Donnerstag, 11. September 2025

Umweltminister Schneider: Wer das neue europäische Klimaziel für 2040 blockiert und verzögert handelt gegen deutsche Interessen

Frankfurter Rundschau hier 11.09.2025,Von: Jörg Staude

Umweltminister Schneider bekräftigt EU-Klimaziel für 2040

Die EU könnte das Klimaziel für 2040 blockieren. Umweltminister Carsten Schneider bekräftigt jedoch Deutschlands Engagement und warnt die Union.

Wer 2015 dabei war, erinnert sich gern an den magischen Moment: Die Staatenvertreter:innen hakten sich im Konferenzflur von Le Bourget unter, marschierten in den Verhandlungssaal und beschlossen dort den Pariser Klimavertrag, begleitet von Jubel, Beifall und Tränen der Rührung weltweit.

Seitdem gilt das globale Versprechen, die Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen. Zehn Jahre nach dem magischen Moment steht die Welt an der Schwelle zu den 1,5 Grad und vor dem nächsten Klimagipfel, der schon im Vorfeld als historisch gilt.

Er beginnt in zwei Monaten, am 10. November, im brasilianischen Belém. Die 30. UN-Klimakonferenz (COP 30) ist in den Augen vieler Klimaschützer:innen die letzte Chance, das 1,5-Grad-Limit noch am Leben zu erhalten.

In Belém müssen sich die Nationen darauf einigen, unter allen Umständen an den 1,5 Grad festzuhalten, betonte auch Johan Rockström diese Woche bei einer Veranstaltung zum zehnjährigen Jubiläum von Paris. Die Tatsache, dass die Welt derzeit rasch auf die 1,5 Grad zusteuert, könne kein Argument für die Staaten sein, sich vom 1,5-Grad-Ziel zu lösen, warnte der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Es komme auf jedes Zehntelgrad an.

Wie andere setzt Rockström – nach dem erneuten Austritt der USA aus dem Paris-Abkommen – große Hoffnungen auf Europa und insbesondere Deutschland. Diese Hoffnungen sind bis jetzt auch nicht ungerechtfertigt, schaut man allein auf die Klimaziele. Die Europäische Kommission hat im Juli vorgeschlagen, als EU-Klimaziel für 2040 eine CO₂-Minderung um 90 Prozent gegenüber 1990 zu verankern. 2050 will die EU nach wie vor klimaneutral sein. Bislang gibt es rechtlich verbindlich aber nur ein Klimaziel für 2030. Dieses verlangt eine Senkung der Emissionen um 55 Prozent.

Einige Verwässerungen trüben die Freude über die 90 Prozent. Wie in Deutschland sollen künftig auch in Europa Reduktionspflichten der einzelnen Sektoren wie Energie oder Verkehr miteinander verrechenbar sein. Die EU-Kommission will zudem international gehandelte CO₂-Zertifikate für das Klimaziel anerkennen. Bis zu drei Prozentpunkte der 90 Prozent sollen so „erfüllt“ werden können.

Zum EU-Ziel für 2040 hat die schwarz-rote Koalition in Berlin im Grunde schon Ja gesagt. Dazu muss man nur in den Koalitionsvertrag schauen. Da steht: Man unterstütze das 90-Prozent-Ziel – mit der Maßgabe, dass Deutschland erstens nicht mehr reduzieren müsse als mit dem deutschen Klima-Ziel für 2040 vorgegeben. Und zweitens soll Deutschland das 2040er Ziel ebenso mit bis zu drei Prozentpunkten durch ausländische CO₂-Zertifikate erfüllen dürfen.

Wie hoch ist das deutsche Klimaziel für 2040? Das liegt derzeit bei minus 88 Prozent gegenüber 1990 – auf den ersten Blick weniger als das europäische Ziel. Deutschland rechnet bei den 88 Prozent aber – anders als die EU – keine Effekte durch natürliche CO₂-Senken wie Wälder, Moore und Grünland hinein. Würde Deutschland das tun, soll rechnerisch ungefähr ein Ziel von 91 Prozent CO₂-Reduktion herauskommen.

Kurz zusammengefasst: Die EU will für 2040 minus 90 Prozent und baut ein paar Schlupflöcher ein. Deutschland strebt in etwa dieselbe Reduktion an und baut ein paar Schlupflöcher ein. Der Verstand sagt: Die Ziele von EU-Kommission und Deutschland sind ziemlich deckungsgleich. So schien es nur eine Formfrage, dass Bundesumweltminister Carsten Schneider (SPD) kommende Woche im EU-Umweltrat die Hand hebt fürs europäische 90-Prozent-Minus im Jahr 2040.

Die EU könnte dann zum Weltklimagipfel in Belém auch eine ordentliche Klimaverpflichtung abgeben. Diese sogenannten National Determined Contributions (NDCs) haben zwar 2035 als Zieljahr, das Umrechnen dürfte aber in Brüssel hinzubekommen sein.

