hier Handelsblatt Volker Kühn 28.09.2024
Energiemanagement: Wie sich mit Kühlhäusern das Klima schützen lässt
Moderne Kältetechnik verwandelt Tiefkühllager in flexible Energiespeicher. Das senkt die Stromkosten der Unternehmen und den CO2-Ausstoß. Der Eishersteller Unilever zeigt, wie es geht.
Ob Sonnenschein eine gute oder eine schlechte Nachricht für Eisproduzenten ist? Die Antwort ist komplizierter, als es auf den ersten Blick scheint. Klar, warmes Sommerwetter ist der Umsatztreiber schlechthin, nie sind die Schlangen vor den Eisdielen länger.
Doch bevor es in den Verkauf geht, liegt das kalte Naschwerk im Lager, und die Kühlaggregate laufen bei Hitze auf Hochtouren. Dadurch steigt die Stromrechnung und lässt die Gewinne schmelzen wie Eis in der Sonne.
Das gilt umso mehr, wenn man gleich 56.000 Paletten kühlen muss, um den gesamten deutschen Markt mit Sorten wie Flutschfinger, Nogger, Magnum oder Vienetta zu versorgen, wie der Langnese-Hersteller Unilever im hessischen Heppenheim. Das dortige Kühllager allein verbraucht knapp zehn Gigawattstunden pro Jahr, so viel wie 3000 Einfamilienhäuser.
Entsprechend groß war der Druck, als 2021 die Strompreise zu klettern begannen, um wenig später nach dem russischen Überfall auf die Ukraine in nie gekannte Höhen zu schnellen.
Unilever setzte auf eine Lösung, die nicht nur in den 250 eigenen Kühlhäusern Schule machen soll, sondern das Potenzial hat, die Kosten der Tiefkühlbranche weltweit zu senken: Das Lager wurde zu einer riesigen Kältebatterie umfunktioniert.
Geladen, also heruntergekühlt, wird sie, wenn Strom an der Börse günstig ist, weil er gerade im Überschuss vorhanden ist – in der Regel also bei windigem und sonnigem Wetter, wenn Wind- und Solarparks die Leitungen mit Ökostrom fluten.
Steigen die Preise wieder, weil der Wind nachlässt oder Wolken die Sonne verdunkeln, wird die Elektrizitätszufuhr von außen gedrosselt und stattdessen die in Form von Kälte gespeicherte Energie im Speiseeis genutzt.
„Wir kühlen die Eiscreme gewöhnlich bei minus 22 Grad“, erklärt Eric Golbs, der bei Unilever für das Projekt in Heppenheim verantwortlich ist. Es könne aber auch um bis zu zwei Grad tiefer heruntergekühlt werden, ohne dass sich Eiskristalle auf dem Solero bilden oder die Waffel des Cornettos mürbe wird. Weil die Temperatur im Eis langsamer steige als die der umgebenden Luft, wirke es wie eine Kältebatterie, so Golbs.
Weniger fossile Brennstoffe
Auf diese Weise konnte Unilever den Strombedarf seines Lagers signifikant senken. Im Juli 2024 verbrauchte die Anlage knapp zehn Prozent weniger als im Vorjahresmonat, als es die flexible Kühlung noch nicht gab. Allein in Heppenheim rechnet der Konsumgüterkonzern dadurch mit Kostensenkungen im sechsstelligen Bereich. Hochgerechnet auf alle 250 Kühllager weltweit ließen sich Millionen sparen.
Unilever senkt aber nicht nur seine Kosten, auch das Klima profitiert von der flexiblen Steuerung, im Fachjargon Lastmanagement genannt. Denn indem der Konzern vorrangig Zeiten mit viel Ökostrom nutzt, sinkt der Bedarf an Strom aus fossilen Brennstoffen – und damit der CO2-Ausstoß. Für den gesamten deutschen Kältesektor schätzte das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik das Einsparpotenzial auf mehrere Millionen Tonnen CO2 pro Jahr.
„Wir werden damit zum Teil der Energiewende“, sagt Sulyiman Nekzai, Head of Customer Operations bei Unilever für den deutschsprachigen Markt. Auch andere Unternehmen setzen bereits auf Lastmanagement in ihren Kühllagern, etwa der Fischstäbchen-Produzent Frosta in Bremerhaven oder der Tiefkühlgemüsehersteller Meyer in Niedersachsen.
Um die Preisschwankungen an der Strombörse bestmöglich zu nutzen, hat Unilever mit dem Beratungsunternehmen Energeering aus Mülheim an der Ruhr ein digitales Modell erstellt, das mit einer Vielzahl von Daten gefüttert wird.
Sensoren messen an verschiedenen Stellen im Kühllager die Temperatur, aber auch Angaben zum Palettenbestand und -umschlag, die Wettervorhersage, technische Daten der Kälteanlagen sowie der prognostizierte Strompreis fließen ein. Künstliche Intelligenz hilft, die Steuerung zu optimieren.
„Durch intelligentes Energiemanagement und die natürlichen Speichereigenschaften der gekühlten Produkte können Kühllager Netzlasten reduzieren und das Abschalten von Wind- und Solaranlagen verhindern. Das ist ein wichtiger Hebel für eine erfolgreiche Energiewende“, sagt Holm Riedel, Geschäftsführer von Energeering.
Er sieht auch in anderen Sektoren die Chance, ein ähnliches Flexibilisierungspotenzial in der Stromversorgung zu heben, vor allem in elektrothermischen Anwendungen, also Kälteanlagen oder Wärmepumpen mit entsprechenden Speichern.
Für Unilever ist das Projekt ein wichtiger Baustein in der Klimastrategie. 2023 war der Konzern mit rund 127.000 Mitarbeitern und knapp 60 Milliarden Euro über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg für einen Ausstoß von 53 Millionen Tonnen CO2 verantwortlich. Bis 2039 sollen die Emissionen bei netto null liegen, in den eigenen Werken und Standorten schon bis 2030. Heppenheim ist ein Schritt auf dem Weg dorthin.
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