Sonntag, 21. September 2025

Der Verbrenner wird schneller sterben, als viele glauben

Heise hier 19.09.2025,Martin Franz

Kommentar: Autos mit Verbrennungsmotor sind auf dem Rückzug. Das Elektroauto dürfte sich viel schneller durchsetzen, als vielfach angenommen, meint Redakteur Martin Franz.

Die augenblicklichen Verhältnisse auf dem Automarkt sind ein schlechter Indikator für den epochalen Wandel, der bei der Fahrenergie vor der Tür steht. In vielen gesellschaftlichen Diskussionen könnte man den Eindruck gewinnen, die Frage, wohin die Reise geht, wäre offen. Dabei ist sie entschieden, unabhängig und losgelöst davon, ob einem das nun gefällt oder nicht. Es gibt mehrere Vorzeichen, dass ein Ende des Verbrenners im Pkw viel näher ist, als manch einer meint. Warum ich dieser Auffassung bin, beleuchte ich in drei Teilen – dies ist der erste.

E-Mobilität: Es ist längst nicht alles prima

Nein, es sind nicht alle Fragen und Bedenken rund um das Elektroauto gelöst. Die Ladesituation ist in den vergangenen Jahren aus dem Ruder gelaufen. Denn dass Anbieter zum Teil 90 Cent/kWh verlangen, ist einfach dreist und sollte per Abstimmung mit den Füßen bestraft werden, indem man solche Anbieter meidet. Die Ladeinfrastruktur wächst und gedeiht, lückenlos ist sie aber auch mit mehr 170.000 öffentlichen Ladepunkten in Deutschland keineswegs. In einigen Fällen nehmen Autohersteller drastische Aufpreise für den E-Antrieb, was immer weniger gerechtfertigt scheint. Auf der Zellebene sind 40 Euro/kWh Energiegehalt nicht mehr fern. Selbst eine für heutige Maßstäbe recht üppige Ausstattung kostet keine utopischen Summen mehr.

Flüssiger Treibstoff ist unverändert im Vorteil, wenn es wirklich darum geht, schnell größere Mengen an Fahrenergie nachzufüllen. Solche Szenarien werden in Diskussionen sehr häufig angeführt, in der Praxis sind sie selten tatsächlich gefragt. Aber es gibt sie. In all diesen Punkten ist Besserung in Sicht – durch Forschung, Konkurrenz und zunehmende Nachfrage. Und schließlich, ja, es gibt Verbrenner, deren Sound ich vermissen werde – keine Frage. Das Gebrumme von braven Alltagsverbrennern aber wird mir nicht fehlen.

Gründe für das Ende

Das Ende des Verbrenners ist dennoch näher, als es in vielen Debatten den Anschein hat. Das hat zahlreiche Gründe: das Europäische Emissionshandelssystem 2 (EU-ETS 2), die Abgasnorm Euro 7, die globale Entwicklung inklusive des Ziels eines Flottenverbrauchs von null Gramm CO₂, Klimaschutz und schließlich auch, wie sich ein Elektroauto im alltäglichen Gebrauch im Vergleich mit einem Verbrenner anfühlt.

Der Verbrenner wird teurer

Die Abgasnorm Euro 7 und die Ausweitung des Emissionshandels werden ab 2027 Kauf und Unterhalt von Autos mit Verbrennungsmotor teurer als bisher machen. Die Schadstoffnorm Euro 7 gilt für alle neu homologierten Fahrzeuge ab dem 29. November 2026, für alle erstmals in der EU zugelassenen Autos ab dem 29. November 2027. Die EU-Kommission rechnet mit Mehrkosten von 90 bis 150 Euro pro Auto, was eine optimistische Einschätzung sein dürfte. Denn die tolerierten Abweichungen während der realen Messungen auf der Straße, beispielsweise bei Stickoxiden, sind klein geworden. Das erhöht den Aufwand beträchtlich. Dazu gibt es eine umfangreiche Dokumentationspflicht: Die Hersteller müssen bestimmte Dinge offenlegen. Eine dauerhafte Wirksamkeit von Abgasnachbehandlungen muss nachgewiesen werden. All das kostet Geld, was Neuwagen mit Verbrennern teurer macht.

