Dienstag, 17. September 2024

Energiewendetechnologien: je dörflicher, je ländlicher, desto mehr Energiewende

 sehr spannend! Indem  Ch. Stöcker den Blick weg von den Einzelanwendungen, hin zu dem Sammelbegriff  "Energiewendetechnologien" leitet, zeigt er uns was wir viel zu leicht übersehen: niemand hat so viel Geld, dass er sofort überall investieren kann. Jeder sucht sich das für ihn Sinnhafte aus und ändert zunächst einmal dieses. Wir brauchen etwas Geduld und mehr Anreize in der Stadt.

Spiegel hier  Eine Kolumne von Christian Stöcker  15.09.2024

Alternative Energie:  Land gewinnt, Stadt stagniert 
Die Zustimmung zur Umstellung unseres Energiesystems ist gewaltig

Bild links: hier energiewende-schweiz.blogspot.com

Das zeigt eine Studie, allen Kampagnen zum Trotz. Wärmepumpen, Photovoltaik und Stromspeicher sind populär. Ein Ergebnis aber dürfte viele überraschen.

Die wichtigste politische Unterscheidungslinie ist angeblich nicht mehr rechts oder links, alt oder jung, sondern: Stadt oder Land. 

Friedrich Merz zum Beispiel hat das in eine Art Mantra verwandelt, mit dem er eine Zeit lang durch Bierzelte und Stadthallen tourte: »Nicht Kreuzberg ist Deutschland, Gillamoos/Apolda/sonst wo ist Deutschland.« (Merz setzte jeweils den Ort ein, an dem er gerade sprach.)

Zum Autor

Christian Stöcker, Jahrgang 1973, ist Kognitions­psychologe und seit Herbst 2016 Professor an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW). Dort verantwortet er den Studiengang Digitale Kommunikation. Vorher leitete er das Ressort Netzwelt bei SPIEGEL ONLINE.

Hinterher musste wieder einmal jemand erklären, was Merz damit gesagt haben wollte. Nicht Kreuzberg, sondern Berlin, und: Es lebten doch »sieben von zehn Deutschen« nicht in Großstädten. »Kreuzberg« sei also keine rassistische Chiffre, sondern eine für den Gegensatz Stadt – Land.

Zumindest bis zur nächsten Wahl

Tatsächlich ist dieser Stadt-Land-Gegensatz bei vielen großen Fragen unserer Zeit zentral, auch und gerade was die unumgänglichen Veränderungen unseres Energiesystems angeht.
In Städten haben sich die Menschen an hässliche Architektur und Lärm gewöhnt, aber Windräder stehen eher auf dem Land. Eine Verkehrswende weg vom Auto kann sich jemand, der sowieso regelmäßig U- und S-Bahn fährt, leichter vorstellen als jemand, der vom Dorf an seinen Arbeitsplatz pendelt. Und so weiter.

Auf dem Land leben auch die Bäuerinnen und Bauern, die so wütend, ausdauernd und teils rücksichtslos (und manchmal zusammen mit Rechtsextremen) gegen Änderungen bei ihren Dieselsubventionen protestiert haben. Insgesamt, so will es das Klischee, ist die Landbevölkerung nicht bereit, bei diesem ganzen Öko-Quatsch mitzumachen. Vermeintlich für sie werden also populistische Phrasen gedroschen, wird das Unvermeidliche als vermeidbar verkauft, zumindest bis zur nächsten Wahl.

Das ist alles ganz anders

Jetzt zeigt eine Studie im Auftrag der Förderbank KfW: Das Gegenteil ist richtig.

Die KfW ließ 6000 Haushalte befragen, und zwar von Ende 2023 bis April 2024, also deutlich nach der gewaltigen Anti-Wärmepumpen-Kampagne von »Bild«, »Welt«, Union, FDP und Sahra Wagenknecht.


Hochgerechnet 12,9 Millionen oder 31 Prozent aller deutschen Haushalte nutzen demnach mittlerweile etwas, das die KfW zu den »Energiewendetechnologien« zählt:
Wärmepumpen, Photovoltaik- oder Solarthermieanlagen, Batteriespeicher, Kraft-Wärme-Kopplung, Holzpelletheizungen und Elektroautos. 

Das sei ein Wachstum um 2,9 Prozent oder 1,2 Millionen Haushalte gegenüber dem Vorjahr. Weitere sechs Prozent der Haushalte planten »die Anschaffung einer Energiewendetechnologie in den kommenden 12 Monaten«.

Der Datensatz enthält einige Überraschungen. Zum Beispiel kommt die private Energiewende vor allem in dem Teil Deutschlands voran, wo die öffentliche Energiewende so ihre Schwierigkeiten hat (da kann Markus Söder noch so oft das Gegenteil behaupten ): in Süddeutschland. 

In Bayern zählt die KfW 42 Prozent der Haushalte zu den »Energiewendehaushalten«, in Baden-Württemberg 28 Prozent. Besonders wenige, 24 Prozent, gibt es in Ostdeutschland. Aber dort kommen ja auch Wladimir Putins organisierte Gasfreunde, AfD und BSW, auf bis zu 49 Prozent der Wählerstimmen.

Mit Händen, Füßen und Abstandsregeln

CSU und Freie Wähler mögen sich mit Händen, Füßen, Propaganda und Abstandsregeln gegen Windkraft wehren (und auch das grün-schwarz regierte Baden-Württemberg ist ein Windkraft-Schlusslicht), aber Photovoltaik oder Wärmepumpen kommen bei Bayern und Schwaben offenbar gut an.

