Die Schlagzeile "Schweiz ignoriert Klimaurteil" hier fühlt sich schon etwas seltsam an, wenn die Schweizer ihr Krisenmanagement bereits jetzt in diesen Dimensionen betreiben müssen.
Ich verstehe die Logik dahinter einfach nicht mehr...
ZDF hier von Sandra Susanka 28.08.2024
Schweiz und Klimawandel-Folgen
Mehr als 60 Prozent aller Schweizer Gebäude sind durch die Folgen des Klimawandels bedroht. Erdrutsche und Bergstürze nehmen zu. Die Kosten für Schutzvorrichtungen sind sehr hoch.
Das Bündner Bergdorf Brienz kommt nicht zur Ruhe: Im Juni 2023 kam es dort zu einem Felssturz. Gewaltige Geröllmassen - ungefähr so viel wie 2.000 Einfamilienhäuser - verfehlten den kleinen Ort nur knapp. Das Dorf mit seinen rund hundert Einwohnern wurde evakuiert. Kaum wieder in ihren Häusern, wächst nun eine andere Sorge. Denn tief unter Brienz lauert die nächste Gefahr. "Im Untergrund ist zu viel Wasser", erzählt Christian Gartmann, Leiter des Krisenmanagements.
Der Ort rutscht. Im Moment haben wir Geschwindigkeiten von 2,40 Metern pro Jahr gemessen. Das sind 20 Zentimeter im Monat - und das führt natürlich zu Spannungen im Untergrund.
Christian Gartmann, Leiter des Krisenmanagements Brienz
Hohe Kosten durch Entwässerungsstollen
Überall im Ort sind die Schäden zu erkennen: Immer wieder tun sich Risse in der Straße auf, die Wiesen senken sich ab und einige Häuser sind schief. Die Hoffnung liegt auf einem Entwässerungsstollen, der in den nächsten drei Jahren gebaut wird. Dieser soll den Druck des Wassers nehmen. "Ziel ist, dass wir das Wasser aus dem Hang entziehen, damit die Rutschung bestenfalls gestoppt wird, sagt Christian Ernst, stellvertretender Projektleiter.
Fast 80 Millionen Schweizer Franken kostet das Projekt. Gelingt es, profitiert auch die Bahn: Unterhalb von Brienz ist eine wichtige Bahnstrecke durch den Rutsch betroffen. Zweimal pro Woche prüfen sie deshalb die Gleise auf Verformungen. "Der Bergrutsch verschiebt uns die Gleise pro Jahr bis zu 1,60 Meter hinunter zum Fluss", so Thomas Gasner, Leiter des Bahndienstes Rhätische Bahn. Das verursache Kosten.
Großes Bauprojekt nach Bergsturz in Graubünden
Die Wunden sind auch nach sieben Jahren noch zu sehen: Damals gab es in Bondo im Kanton Graubünden einen gewaltigen Bergsturz. Große Teile des Berges Piz Cengalo brachen ab - eine Mischung aus Geröll und Schlamm riss alles mit sich. Acht Wanderer kamen ums Leben. Die Bewohner selbst konnten sich in letzter Minute aus ihren Häusern retten. Nach drei Monaten durfte Manuela Filli wieder zurück in ihr Haus. "Ich habe schon überlegt, ob es sich lohnt, hierzubleiben. Schließlich kann wieder was runterkommen vom Berg", sagt sie. Doch die neuen Schutzmaßnahmen beruhigen sie.
Seit vier Jahren wird gebaut - neue Brücken, Straßen, Häuser, größeres Auffangbecken. Gesamtkosten: 53 Millionen Schweizer Franken. Ueli Weber, Gemeindevizepräsident von Bondo, ist darüber froh. "Man muss sich aber in der Zukunft schon fragen: Können wir uns diesen Schutz, der einem klaren Bedürfnis entspricht, überall in gleichem Ausmaß noch leisten?"
Erst vor kurzem hat die Bündner Staatsanwaltschaft fünf Personen in dem Fall wegen mehrfacher fahrlässiger Tötung angeklagt. Denn ein Gutachten kommt zu dem Schluss: Die Behörden hätten das Tal sperren müssen. Der Bergsturz hätte sich bereits Wochen vorher angekündigt.
Droht dem nächsten Bergdorf die Katastrophe?
Der Permafrost taut schnell - auch am Spitzen Stein, oberhalb des Bergdorfes Kandersteg. Hier ist fünfmal so viel Gestein in Bewegung wie damals am Piz Cengaro in Bondo. Schon seit Jahrzehnten bewegt sich das Bergmassiv - seit sechs Jahren immer schneller, bis zu 70 Zentimeter pro Tag, talabwärts.
Hans Angerer betreibt am Oeschinensee, unterhalb des Bergmassivs, einen Bootsverleih. Teile des Sees sind mittlerweile wegen Steinschlaggefahr abgesperrt. Der Berg gelte als der am besten überwachte der Schweiz, sagt er.
Heute, morgen, nächste Woche oder nächstes Jahr - irgendwann wird was runterkommen.
Für uns gilt ein Alarmierungsplan, dann müssen wir die Zone hier schnellstens verlassen.
Für uns gilt ein Alarmierungsplan, dann müssen wir die Zone hier schnellstens verlassen.
Hans Angerer, Bootsverleiher
Kandersteg: Ein Dorf in Alarmbereitschaft
Bis zu zehn Meter sind die Schutzdämme in Kandersteg mittlerweile hoch. Sie wollen hier so gut wie möglich auf einen Abgang am Spitzen Stein vorbereitet sein. Jeden Tag wird die Lage neu beurteilt, Gebiete werden kurzfristig gesperrt, Wanderwege geschlossen. In den vergangenen drei Jahren wurden auch hier Millionen Schweizer Franken verbaut.
Im gerade recht ausgetrockneten Flussbett sind große Auffangnetze aus Metall verbaut. "Extrastabil", sagt Gemeindepräsident René Maeder. Am Anfang sei die Kritik groß gewesen, so viel Geld, wie das alles kosten würde. "Aber jetzt, wo es ein schnelleres Rutschen am Berg gibt, finden auch die Kritiker es doch nicht so schlecht."
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