Donnerstag, 11. September 2025

Teilnehmer an Potsdam-Treffen versichert: „Remigration“ von Staatsbürgern wurde geplant

Standard   hier Fabian Schmid Colette M. Schmidt  10. September 2025,

Ex-Neonazi packt über Potsdam-Treffen aus: Remigration laufe auf "ethnische Säuberung" hinaus

Ahrens hat gegenüber der Rechercheplattform Correctiv neue Details zum umstrittenen Treffen mit Martin Sellner in Potsdam 2023 enthüllt

Die vergangenen Jahre beschreibt Erik Ahrens als "Fiebertraum". Er sei "digitaler Nazi-Sektenführer" gewesen, nun will er den Ausstieg geschafft haben – und packt über seine früheren Kameraden aus.

 Etwa über jenes berüchtigte Treffen von Rechtsextremen in der Villa Adlon in Potsdam, dessen Enthüllung durch Correctiv im Jänner 2024 zu großflächigen Demos gegen rechts führte.

Correctiv berichtete damals, dass Identitären-Kopf Martin Sellner in Potsdam einen "Masterplan zur Remigration" vorgestellt habe. Dabei sei es auch um die Vertreibung von nicht-assimilierten deutschen Staatsbürgern gegangen. Unter den Teilnehmern befanden sich etwa mehrere AfD-Politiker, der Jurist Ulrich Vosgerau und ein Kärntner Arzt.

An den Enthüllungen von Correctiv gab es durchaus Kritik, vor allem von rechts außen. Die AfD-Politikerin Beatrix von Storch sprach etwa von der "dreckigen Correctiv-Lüge", wogegen sich die Plattform juristisch wehrte. Doch das Landgericht Berlin II urteilte, Correctiv habe "den falschen Eindruck erweckt", es sei in Potsdam um die Ausweisung deutscher Staatsbürger gegangen.

"Jahrzehnte-Projekt"
Ahrens, früher Social-Media-Berater von AfD-Politiker Maximilian Krah, gab an, dass Sellner in Potsdam sehr wohl über deutsche Staatsbürger gesprochen habe. Diese "nicht-assimilierten" Personen seien "das größte Problem", so Sellner laut Ahrens. Diese müsse man durch "maßgeschneiderte Gesetze" und hohen Assimilations- und Anpassungsdruck dazu bewegen, das Land zu verlassen. Die Remigration sei ein "Jahrzehnte-Projekt", soll Sellner laut Ahrens gesagt haben.

Der mutmaßliche Ex-Nazi gibt weiter in einer eidesstättigen Versicherung an, er habe das Konzept der Remigration zuvor in seiner Arbeit für "Die Österreicher", eine – so Ahrens – "Tarnorganisation" der Identitären Bewegung, behandelt. Die Überlegungen liefen "faktisch auf eine ethnische Säuberung bzw. Vertreibung" hinaus, der Assimilationsdruck solle "freiwillig oder unfreiwillig" zur Ausreise führen.

Hintergrund der Remigration ist die rechtsextreme Verschwörungstheorie des "großen Austauschs": Migrationsfreundliche Parteien würden Zuwanderung ermöglichen, um sich eine Stimmenmehrheit zu sichern. Deshalb müsse man Migration stoppen und "nicht-assimilierte" Personen außer Landes bringen.

Die FPÖ hat das Thema Remigration spätestens unter Parteichef Herbert Kickl für sich reklamiert, etwa eine "Schwerpunktaktion Remigration" ausgesprochen. Generalsekretär Christian Hafenecker sprach damals von "völlig unverständlicher Aufregung" über das Potsdam-Treffen. Auch im offiziellen Wahlprogramm der FPÖ fand sich "Remigration" an prominenter Stelle. (Fabian Schmid, Colette M. Schmidt, 10.9.2025)


Correctiv  hier  von Marcus Bensmann , Jean Peters  10. September 2025

Teilnehmer an Potsdam-Treffen versichert: „Remigration“ von Staatsbürgern wurde geplant

Teilnehmer an Potsdam-Treffen versichert: „Remigration“ von Staatsbürgern wurde geplant
Erstmals bestätigt ein Teilnehmer des Potsdamer Treffens vor dem Notar: Die Zusammenkunft war geheim – und dort wurde ein „Masterplan“ besprochen, in dessen Verlauf die „Remigration“ auch für „nicht-assimlierte Staatsbürger“ vorgeschlagen wurde. Für den Teilnehmer war dies ein Tarnbegriff für Vertreibung und sogar „ethnische Säuberung“.