Das hat seine Gründe, und die erklären auch das zweite auf den ersten Blick kontraintuitive Ergebnis: je dörflicher, je ländlicher, desto mehr Energiewende. Die Rangfolge der Bereiche, in denen die KfW besonders viele »Energiewendehaushalte« entdeckte, lautet: Landgemeinde, Kleinstadt, Mittelstadt, Großstadt. 

Dort also, wo man politisch angeblich am allerwenigsten mit allem als grün verschrienen zu tun haben will, investieren die Leute am ehesten in eine Wärmepumpe, eine Photovoltaikanlage oder ein Elektroauto.

Auf die Dauer konkurrenzlos günstig

Das hat natürlich vor allem mit Eigentümerstrukturen zu tun: Wer sein Haus selbst besitzt, dem leuchtet unmittelbar ein, dass eine Kombination aus Photovoltaik, Batteriespeicher und Wärmepumpe auf die Dauer konkurrenzlos günstig ist (und einen noch dazu unabhängig von Öl- und Gaspreisen macht). Egal, was Hubert Aiwanger gerade wieder über Wasserstoff erzählt . In »Landgemeinden«, also auf dem Dorf, liegt der Anteil der »Energiewendehaushalte« der KfW-Erhebung zufolge bundesweit schon fast bei 50 Prozent.

Die drei wichtigsten Gründe, die diejenigen nennen, die sich schon eine Energiewendetechnologie zugelegt haben, sind in dieser Reihenfolge: Kostensenkung, Klimaschutz, Unabhängigkeit vom Energieversorger. Bei denen, die eine entsprechende Anschaffung planen, sieht es fast genauso aus, nur liegt auf Platz drei statt der Unabhängigkeit dort »Steigerung des Immobilienwerts«.

Tatsächlich erhöht eine Wärmepumpe oder Solaranlage den Wert einer Immobilie beträchtlich: Um bis zu 43 Prozent, wie eine Studie ergab , die vor einem guten Monat veröffentlicht wurde.

Man könnte auch einfach sagen: Die Leute sind nicht blöd.

In Städten sieht es anders aus

Menschen, die in Städten leben, leben meist zur Miete und haben auf die Gestaltung ihrer Energie- und Wärmeversorgung nur sehr begrenzt Einfluss, daher rührt natürlich die niedrige Energiewende-Quote in Stadt-Haushalten (laut der Studie unter 20 Prozent). Das hat also wenig mit Motivation und politischen Einstellungen zu tun und viel mit der Machtlosigkeit des Mieters.

Die Häuslebauer auf dem Land verhalten sich rational: Sie bauen Technik ein, die Energie spart oder selbst erzeugt, damit laufende Kosten senkt und den Immobilienwert erhöht. Ein Vermieter, der Heizkosten einfach als Nebenkosten an die Mieter durchreicht, ist da weniger stark motiviert.

Für alle, die an sich könnten und wollten, aber trotzdem nicht umsatteln, ist der Grund häufig finanzieller Art: »41 Prozent der Haushalte, die grundsätzlich offen für Energiewendetechnologien sind, berichteten, sich diese nicht leisten zu können«, so die KfW. Das sei vor allem deshalb eine Herausforderung, weil »Haushalte mit niedrigen Einkommen besonders von hohen Energiekosten betroffen sind und überdurchschnittlich oft in energetisch unvorteilhaften Gebäuden wohnen«, sagt der KfW-Ökonom Daniel Römer.

Bei den einkommensstärksten Haushalten liegt die Zahl der »Energiewender« der Studie zufolge schon bei 49 Prozent. Gleichzeitig findet derzeit nur ein knappes Drittel der Befragten die Umsetzung der Energiewende »fair«, und zwar fast unabhängig vom Einkommen.

Die Leute wollen also, aber viele können nicht. Entweder wegen der Kosten oder weil sie einfach keinen Zugriff auf die Gebäudetechnik haben. Das eröffnet eigentlich glasklare politische Gestaltungsperspektiven. Leider scheint die Debatte über und die Kampagne gegen das Gebäudeenergiegesetz eine konstruktive politische Auseinandersetzung vorerst unmöglich gemacht zu haben.

Wo sonst gibt es solche Zustimmungsraten?

Hat die ganze Anti-Wärmepumpen-Kampagne also gar nichts gebracht?

Doch, ein bisschen schon: 2023 hatten die Energiewende noch 88 Prozent der Befragten für sehr wichtig oder wichtig gehalten – bei der jüngsten Befragung waren es »nur noch« 82 Prozent.

Jetzt wissen wir also: Was Springer und diverse Parteien mit so einer Kampagne erreichen können, ist, Hass gegen eine bestimmte Partei auszulösen. Gleichzeitig aber nur sehr wenige Menschen umzustimmen, was das Inhaltliche angeht. Vor allem dann, wenn es ums eigene Geld geht. Wie gesagt: Die Leute sind eben nicht blöd.

Angesichts einer Zustimmungsrate von weiterhin über 80 Prozent – bei welcher anderen politischen Frage von dieser Dimension gibt es solche Mehrheiten? – fragt man sich doch langsam: Wann geben Union und FDP endlich den ideologie- und lobbygetriebenen Widerstand gegen den extrem populären Umbau des Energiesystems hin zu Elektrifizierung, Erneuerbaren und Speichertechnik auf?

Friedrich Merz hat kürzlich überraschend seine Liebe zur Wärmepumpe entdeckt. Das dürfte einiges mit diesen Fakten zu tun haben. Bei AfD und BSW muss man in dieser Hinsicht keine Hoffnungen haben: Russland verkauft keine Wärmepumpen.

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