneuerbare Energien, für Dekarbonisierung der Industrie gedacht ist.
Mit anderen Worten: Das Geld, das wir dringend bräuchten, um die Ziele überhaupt einzuhalten, wird jetzt genutzt, um die Strafen für das Nichteinhalten zu bezahlen. Weniger Mittel für Investitionen, mehr Mittel für das Stopfen selbstgemachter Löcher. Eine Abwärtsspirale.
Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat schon festgestellt: Das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung reicht nicht aus. Es ist ein klarer Rechtsbruch. Trotzdem hält man in Berlin lieber an Dienstwagenprivilegien, Pendlerpauschale und politischer Bequemlichkeit fest. Statt mutig gegenzusteuern, wird der Klimaschutzfonds geplündert, um die eigene Untätigkeit zu kaschieren. Wir zahlen also doppelt: mit Steuergeld für Zertifikate und mit der zerstörten Zukunft, die keine Zertifikate der Welt retten.
Die Botschaft ist klar: Wer jetzt nicht laut wird, bekommt bald gar nichts mehr außer Rechnungen. Wir stehen an einem Punkt, an dem Politik sich selbst auflöst in eine Farce. Klimaziele werden verfehlt, Strafen aus Klimageldern bezahlt, Investitionen blockiert. Das ist nicht nur ein schlechtes Management, das ist ein Schlag ins Gesicht all jener, die seit Jahren für konsequenten Klimaschutz kämpfen.
Quelle: Expertenrat für Klimafragen, Prüfbericht Emissionen 2023; EU-Kommission zur Effort Sharing Regulation; Süddeutsche Zeitung über KTF-Mittel für Zertifikatskäufe (2025).
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