Mittwoch, 10. September 2025

Merz will beim Bürgergeld sparen. Doch das Doppelte der rund 50 Milliarden Euro könnte man holen, wenn man Steuerbetrug konsequent bekämpft.

hier  Frankfurter Rundschau  Max Schäfer  7.9.25

Staat verfolgt Milliarden-Steuerbetrug nicht – und lässt sich das Doppelte der Bürgergeld-Kosten entgehen

Wenn der Bund den Steuerbetrug komplett eindämmen würde, könnte er das Bürgergeld zwei Jahre davon finanzieren. Doch bei den Ermittlungen gibt es strukturelle Hürden.

Der Sozialstaat ist unter Druck: Bundeskanzler Friedrich Merz hinterfragt laut, ob wir ihn uns noch leisten können. SPD-Chef und Vizekanzler Lars Klingbeil erinnert an die Agenda 2010 und die Hartz-Reformen von Alt-Kanzler Gerhard Schröder. Besonders das Bürgergeld ist dabei im Fokus der Spardebatte, dabei macht es lediglich etwas mehr zehn Prozent des Bundeshaushalts aus.

Bürgergeld bietet sich kaum zum Sparen an: Hohe Hürden für Kürzungen

500 Milliarden Euro will die Regierung im laufenden Jahr 2025 ausgeben. Für das Bürgergeld sieht Klingbeils Haushaltsentwurf 52 Milliarden Euro vor. Dennoch: Besonders die Union macht beim Bürgergeld Druck. Gerade erst hatte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann erneut die vollständige Streichung aller Sozialleistungen für diejenigen gefordert, die arbeiten können, es jedoch nicht wollen. Die Größenordnung: Unklar. Schätzungen gehen von höchstens 25.373 Personen bis zu etwa fünf Prozent der Leistungsberechtigten aus. Die erste Zahl entspricht den von Jobcentern wegen abgelehnten Angeboten verhängten Sanktionen in den zwölf Monaten vor Juli, Letzteres ist von Seiten der Jobcenter häufig zu hören.

Die Regierung von Kanzler Friedrich Merz will beim Bürgergeld sparen. Doch das Doppelte der rund 50 Milliarden Euro könnte sie sich holen, wenn sie Steuerbetrug konsequent bekämpft.


Beim Bürgergeld zu sparen ist damit schon allein durch die Größenordnungen schwer.

Eine Senkung der Leistung ist nicht möglich. 
Dazu gibt es für Sanktionen hohe Hürden.

Die Grundsicherung leitet sich direkt aus der Menschenwürdegarantie und dem Sozialstaatsprinzip 
aus dem Grundgesetz ab. 

Dazu bekommen Bedarfsgemeinschaften im Schnitt 1349 Euro pro Monat. Einsparungen sind damit nur möglich, wenn eine große Zahl von Erwerbslosen Arbeit findet.


Jährlicher Verlust durch Steuerbetrug macht zwei Jahresposten des Bürgergelds aus

Kritikerinnen und Kritiker verweisen bei der Suche nach möglichen Einsparungen oder neuen Einnahmen des Bundes auf die bessere Bekämpfung von Steuerkriminalität. Das sind nicht nur linke Aktivistinnen und Aktivisten, sondern auch der Bundesrechnungshof sieht den Steuerbetrug als ein Kernproblem an, wie aus einem bereits im April veröffentlichten Sonderbericht mit „Maßnahmen zur Stärkung der Einnahmebasis“ hervorgeht.

Schätzungen zufolge, darunter vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung, entsteht dabei ein jährlicher Schaden von etwa 100 Milliarden Euro.
Das entspricht in etwa dem doppelten der Summe, die der Bund im laufenden Jahr für das Bürgergeld ausgibt. Letztlich könnten davon Grundsicherungsleistungen für zwei Jahre finanziert werden. Florian Köbler, Vorsitzender der Deutschen Steuer-Gewerkschaft (DSTG), hatte gegenüber Buzzfeed News Deutschland gar von 200 Millionen Euro gesprochen. Das wären letztlich vier Jahre Bürgergeld.

Bund könnte sich Ausgaben für zwei Jahre Bürgergeld holen – doch Bedingungen sind schlecht

Trotz dieses enormen Umfangs, der schon ein Fünftel des Bundeshaushalts ausmacht, geht der Bund nicht ausreichend gegen Steuerbetrug vor, weil die Behörden „sehr schwach aufgestellt“ seien. 

Das erklärte Anne Brorhilker, frühere Oberstaatsanwältin mit zentraler Rolle bei den Cum-Ex-Ermittlungen und heutige Geschäftsführerin des Vereins Finanzwende, im Interview mit dem Surplus Magazin.

Häufig gebe es bei Justiz, Polizei und in der Finanzverwaltung „nicht nur zu wenig Personal, sondern auch zu wenig Fachwissen“, sagte Brorhilker. „Auf der anderen Seite stehen hochspezialisierte Anwaltsteams.“ Dazu fehle der Austausch zwischen Abteilungen sowie eine schlechte technische Ausstattung. „Häufig fehlt selbst eine einheitliche IT-Infrastruktur“, so die Juristin. Auch der Bundesrechnungshof hatte im Bericht die Modernisierung veralteter IT-Systeme als wichtigste Maßnahme bezeichnet.


Staat für Verfolgung von Steuerkriminalität „sehr, sehr schwach“ – erklärt Expertin

„Das trägt alles dazu bei, dass der Staat ausgerechnet an dieser Stelle eben sehr, sehr schwach ist“, sagte Brorhilker im Surplus-Interview. Das Ergebnis sei, „dass viele Ermittlungsverfahren nicht geführt werden können, weil man einfach nicht die nötigen Ressourcen hat“.

Finanzminister Klingbeil könne jedoch die Finanzverwaltung so priorisieren, dass den Ermittlungen gegen Steuerbetrug eine größere Bedeutung zukommt, erklärte die Juristin. Die Probleme könnten angegangen werden, „wenn der politische Wille da ist“, so Brorhilker.


Klingbeil will Bekämpfung der Finanzkriminalität zum „Mittelpunkt“ machen – und landet beim Bürgergeld


„Ich werde den gesamten Bereich der internationalen Finanzkriminalität in den Mittelpunkt meines Handelns als Minister stellen“, sagte Klingbeil selbst. Das solle einen „erheblichen Teil der 30 Milliarden Euro betreffen“, die im Haushalt fehlen, erklärte Klingbeil bei einer Zollkontrolle.

Im Fokus der Regierung ist dabei jedoch auch das Bürgergeld. Sie werde „einen vollständigen Datenaustausch zwischen Sozial-, Finanz- und Sicherheitsbehörden“ ermöglichen, heißt es im Koalitionsvertrag. Damit wollen Union und SPD gegen das vorgehen, was Arbeitsministerin Bärbel Bas als „mafiöse Strukturen“ im Bürgergeld bezeichnet. Gemeint sind Gruppen, die Menschen aus dem Ausland anwerben, sie formell anstellen und die Grundsicherung beziehen lassen. Das Geld kassieren die Banden.

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