hier Süddeutsche Zeitung Von Bernhard Lohr, Unterhaching
Die Wissenschaftler Claudia Kemfert und Harald Lesch reden beim ersten „Arena-Talk“ in Unterhaching über die Klimakrise und heizen dabei Politik und Wirtschaft gehörig ein.
Die Nachrichtenlage ist wieder mal düster: In Kalifornien brennen Wälder, in Vietnam kämpfen Menschen mit Überflutungen und auch im Raum München blicken viele wegen „Tief Anett“ bang in den grauen Himmel. Über die Katastrophenschutz-App kommt am Freitagabend die erste Warnung vor steigenden Pegeln aufs Handy, als sich in der Geothermie-Arena in Unterhaching 150 Gäste in einer Talkrunde der Frage zuwenden, ob die „Energiewende unter Beibehaltung des Wohlstands“ machbar sei. Muss jetzt der schicke Oldtimer weg, weil er einen Verbrennermotor hat? Ruiniert die Umstellung auf erneuerbare Energien die deutsche Industrie? Geht es bergab? Mit Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und dem Astrophysiker und Wissenschaftsjournalisten Harald Lesch sind zwei Experten zu Gast, die solche Fragen schnell beiseiteräumen.
Die Geothermie GmbH Unterhaching hat sich vorgenommen, die neuerdings „Geothermie-Arena“ genannte Sport- und Veranstaltungshalle auch zu einem Ort der Debatte zu machen. Für die Premieren-Veranstaltung hat Geschäftsführer Wolfgang Geisinger in Kemfert und Lesch zwei Personen eingeladen, die in der Klimadebatte durch unzählige Diskussionen in TV und Internet gestählt sind. Sie kommen wiederum in eine Gemeinde, die Vorreiter bei der CO₂-freien Erdwärme-Nutzung ist und erklärt hat, bis 2030 klimaneutral sein zu wollen. Vielleicht, sagt Geisinger, werde man Unterhaching „als eine der ersten Städte Deutschlands zur Klimaneutralität führen“. Worüber will man da noch reden? Aber die Sache mit dem „Wohlstand“ ist ein Reizthema und dann ist da die Frage, warum die Energiewende ins Stocken gerät, wo sich hier doch alle einig sind.
Claudia Kemfert, die als Volkswirtschaftlerin die gesamtgesellschaftlichen Kosten betrachtet, gibt Moderator Dirk Karges schnell kontra: Welche Art von Wohlstand sei eigentlich gemeint, fragt die Professorin. Gehe es wirklich um das Auto in der Garage? Der Klimawandel zerstöre Wohlstand auf breiter Front, sagt sie. Und das Klagen über eine Deindustrialisierung sei Folge der „Nicht-Energiewende“ – und nicht umgekehrt. Die Politik habe die deutsche Solarindustrie kaputtgehen lassen, was viele Arbeitsplätze gekostet habe. Im Saal kommt die Frage auf, ob man nicht besser von Wohlergehen sprechen müsste. „Ich habe mein Auto abgegeben“, sagt ein Zuhörer, seitdem gehe es ihm besser.
Lesch zufolge wurde der Klimawandel zu lange ignoriert. „Es tut mir leid, aber wir haben es verkackt“, sagt der aus Fernsehen bekannte Autor und Wissenschaftsjournalist. Seine Generation der in den Sechzigerjahren Geborenen sei die Erste, die in voller Kenntnis der Folgen eines steigenden CO₂-Pegels in der Atmosphäre nichts unternommen habe. Eine Studie des Ölkonzerns Exxon habe bereits Anfang der Achtzigerjahre einen Temperaturanstieg um etwa ein Grad vorhergesagt. Doch statt aufzuklären, hätten die Verantwortlichen „ein paar Millionen in die Hand genommen, um falsch zu informieren“.
Solche „Desinformationskampagnen“, wie sie Kemfert dann mehrmals nennt, prägen ihr zufolge die Diskussion bis heute. Kemfert ist Vorsitzende des Sachverständigenrats Umwelt, der die Bundesregierung berät. Die hinter den Kampagnen steckenden Kräfte bezeichnet sie als „fossiles Imperium“. Für die Unternehmen gehe es um viel Geld. Mittlerweile machten Rechte gegen Veränderungen Front. Gegen das Heizungsgesetz ist aus Sicht von Kemfert eine Kampagne gelaufen. Jedenfalls sind Wärmepumpen jetzt Ladenhüter. Und bei Elektroautos sinken die Verkaufszahlen.
In der ersten Reihe im Publikum sitzen Schüler der 11. Klasse vom Lise-Meitner-Gymnasium. Ein Schüler sagt, in seiner Generation informierten sich viele über Tiktok in 30-Sekunden-Videos. „Das ist ein großes Problem.“ Die Grünen-Landtagsabgeordnete Claudia Köhler sagt, der Klimawandel sei auch ein soziales Thema: „Als Erstes erwischt es die, die nicht so viel Geld haben.“ Und warnende Rufe der Wissenschaft verhallen. Als Moderator Dirk Karges die in der Corona-Krise gewachsene Wissenschaftskritik anspricht und ins Publikum fragt, wer nicht an die Wissenschaft glaube, trifft er bei Kemfert eine empfindliche Stelle. „Wissenschaft ist keine Glaubensfrage“, sagt sie. Und Harald Lesch erzählt, wie während der Corona-Krise viele Menschen gemerkt hätten, dass Wissenschaftler nicht gleich alles wüssten. Aber deshalb habe keiner das Recht, das Offensichtliche zu verneinen.
„China hat verstanden“, sagt Lesch. Dort setze man auf Elektromobilität. Der Verbrenner habe einen Wirkungsgrad von lediglich 17 Prozent, der Elektromotor von 70 Prozent. Der Elektromotor sei einfacher konstruiert, mit weniger Teilen und robuster. Und doch halte Deutschland den Verbrenner hoch. „Mir völlig schleierhaft.“ Lesch kritisiert eine Politik, die Diesel subventioniert und den Kauf von E-Autos. „Das ist, als ob einer an der Tür steht und gleichzeitig drückt und zieht.“ Kemfert beobachtet eine zögerliche Politik. Die FDP erwähnt sie nicht, auch nicht die Schuldenbremse. Aber sie sagt: „Nicht sparen, sondern investieren.“ Das wäre notwendig. Nach Claudia Kemferts Überzeugung ist die Energiewende ein „Gewinnerthema“, das mit Freude gemeinsam angegangen werden sollte.
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