Dass Traktionsbatterien in Elektroautos mit der Abgasnorm Euro 7 definiert durchhalten müssen, verändert für die Hersteller praktisch gar nichts. Gefordert werden künftig mindestens 80 Prozent nutzbarer Rest-Energiegehalt nach fünf Jahren oder 100.000 km und 72 Prozent nach acht Jahren oder 160.000 km. Das deckt die Garantie in der Regel schon heute ab. Hersteller garantieren nichts, was zuvor nicht eingepreist wurde.

CO₂-Zertifikate auf dem Markt

Fahrer von Verbrennern müssen sich auf steigende Spritpreise einstellen. Ab 2026 klettert der CO₂-Preis je Tonne von 55 auf bis zu 65 Euro – und das ist nur ein Vorgeschmack. 2027 steht eine Reform des Emissionshandels an. Dann wird der Preis für CO₂-Zertifikate nicht mehr von der nationalen Regierung festgelegt, sondern durch einen europäischen Marktmechanismus bestimmt. An einer Börse müssen CO₂-Verursacher Zertifikate erwerben – Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis, der an die Verbraucher weitergereicht wird. Das grundlegende Prinzip: Die Zahl der Zertifikate ist begrenzt und wird jährlich reduziert. Für Notfälle können weitere Zertifikate auf den Markt gekippt werden, und es ist einigen politischen Akteuren durchaus zuzutrauen, dass sie über diesen Weg eine Aufweichung erreichen wollen. Das grundsätzliche Verfahren stellen Parteien, die sich irgendwie als mittig betrachten, aber nicht infrage.

Verkehrssektor im Emissionshandel

Zusätzlich wird ab 2027 der Verkehrssektor in den Emissionshandel aufgenommen. Es kursieren unterschiedliche Zahlen, was das für den Spritpreis an der Zapfsäule letztlich bedeutet. Eines sollte aber klar sein, auch wenn sich der Preis am Markt bildet: So billig wie aktuell wird Sprit perspektivisch nie wieder. Der ADAC warnte im Februar vor einem Preisanstieg von bis zu 19 Cent je Liter, und das nicht einmalig, sondern jedes Jahr, denn mit der sinkenden Zahl der CO₂-Zertifikate steigt der Preis. Der Präsident des "Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe" Arne Joswig, forderte die Politik bereits auf, gegenzusteuern. Andernfalls könnte bis 2030 der CO₂-Preis bis auf 300 Euro/Tonne steigen. Das würde, so Joswig, den Preis an der Tankstelle um 70 bis 80 Cent je Liter anheben.

Da der Energiesektor schon heute im Emissionshandel verankert ist, wird die Verteuerung beim Strom weniger drastisch ausfallen. Ohnehin gehe ich davon aus, dass sich auf dem Markt der Ladesäulenbetreiber demnächst etwas ändert. Die AC-Ladesäule nahe meiner Redaktion schlägt derzeit mit 74 Cent/kWh ins Kontor. Gut für mich, denn so ist absolut zuverlässig immer mindestens ein Platz für meine Testwagen frei – und nur in raren Ausnahmefällen kann ich mir den Anschluss an der Säule nicht aussuchen. Für den Betreiber aber kann es dauerhaft kein tragfähiges Geschäftsmodell sein, dass seine Säule praktisch nur von mir genutzt wird.