Die klare Klimalogik soll jetzt aber, wie zu hören ist, im Kanzleramt nicht so ganz verstanden worden sein. Nicht wegen der Zahlen. Die stehen schließlich im Koalitionsvertrag. Da ist nicht viel zu machen. Die Regierungsspitze soll vielmehr am zuständigen Umweltminister vorbei Zustimmung zu einem Vorschlag Frankreichs signalisiert haben. Die Franzosen haben ihrerseits vorgeschlagen, das EU-Klimaziel nicht in der nächsten Woche vom Umweltministerrat, sondern später im Oktober vom Europäischen Rat beschließen zu lassen.

Wo ist der Unterschied? Im Rat der Umweltminister wird mit Mehrheit entschieden – im Europäischen Rat sitzen dagegen die Regierungs- und Staatschefs der 27 EU-Länder und entscheiden einstimmig. Dort reicht ein Nein eines Klimabremsers wie Ungarn oder Polen und das Klimaziel scheitert vorerst. Würden sich die Klimablockierer so in der EU durchsetzen, schwächte das massiv Europas Glaubwürdigkeit vor der Weltklimakonferenz, warnen zehn Umwelt- und Klimaverbände in einem Schreiben. Auch stiege das Risiko, dass am Ende ein viel zu schwaches EU-Klimaziel für 2040 beschlossen wird.

Die Organisationen, darunter alle großen Umweltverbände, appellieren an Kanzler Friedrich Merz (CDU), dafür zu sorgen, dass das EU-2040-Klimaziel von minus 90 Prozent wie geplant am 18. September im Umweltrat beschlossen wird. Bis dato ist vom Kanzler und aus seinem Amt dazu nichts zu hören. Aber nicht nur in Deutschland stören sich Konservative schon länger an dem vergleichsweise noch strengen europäischen Klimaziel.

Ihre Überlegung: Wenn die 1,5 Grad ohnehin gerissen werden, können wir doch auch gleich zu einem Zwei-Grad-Ziel übergehen. Dann wäre plötzlich genügend CO₂-Budget übrig, um noch auf Jahrzehnte Gaskraftwerke zu betreiben oder das EU-Verbrennerverbot abzuschaffen.

Genau dieses Vorgehen befürchten Rockström und viele andere Klimawissenschaftler und sagen: Angesichts der schon heute sichtbaren extremen Folgen des Klimawandels müssen wir an den Pariser 1,5 Grad festhalten. Und wenn die überschritten sein sollten, dann kämpfen wir um 1,6 oder 1,7 Grad, geben aber keinen klimapolitischen Freibrief für ein Zwei-Grad-Ziel.

Zehn Jahre
Das Pariser Abkommen
wurde 2015 verabschiedet und ist eine der wichtigsten völkerrechtlichen Grund-
lagen zur Eindämmung der Klimakrise. Darin ist unter anderem das Ziel vereinbart, die Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen.

Im Juli hatte die EU ihr Ziel für 2040 vorgeschlagen: Die CO2-Emissionen sollen um 90 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken. Das Parlament und die Mitgliedstaaten müssen ihn noch verabschieden. Die Verhandlungen drohen aber zu stocken: Frankreich besteht darauf, dass die Regierungschefs über den Vorschlag der Kommission abstimmen und nicht die Umweltminister:innen.

Donald Trump hat das Pariser Klimaschutzabkommen gekündigt. Am Tag seiner Amtseinführung unterzeichnete der US-Präsident ein Schreiben an die Vereinten Nationen. FR

Dass hinter dem Manöver um die Sitzung des Umweltrats mehr steckt, sieht offenbar auch der deutsche Umweltminister und zeigt sich stark verärgert. Er erwarte, dass die Bundesregierung an einem Strang ziehe und sich für eine Beschlussfassung im nächsten Umweltministerrat einsetze, sagte Carsten Schneider dem Magazin Spiegel. Wer das neue europäische Klimaziel für 2040 blockiere und notwendige Beschlüsse verzögere, handle gegen deutsche Interessen, gibt der SPD-Politiker zu verstehen.

Ein Ministeriumssprecher legte noch nach: Man könne nicht bestätigen, dass die Bundesregierung das EU-Klimaziel für 2040 im Europäischen Rat abstimmen lassen wolle, ließ das Haus Schneider wissen. Auch gebe es keine Positionierung der Bundesregierung, die ein Aufschieben dieses Klimaziels vorsehe.

Wie der Zoff zwischen Kanzleramt und Umweltministerium ausgeht, ist noch offen. Schneider soll die SPD-Bundestagsfraktion in der Frage hinter sich wissen. Auch der Koalitionsvertrag steht auf seiner Seite. Klar wird nur einmal mehr: Die Zeit, als man sich in der Klimapolitik noch unterhakte und gemeinsam losmarschierte, ist vorbei, auch in Deutschland. Paris vor zehn Jahren blieb ein einsamer Moment der Geschichte.

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