Am 12. August 2025 unterzeichnete Erik Ahrens eine eidesstattliche Versicherung. Sie bestätigt die Recherchen von CORRECTIV zum Potsdamer Treffen vom 25. November 2023 – und erweitert sie in zentralen Punkten. Ahrens war Teilnehmer an der Zusammenkunft. Laut eigener Aussage ist er mittlerweile ein Aussteiger aus der rechten Szene. Wer in einer eidesstattlichen Versicherung die Unwahrheit sagt, kann sich strafbar machen.

Ahrens erklärt schriftlich und vom Notar beurkundet: Das in Potsdam vorgestellte „Remigrations“-Konzept laufe auf „ethnische Säuberungen bzw. Vertreibungen“ auch von deutschen Staatsbürgern hinaus – „freiwillig oder unfreiwillig“.

Und weiter: Der Kopf der rechtsextremen Gruppe „Identitäre Bewegung“, Martin Sellner, schlug bei der Zusammenkunft explizit die „Remigration“ für „nicht-assimilierte Staatsbürger“ vor.

Ahrens schreibt in seiner eidesstattlichen Versicherung auch: Der Organisator des Treffens in Potsdam schlug die Einrichtung einer Expertenkommission vor, die für die Umsetzung des „Remigrations“-Konzepts zuständig sein solle. Diese Kommission solle die juristischen, logistischen und ethischen Aspekte möglichst konkret vorbereiten. Im Falle, dass eine patriotische Kraft in Deutschland an die Macht komme, habe man auf diese Weise schon einmal einen möglichst konkreten Plan in der Schublade – so äußerte sich der Organisator laut Ahrens.

Mit der „patriotischen Kraft“ war laut Ahrens’ schriftlicher Versicherung „eindeutig die Partei Alternative für Deutschland (AfD) gemeint“.

Nach der Veröffentlichung der CORRECTIV-Recherche im Januar 2024 über das Geheimtreffen organisierten sich bundesweit Proteste gegen Rechtsextremismus. Die Recherche legte damals nicht nur die Beratungen über das „Remigrations“-Konzept offen, sondern zeigte auch, dass bei der Zusammenkunft neben Neonazis auch hochrangige AfD-Funktionäre anwesend waren.

Der in Potsdam von Sellner vorgestellte „Masterplan“, das zeigte die Recherche, sah unter anderem die „Remigration“ auch für „nicht-assimilierte Staatsbürger“ vor. Diese solle über „Anpassungsdruck“ wie „maßgeschneiderte Gesetze“ zur Abwehr der „ethnischen Wahl“ als „Jahrzehnteprojekt“ umgesetzt werden.

Diese Aussagen von Sellner beim Geheimtreffen bestätigte Ahrens schriftlich.

„Remigration“ und „ethnische Wahl“ sind Tarnbegriffe der neuen Rechten für Vertreibung und „Überfremdung“.

Wer ist Erik Ahrens – und wie glaubwürdig ist er?

Weitere Folgen der CORRECTIV-Veröffentlichung von damals: Mehrere Teilnehmer wehrten sich medial und juristisch gegen die Annahme, es sei dort die Ausweisung deutscher Staatsbürger geplant worden. Die rechtsextreme französische Politikerin Marine Le Pen forderte AfD-Chefin Alice Weidel dazu auf, sich vom „Remigrations“-Konzept, wie es in Potsdam besprochen wurde, zu distanzieren und es nicht ins AfD-Wahlprogramm zu übernehmen. Dem kam Weidel nicht nach – und daraufhin wurde die AfD aus der Europäischen Fraktion „Identität und Demokratie“ der rechtspopulistischen Parteien ausgeschlossen.

In seiner eidesstattlichen Versicherung schreibt Ahrens: Er habe das „Remigrations“-Konzept in Zusammenarbeit mit Martin Sellner entwickelt.

Ahrens konkretisiert in seiner Erklärung: Hinter dem Konzept, wie Sellner und er es gedacht hätten, habe die Idee gestanden, durch ein Maßnahmenpaket einen Assimilationsdruck zu erzeugen, der „freiwillig oder unfreiwillig“ zur Auswanderung von Menschen „mit und ohne deutsche Staatsbürgerschaft aufgrund ihrer ethnischen Herkunft“ führen solle. Das liefe auf „Vertreibung“ oder „ethnische Säuberung“ hinaus.

