DW hier Holly Young 10.09.2024
Mehr als 100 Städte setzen sich ehrgeizige Klimaziele bis 2030. In Porto fahren junge Leute gratis im Nahverkehr, Helsinki schließt Kohlekraftwerke und Warschau will nachhaltig bauen. Und das ist noch nicht alles.
Städte sind wesentliche Treiber des Klimawandels: Sie verbrauchen mehr als zwei Drittel aller Energie weltweit und produzieren rund 70 Prozent der Treibhausgase, die für den menschengemachten Klimawandel verantwortlich sind.
Gleichzeitig leiden immer mehr Stadtbewohner unter den Folgen des Klimaerwärmung. Denn durch viel Beton und Steine heizen sich Städte besonders stark auf - man spricht von einem "Wärmeinseleffekt".
Bis 2050 wird sich die Bevölkerung in den Städten voraussichtlich verdoppeln. Der Klima-Fußabdruck von Städten könnte sich dann vervielfachen - darum setzten immer mehr Städte auf neue Ideen für Bauprojekte, Energieversorgung und Verkehr.
Europäische Führungsrolle beim Klimaschutz in Städten?
Im Rahmen einer EU-Initiative stellen sich 112 Städte dieser Herausforderung: 100 in der Europäischen Union und zwölf in assoziierten Ländern wie Großbritannien und der Türkei.
Bis wollen 2030 ihren Verbrauch an fossiler Energie drastisch verringern und gleichzeitig sicherstellen, dass unvermeidbare Emissionen von der Natur absorbiert oder durch Technologien wie die Kohlenstoffabscheidung ausgeglichen werden. Das Ziel: bis 2030 sogenannte Netto-Null-Emissionen zu erreichen. Dafür erhalten die Städte Unterstützung von der EU.
Zum Vergleich: Die meisten Staaten der Welt werden nach Berechnungen von Forschenden bis 2030 noch nicht einmal 45 Prozent ihrer Emissionen einsparen. Genau das aber wäre nötig, um die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels zu vermeiden.
Laut Thomas Osdoba, Programmdirektor von NetZeroCities, einem von der EU finanzierten Projekt, das die Initiative unterstützt, stehen viele Städte vor ähnlichen Herausforderungen für den Umbau: Es gibt viele alte Gebäude, die sich nur schwer nachrüsten lassen, eine auf Autos ausgerichtete Stadtplanung, und nur begrenzte Infrastruktur für erneuerbare Energien. Dazu kämen Vorgaben aus der nationalen Politik und zu lange Investitionszyklen.
Die 112 ausgewählten Städte sollen detaillierte Fahrpläne entwickeln, um diese Probleme anzugehen. Dafür erhalten sie im Rahmen der EU-Initiative Hilfe in technischen Belangen sowie Unterstützung, um für Investitionen attraktiv zu werden. Nach Schätzungen der EU werden für die Vorhaben rund 650 Milliarden Euro gebraucht, die größtenteils aus dem Privatsektor kommen sollen.
Keine Kohlekraft mehr in Helsinki
Als ein positives Beispiel für die Umsetzung von Klimazielen hebt Osdoba Helsinki hervor. Während Finnland sich verpflichtet hat, bis 2035 klimaneutral zu werden, will die finnische Hauptstadt das bis 2030 schaffen und bis dahin 80 Prozent seiner Treibhausgasemissionen reduzieren. Im Vergleich zu 1990 hat die Stadt ihre Emissionen schon fast halbiert.
Wie in den meisten Städten sind in Helsinki vor allem Heizung und Verkehr für die meisten Emissionen verantwortlich. Die Stadt wird im kommenden Jahr das letzte von zwei Kohlekraftwerken schließen. Für Wärme sorgt dann eine Kombination aus Elektroboilern, Bioenergie und Wärmepumpen.
Das Energieunternehmen, das für die Fernwärmeversorgung zuständig ist, sei im Besitz der Stadt, erklärt Hanna Wesslin, Klimadirektorin von Helsinki. Und die Entscheidung, die Anlagen zu schließen, zeige, wie agil Städte in Sachen Klimaschutz sein könnten.
Die zweitgrößte Emissionsquelle, den Verkehr, will die finnische Hauptstadt in den Griff bekommen, indem sie die Nutzung von Elektrofahrzeugen fördert, das Ladenetz ausbaut und das öffentliche Straßenbahnsystem erweitert.
Kostenloser Nahverkehr für Jugendliche in Porto
In der Hafenstadt Porto stammen 40 Prozent aller Emissionen aus dem Verkehr. Die portugiesische Stadt legt daher den Schwerpunkt auf den öffentlichen Nahverkehr.
Laut Filipe Araújo, Portos stellvertretendem Bürgermeister und zuständig für das Amt für Umwelt und Klimawandel, werden in den nächsten Jahren die größten Investitionen in die Mobilität fließen. Dazu zählten der Ausbau des U-Bahn-Netzes mit zwei neuen Linien und die Umstellung von 40 Prozent der öffentlichen Busse auf einen Elektroantrieb bis 2027.