Abseits der Masse = teuer

Der nächste Punkt wird alle schmerzen, die zur Fraktion "ich muss aber dringend mehrmals die Woche 1000 km ohne Tankstopp in fünf Stunden zurücklegen" gehören. Es mag solche Anforderungsprofile tatsächlich geben, sie sind aber selbst in Deutschland die Ausnahme, und global spielt ein solches Szenario schlicht keine Rolle. Wer das also als unverhandelbar formuliert, muss sich darauf einstellen, dass seine Anforderung auf nur wenige Köpfe umgelegt wird. Und wo Skaleneffekte fehlen, wird es für den Einzelnen teuer. Meine Vermutung: richtig teuer.

Natürlich könnte man das theoretisch mit eFuels abdecken, doch wo die massenhaft und billig herkommen sollen, hat noch niemand seriös beantwortet. Für alle, die diesbezüglich Licht am Ende des Tunnels gesehen haben: Es war die FDP mit der Taschenlampe, die dort blinkte. Wer also mit eFuels, so sie denn massenhaft verfügbar sein sollten, über die Autobahn rasen möchte, wird eine Tankrechnung akzeptieren müssen, die das Zeug dazu hat, auch diesbezüglich Hartgesottene erschaudern zu lassen.

Mag sein, dass irgendwann doch noch jemand ein tragfähiges Geschäftsmodell für eFuels entwickelt. Rechnen Sie besser nicht damit. Dazu kommt eine zweifelhafte Bilanz. Für einen Liter eFuels werden rund 27 kWh Primärenergie benötigt – auch diese Rechnung muss jemand übernehmen. Nebenbei angemerkt, weil es oft vergessen wird: Auch regenerativ erzeugte Energie hat einen CO₂-Fußabdruck. Er ist klein, aber eben nicht null. Dazu kommt ein keinesfalls zu unterschätzender Wasserbedarf für die Produktion von eFuels. Es gibt dazu unterschiedliche Zahlen, aber vier bis neun Liter Trinkwasser sind derzeit etwa realistisch.

Chancenlose Wechselstationen

Auch für die zunächst hübsch erscheinende Idee von Wechselstationen für Batterien gilt: Irgendjemand muss am Ende die Rechnung übernehmen, mit der dann Bau, Wartung und Unterhalt der Stationen, Vorhaltung von geladenen Batterien und ein bisschen Gewinn für alle in der Kette gezahlt werden. Ich staune, dass Nio den Versuch unternommen hat – trotz besseren Wissens. Denn dass gerade ein Nischenanbieter keine Chance hat, diese Kosten zumindest teilweise der Allgemeinheit irgendwie unterzuschieben, hätte ihnen jeder mittelmäßige BWL-Student noch vor der dritten Vorlesung berechnen können. Am Ende muss einer die Angelegenheit bezahlen, und wenn Nio das nicht mehr subventioniert, wird der Service absehbar garstig teuer. Dazu sinken die Ladezeiten an den DC-Säulen – der Vorteil einer Wechselstation wird also immer kleiner.

Falle Flottenverbrauch

Stand heute ist das durchschnittliche CO₂‑Flottenziel für Hersteller ab 2030 mit 49,5 Gramm CO₂/km für Pkw und 90,6 Gramm CO₂/km für leichte Nutzfahrzeuge festgeschrieben. Für jedes Gramm Abweichung nach oben müssen Hersteller eine Strafe zahlen. Pro jeweiligem Bezugsjahr in der EU verkauftem Auto und pro Gramm Überschreitung sind 95 Euro fällig – unabhängig davon, ob das einzelne Modell innerhalb der Vorgabe liegt oder nicht. Da käme ganz schön was zusammen. Aktuell ist damit nicht zu rechnen, ab 2030 geht ohne eine massive Steigerung der E-Autoverkäufe nichts mehr.

China kommt – und dominiert

Die Industrie wird sich mehrheitlich nach globalen Anforderungen richten, und die werden vor allem in den großen Märkten formuliert. In der EU werden jährlich rund 10 bis 11 Millionen Neuwagen verkauft, allein in China mehr als 26 Millionen. Bis 2030 sollte die Hälfte der Neuwagen auf dem chinesischen Markt elektrifiziert sein, was nicht geklappt hat: Diese Zahl wurde schon 2024 erreicht, wenngleich China Hybride mit hinzuzählt.