Ahrens erklärt auch, dass Sellner, wie in der CORRECTIV-Recherche beschrieben, dabei drei Zielgruppen benannte: Asylbewerber, Menschen mit Aufenthaltsstatus und „nicht-assimilierte“ deutsche Staatsbürger.

Ahrens schreibt zudem in seiner eidesstattlichen Versicherung: Die von dem Gastgeber Gernot Mörig vorgeschlagene Expertenkommission bezog sich explizit auf das von Sellner vorgestellte Konzept. Mörig bestreitet diesen Punkt in einem Gerichtsverfahren gegen CORRECTIV.

Sellner habe in Potsdam auch gesagt: Alle, die sich für Geflüchtete einsetzten, könnten in eine „Musterstadt in Nordafrika“ bewegt werden, zusammen mit mehreren Millionen Menschen. CORRECTIV hatte zuvor von einem Musterstaat geschrieben und dies aufgrund der neuen Informationslage korrigiert.


Sachsen-Anhalt: Ulrich Siegmund wollte Teile des „Remigrations“-Konzepts umsetzen
Besonders brisant erscheint die Rolle der AfD in diesem Zusammenhang. Mit der Bestätigung Ahrens’, dass die Partei als „patriotische Kraft“ vorgesehen war, das Konzept umzusetzen, rücken die dortigen Partei-Funktionäre stärker in den Fokus.

Der AfD-Spitzenpolitiker Ulrich Siegmund habe während des Treffens sogar angekündigt, so Ahrens, im Falle seiner Wahl die „Remigration“ auf Landesebene in Sachsen-Anhalt voranzutreiben, „so weit dies möglich sei“. CORRECTIV hatte hierzu in der Recherche von Januar 2024 berichtet: Siegmund sagte in Potsdam, er wolle dafür sorgen, dass sich das Straßenbild ändere und ausländische Restaurants unter Druck gesetzt würden. Sachsen-Anhalt solle „für diese Klientel möglichst unattraktiv sein zu leben“.

Für seinen Wahlkampf wollte Siegmund Spenden einwerben, und zwar in Höhe von mehr als einer Million Euro. So steht es bei CORRECTIV und so erklärt es nun Ahrens. Diese Aussagen stehen im direkten Widerspruch zu früheren Stellungnahmen anderer Teilnehmer, die eine Planung und Diskussion, auch über die „Remigration“ deutscher Staatsbürger bestritten hatten. Mehrmals erwähnt Ahrens das planerische Moment während der Veranstaltung.

Neue Details zu Umsetzungsplänen für „Remigrations“-Konzept
Ahrens nennt zudem die Beteiligung einer Tarnorganisation namens „Die Österreicher“, die mit der Identitären Bewegung verbunden ist und maßgeblich an der Ausarbeitung und Formulierung des Konzepts der „Remigration“ mitgewirkt habe. Im Zusammenhang mit dieser Organisation habe er selbst eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des Konzeptes gespielt, das in Potsdam von Sellner vorgetragen wurde, etwa der Formulierung eines Fünf-Punkte-Plans.

Später übernahm die AfD den Kampfbegriff als Teil ihrer Politik, bezog sich in ihrem Parteitag in Riesa aber lediglich auf eine Verschärfung des Aufenthaltsrechtes. Der derzeit bei Gericht anhängige Verfassungsschutzbericht wertete dies aber als unglaubwürdige Distanzierung vom ethnisch-abstammungsmäßigen Kern des Sellner’schen „Remigrations“-Begriffs. „Remigration“ ist als Begriff der neuen Rechten kaum von der völkischen Aufladung, die ihm Sellner, aber auch der AfD-Politiker Björn Höcke, gegeben haben, zu trennen.

So geheim war das Treffen laut Erik Ahrens
Das Potsdamer Treffen sei von strikter Geheimhaltung geprägt gewesen, so Ahrens. Der Organisator Gernot Mörig habe die Teilnehmer aufgefordert, „Funkdisziplin“ einzuhalten. Er habe „alles getan, damit niemand wisse, dass sie sich bei der Veranstaltung treffen“ und betonte, dass alles „unter dem Radar“ bleiben müsse. Er warnte davor, dass Informationen nach außen dringen könnten, und äußerte Enttäuschung darüber, dass einige Teilnehmer diese Vorgaben missachtet hätten.