Porto hat die Kosten für eine Monatskarte auf 30 Euro gesenkt, und alle Menschen unter 23 können dort öffentliche Verkehrsmittel kostenlos nutzen. Das habe große Auswirkungen gehabt, sagt Araújo: Die Zahl der 13- bis 18-Jährigen, die mit Bus und Bahn fahren, habe sich mittlerweile verdoppelt.
Porto hat auch seinen Energieverbrauch gesenkt. Durch die Umstellung der Straßenbeleuchtung auf LED hat sich der Energieverbrauch mehr als halbiert. Im vergangenen Jahr hat Portugal insgesamt rekordverdächtige 60 Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Energien erzeugt. Laut Araujo ist das Ziel, "viel mehr Energie in der Stadt selber zu produzieren".
So seien die meisten öffentlichen Gebäude wie Schulen und Bibliotheken jetzt mit Solarzellen ausgestattet und die Stadt ermutige den privaten Sektor durch Steuervergünstigungen, weiter in Solaranlagen zu investieren.
Porto statte zudem alle Sozialwohnungsalagen mit Solarmodulen aus, so Araujo weiter. So könnten sie ihre eigene Energie erzeugen. "Das ist für uns sehr wichtig, weil wir so auch Energiearmut bekämpfen."
Europaweit haben Millionen Menschen wegen hoher Energiepreise Schwierigkeiten, die Grundversorgung ihrer Häuser mit Heizung, Warmwasser und Beleuchtung zu gewährleisten.
Energetische Haussanierungen in Leuven, Belgien
Die belgische Stadt Leuven ist eine der kleineren Städte, die an der Initiative teilnehmen. Hier arbeite man bereits seit 10 Jahren an einem Plan, mit dem man schnell vorankomme, berichtet Thomas Osdoba von NetZeroCities.
Jessie Van Couwenberghe, lietet das Amt für Klimaneutralität in Leuven. Sie sagt, die Stadt wolle alle Teile der Gesellschaft mit einzubeziehen, damit sich die Menschen die Pläne zu eigen machten.
Weil das Heizen von Gebäuden derzeit die größte Quelle des Energieverbrauchs in Leuven ist, setzt die Stadt vor allem auf Nachrüstungen, um den Energieverbrauch zu senken und erneuerbare Energien zu fördern. So hat Leuven auch ein öffentliches "Klimahaus" eingerichtet. Hier gibt Informationen zur Renovierung von Häusern und Tips, wie man Subventionen für solche Umbauten bekommen beantragen kann.
In der EU-Initiative geht es auch darum, was Straße für Straße geschieht. So bekommen die Kommunen Zuschüsse für naturbasierte Lösungen. Bewohnerinnen und Bewohner sollen auch Gebiete zur Entsiegelung vorschlagen, also Flächen, auf denen Beton und Asphalt durch CO2-absorbierende Pflanzen und Erde ausgetauscht werden.
Netto-Null-Emissionen in Europas Städten - Utopie oder bald Realität?
Aber wie realistisch sind diese ambitionierten Ziele? Bis 2030 sind es nur noch ein paar Jahre und es muss noch viel Geld investiert werden.
Thomas Osdoba ist dennoch optimistisch, dass viele Städte tatsächlich bis 2030 Netto-Null-Emissionen erreichen werden. Und diejenigen, die es nicht schafften, würden dem Ziel immerhin viel nähergekommen, meint der Programmdirektor von NetZeroCities.
Warschau ist dafür ein Beispiel. Die polnische Hauptstadt ist eine von fünf Städten in Polen, die an der EU-Mission teilnehmen. "Ehrlich gesagt ist es für uns unmöglich, bis 2030 klimaneutral zu sein", sagt Jacek Kisiel, stellvertretender Direktor der Stadt für Luftreinhaltung und Klimapolitik.
Die Stadt sei auf ein staatliches Heizungsnetz angewiesen, das mit fossilen Brennstoffen betrieben werde, die nach wie vor den größten Teil der polnischen Energie erzeugten, erklärt er. "Aber wir haben trotzdem Ehrgeiz."
Kisiel setzt große Hoffnungen in eine vorgeschlagene Norm für umweltfreundliches Bauen. Diese schreibt vor, dass alle neuen Gebäude der Stadt mit erneuerbaren Energien betrieben werden, Regenwasser auffangen und wiederverwenden müssen. Warschau hat sich außerdem zum Ziel gesetzt, 40 Prozent der stadteigenen Gebäude bis 2035 so umzurüsten, dass sie weniger Energie verbrauchen.
Redaktion: Tamsin Walker
Adaption aus dem Englischen: Jeannette Cwienk
Holly Young ist Klimareporterin bei der DW Umweltredaktion in Berlin.
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