Die Regierung in Peking propagiert Technologieoffenheit und lenkt gleichzeitig fast alles Geld in Forschungskapazitäten für Batterien in Elektroautos. Niemand geht davon aus, dass China sich auf den Weg macht, um bei Verbrennern einen Vorsprung gegenüber amerikanischen, japanischen oder europäischen Herstellern herauszuholen. Das Thema ist dort durch. Europas Autoindustrie kann sich überlegen, ob sie sich weiter am Rennen um die besten Batterien beteiligt. Oder untergehen möchte.

Ausnahmsweise planbar

Ausnahmsweise, muss man leider sagen, hatte die Politik sich auf einen nachhaltigen Pfad samt Planungssicherheit begeben. Auch die Konservativen haben mitbeschlossen, dass nach 2034 in der EU keine Autos mit Verbrenner mehr erstmals zugelassen werden dürfen. Technologieoffen übrigens, denn wie die Hersteller einen Flottengrenzwert von null Gramm CO₂ technisch umsetzen, hat der Gesetzgeber ihnen überlassen. Nun kann man darüber streiten, ob 2035 nicht ein wenig arg unambitioniert war, aber immerhin gab es eine langfristige Planungssicherheit. Indien und Großbritannien wollen 2030 die Neuzulassung von Verbrennern beenden.

Dass an diesem langfristigen Ziel nun schon wieder herumgezerrt wird, macht einen fassungslos auch aus industriepolitischer Sicht. Planungssicherheit ist einer der Schmierstoffe, die eine Industrie nachhaltig absichern. Was der VDA, also die Lobbyvereinigung der Autoindustrie, und einige mutmaßlich von ihnen beratene Politiker in den zurückliegenden Wochen in die Debatte geworfen haben, muss Satiriker um ihren Job fürchten lassen. Es kann doch nicht sein, dass wichtige Akteure, die mit der Sache vertraut sind oder sich zumindest über Berater Expertise ins Haus holen könnten, gegen alle Erkenntnisse von "der Zukunft moderner Verbrenner" faseln.

Zur kurzen Erinnerung: Ein Verbrenner wirft, bilanziert vom Bohrloch bis zur Raddrehung am Auto (well-to-wheel), locker rund 85 Prozent der eingesetzten Energie schlicht und einfach weg. Auf Kurzstrecken, und genau aus solchen bestehen viele Fahrprofile, sieht es noch grauenhafter aus. So viel zum Thema "moderne Verbrenner sollten eine Zukunft haben", Herr Söder.

Ein Ende des Verbrenners ist auch auf anderen Märkten absehbar, und das hat zwei wesentliche Gründe. In Millionen-Metropolen rund um die Welt ist die Luftverschmutzung derart heftig, dass sie spätestens perspektivisch die lokale Machtbasis bedrohen könnte. Ob Großstädte in Pakistan, Indien oder China: Überall trägt der Verkehr dazu erheblich bei. In Deutschland mag um ein paar Mikrogramm NOx gestritten werden, insbesondere in Asien ist die Belastung stellenweise so gigantisch, dass von Aktivitäten im Freien abgeraten wird. Lärm und Gestank kommen dazu.

Kaum vorstellbar also, dass eine sich im Aufbau befindliche Massenmotorisierung – siehe Indien – mit Verbrennern organisiert wird. Dazu kommt ein wirtschaftliches Interesse der lokalen Regierungen: Strom kann billig aus erneuerbaren Quellen erzeugt werden, womit auch die Abhängigkeit von Ölimporten sinkt. Wenn man nicht davon ausgeht, dass die dortigen Entscheidungsträger alle einen Knacks in der Schüssel haben, lässt sich leicht ausmalen, dass diese auf effiziente E-Mobilität setzen. Um den nächsten Punkt, den Klimawandel, geht es im nächsten Teil.

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