Mörig erklärte laut Ahrens auf der Veranstaltung in Potsdam, er unterstütze Immobilienprojekte und beteilige sich intensiv daran. Mörig selbst war für ideologische Schulungscamps für Kinder und Jugendliche bekannt. So organisierte er in den siebziger Jahren etwa völkisch-nationalsozialistische Campingveranstaltungen als Bundesführer der Bundes Heimattreuer Jugend (BHJ). In einem Liederbuch des BHJ aus dieser Zeit  wird laut Tagesschau offen für ein Großdeutsches Reich geworben.

Bereits am 13. April 2025 hatte Ahrens auf X das Potsdamer Treffen als „Remigrations-Konferenz“ bezeichnet, auf der Martin Sellner seine Sichtweise präsentierte: „Eine komplette Rückabwicklung der Einwanderung bis zurück in die 1980er, indem die Innenpolitik gezielt Druck auf ethnische Minderheiten ausübt. Diese Gedanken flossen bereits zuvor in Krahs Buch ein, in welchem er von 25 Millionen zu Remigrierenden spricht.“ Das deckt sich mit der nun abgegebenen eidesstattlichen Versicherung.

Davor, am 27. März 2025, sprach Ahrens in einem Video bei Youtube im Bezug auf die Potsdamer Veranstaltung über die ideologischen Unterschiede zwischen Krah und Sellner, „Krah sagt ja eben, dass nur kriminelle und Asylbewerber ohne Aufenthaltsstatus remigriert werden sollen, also die seit 2015 kamen und dass zum Beispiel die ganzen Türken und Balkanen und anderen Einwanderer, die vorher kamen, halt in Deutschland bleiben sollen. Und Martin Sellner sagt das Gegenteil, der will ja viel mehr remigrieren.“

Auch Sellner hatte bereits auf X. am 16, August 2024 bestätigt, dass er in Potsdam „Remigration“ für „nicht-assimilierte Staatsbürger“ in Potsdam vorgeschlagen habe.

Bundesweite Debatte über Bedeutung der „Remigration“
Nach der CORRECTIV-Veröffentlichung entstand eine bundesweite Debatte über Inhalt und Anlass des Treffens sowie über die Verfassungsfeindlichkeit des Sellner’schen Konzepts, wie es in Potsdam vorgestellt und in die Partei getragen wurde. Medial stellten neben Rechtsaußen-Medien wie Junge Freiheit auch etablierte Medien infrage, ob in Potsdam wirklich von Planungen gesprochen wurde und ob mit der „Remigration“ auch Staatsbürger gemeint seien.

In mehr oder weniger gleichlautend eidesstattlichen Versicherungen legten sich im Februar 2024, knapp vier Wochen nach der Veröffentlichung der CORRECTIV-Recherche, sieben Teilnehmer des Treffens fest: „Insgesamt ist also festzuhalten, dass sowohl der vortragende Sellner, wie auch die anderen Teilnehmer des Treffens zu keinem Zeitpunkt eine Remigration von Menschen mit deutschem Pass gefordert oder geplant haben“.

Mit diesen eidesstattlichen Versicherungen begründete der Anwalt von Ulrich Vosgerau den Anspruch auf Unterlassung gegen Medien oder NGOs. Der Rechtsanwalt Vosgerau hatte an dem Treffen teilgenommen und dort auch einen Vortrag gehalten. Er fühlte sich von der CORRECTIV-Recherche angegriffen.

Die NZZ titelte im Februar 2024, „Es gab keinen Masterplan Remigration“.

Was andere Potsdam-Teilnehmer heute sagen:
CORRECTIV hat nun Teilnehmer am Potsdamer Treffen noch einmal angeschrieben und sie – zusammengefasst – in einem Fragenkatalog gefragt: Bleiben Sie bei Ihrer Darstellung, dass es in Potsdam ganz anders gewesen sei, obwohl nun einer der Teilnehmer sich vor einem Notar dazu bekannt hat, dass es eben doch so war wie von CORRECTIV beschrieben?

Anstelle von Antworten gab es zunächst vor allem Einschüchterungsversuche. .......

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