Samstag, 7. September 2024

Warum die Bauern erfolgreicher waren als die Klimaaktivisten von der letzten Generation

Ein kleiner und wertvoller Rückblick auf das, was uns im Frühjahr so beschäftigt hatte...

hier  Krautreporter  06.03.2024 
Lea Schönborn

Symbol-Bilder links:Die letzte Generation und ein satirisch bearbeitetes Foto der Bauernproteste im Postillion

......   Warum reagiert die Öffentlichkeit so unterschiedlich auf die Proteste der Bauern und die der Klimaaktivisten? Mein Kollege Rico Grimm hat es auf X so formuliert: „Die einen produzieren das leckere Steak, die anderen wollen es wegnehmen.“ Drei Thesen erklären, wie diese Logik funktioniert

These 1: Die Bauern und die Klimaaktivisten verkörpern einen Milieukonflikt

Die beiden Protestgruppen könnten kaum gegensätzlicher sein: Sie verkörpern den Konflikt Stadt vs. Land, Oben vs. Unten. Oder auch: Streber vs. Chaoten.

Im öffentlichen Bild gelten die „Klima-Kleber“ als städtisch, akademisch und abgehoben. Politiker und Medien nannten sie „arrogant“, zum Beispiel der FDP-Vize Wolfgang Kubicki oder der Chefredakteur des Focus. Sogar Fridays for Future-Sprecherin Annika Rittmann bezeichnete ihren Protest als „elitär und selbstgerecht“. Die bekanntesten Gesichter der Letzten Generation sind jung und weiblich: Carla Hinrichs, Lea Bonasera oder Aimée van Baalen. Hinrichs studierte Jura, Bonasera hat in Oxford studiert und van Baalen trägt ein Nasenpiercing.

Ganz anders die Bauern, sie verkörpern das Gegenteil der Klimaaktivisten: rustikal, bodenständig, anpackend. Auf den Bildern der Proteste sieht man vor allem Männer mit großen Traktoren. In einer Rede am 10. Januar sagte Cem Özdemir: „Sie sorgen sich, dass sie in einer zunehmend von Städtern dominierten Politik unter die Räder kommen.“ Auf einem Plakat der Landwirte steht dazu passend: „Sie säen nicht und sie ernten nicht, aber sie wissen alles besser.“ Mit „sie“ ist die Ampelregierung gemeint.

Die Bauern präsentieren sich als das „Volk“, das sich gegen die Berliner Politik erhebt. So sieht es nicht nur der Protestforscher Alexander Leistner in einem Interview mit dem MDR. Die Bauern verbalisieren eine grundsätzliche Unzufriedenheit mit der Ampelregierung, der sich viele anschließen können. Das wird auch dadurch deutlich, dass Gastwirte und Handwerker an den Protesten teilgenommen haben.

Wenn man sich die Gesellschaft als Schulklasse vorstellt, sind die Rollen, die Klimaaktivisten und Bauern einnehmen, eindeutig: Die Klimaaktivisten sind die Streber in der ersten Reihe, die alles besser wissen und auch noch alle anderen belehren. Die Bauern hingegen sind die Chaoten in der letzten Reihe, die den Unterricht stören – und bei denen die Lehrer aber lieber kuschen als klare Ansagen zu machen.

Die Angst vor den Chaoten in der letzten Reihe ist begründet: Ein Abschleppunternehmen verkündete Anfang der Woche, keine Traktoren mehr abzuschleppen. Zuvor war das Unternehmen Hasskommentaren im Internet ausgesetzt, auf Facebook bezeichnete ein Nutzer das Unternehmen als „Volksverräter“. Auch Politiker fallen in Zusammenhang mit den Bauernprotesten mit einer Kompromissbereitschaft auf, wie man sie im Umgang mit Klimaaktivisten nicht kennt.

Es gibt ein Wort, das die Proteste der Bauern ziemlich gut beschreibt: Petromaskulinität. In Umlauf gebracht hat den Begriff 2018 die Politikwissenschaftlerin Cara Daggett, die damit autoritäre, männlich geprägte Gegenbewegungen zum Klimaschutz beschreiben wollte. Ihr zufolge fühlen sich Männer, die diese Art der Maskulinität performen, durch Klimaschutz in ihrer Existenz bedroht.


Im Livestream der Bauern-Blockade an einer Brücke zwischen Berlin und Potsdam äußerten sich Protestierende sehr eindeutig: „Wir sind hierhin gekommen, um zu kämpfen. Wir haben uns von unseren Familien verabschiedet.“ Man werde sich „wehren“. Wogegen genau, sagten sie nicht. Doch es wurde klar: Für sie ging es um ihre als bedroht wahrgenommene Identität als Landwirte – und als Männer.

These 2: Die Klimaaktivisten protestieren ungefragt für alle, die Bauern nur für sich selbst.

Letzte Woche bat mich meine Mitbewohnerin, meine Haare aus dem Duschsieb zu entfernen. Das Schlimmste daran war: Ich wusste, dass die Bitte berechtigt ist. Sie sagte mir etwas, das ich schon wusste, aber bis dahin gerne ignoriert habe. Es dauerte ein paar Tage, bis ich meinen Stolz überwand und anfing, nach dem Duschen meine Haare zu entfernen.

Wie mit meiner Mitbewohnerin, dem Haarsieb und mir, ist es mit den Klimaaktivist:innen, dem Klima und der Gesellschaft: Die Forderungen der Letzten Generation basieren auf wissenschaftlichem Konsens. Sie warnen vor schweren Klimafolgen innerhalb der nächsten Jahre und fordern deshalb Einschränkungen, zum Beispiel ein Tempolimit von 100 km/h auf der Autobahn und den Ausstieg aus Öl, Kohle und Gas bis 2030.

Die Letzte Generation „gehe zum Wohle aller auf die Straße“, sagte die Aktivistin Maike Grunst im Januar dem MDR. Die Klimaaktivisten protestieren also nicht nur für sich selbst, sondern für alle – und das auch noch ungefragt. Entgegen der Letzten Generation würden die Bauern für „egoistische Gründe“ auf die Straße gehen, sagte Klimaaktivistin Grunst. Bei ihr klingt das abwertend, aber Bürger fühlen sich deshalb von den Bauernprotesten weniger persönlich angegriffen – und sind deshalb weniger genervt.

Die Klimaaktivisten haben Recht mit ihren Warnungen vor den Folgen der Klimakrise – und es ist ziemlich unangenehm, sich das einzugestehen. Die Bauern wählen, wie viele andere Menschen: Trotz.

These 3: Die Bauern protestieren gegen die Zumutungen des Lebens. Klimaaktivisten fordern sogar noch mehr davon.

Der Protest der Bauern richtet sich längst gegen mehr als die (teilweise rückgängig gemachten) Subventionskürzungen. Es geht um Regularien, Verordnungen und endlose Bürokratie, die den Bauern das Leben schwer machen. Das Feindbild ist deshalb nicht nur die Bundesregierung, sondern auch die EU, die Auflagen zum Umwelt- und Tierschutz verabschiedet.

Die Bauern fordern also weniger Bürokratie und weniger Regeln – die Klimaaktivist:innen hingegen fordern mehr davon. Zugespitzt formuliert wollen die Bauern ein einfacheres Leben, die Klimaaktivisten dagegen wollen einem das Leben schwer machen. Deshalb haben die Bauern eher die Sympathie der Bevölkerung auf ihrer Seite. Im Januar drückten zwei Drittel der Deutschen in einer Umfrage Verständnis für die Proteste der Bauern aus. Bei der Letzten Generation lehnten im Juni 2023 etwa 85 Prozent die Protestform ab.

Es gibt ein Wort für das Gefühl, mit den Umwälzungen der Gegenwart überfordert zu sein: Veränderungserschöpfung. So nennen es die Soziologen Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser in ihrem Buch „Triggerpunkte“. In einer Umfrage gaben 44 Prozent der Befragten an, es falle ihnen angesichts des aktuellen sozialen Wandels schwer, den Anschluss zu halten. Die Soziologen Mau, Lux und Westheuser beobachten, dass sich die Wut der Veränderungserschöpften besonders gegen jene richtet, die den sozialen Wandel symbolisieren oder sich für ihn einsetzen – zum Beispiel Klimaaktivisten.

Auch Protestforscher Alexander Leistner sagte im MDR über die Bauernproteste: „Diese Proteste sind in eine Stimmung eingebettet, die verbreiteter ist. Es geht darum, dass uns die gesellschaftlichen Zumutungen zu viel geworden sind.“

Einige der Plakate, die die Landwirte gemalt haben, passen eigentlich auch auf Klima-Demonstrationen von Fridays for Future. Zum Beispiel „Wir Bauernkinder brauchen eine Zukunft“ oder „Stirbt der Bauer, stirbt das Land“. Im Prinzip geht es beiden Gruppen also um dasselbe: eine lebenswerte Zukunft. Trotzdem könnten sie in ihrem Auftreten – und in ihrer Wahrnehmung – unterschiedlicher kaum sein.


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