Dienstag, 24. September 2024

E-Autos, Speicher und Wärmepumpen könnten noch schneller kommen - Das zeigt die Geschichte.

Cleanteching  hier Rico Grimm, 24.9.24

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In dieser Woche schlagen wir ein Geschichtsbuch auf, denn manchmal müssen wir in die Vergangenheit fliehen, um zu sehen, was in Zukunft möglich ist. Wir waren schon einmal ganz gut darin, Energiesysteme umzustellen. 


Bei Krautreporter haben wir heute ein neues Büro bezogen – und unverhofft habe ich dort etwas über die Energiewende gelernt. 

Das Büro befindet sich direkt neben einem der ältesten Umspannwerke Berlins. Früher wurden darin 6000V Drehstrom aus dem Kraftwerk Oberspree in zweimal 110V Gleichstrom umgewandelt.
Heute wird darin immer noch Energie umgewandelt, allerdings wird diese nicht mehr über elektrische Leitungen zugeführt, sondern über den Mund. Das alte Umspannwerk ist heute ein Restaurant. 

Das Umspannwerk war bei seinem Bau vor 120 Jahren Teil der ersten großen Energiewende, die Deutschland erlebte – das war ein für damalige Verhältnisse gigantisches Unterfangen. 

Trotzdem brannten knapp 50 Jahre nachdem Werner von Siemens das dynamoelektrische Prinzip entdeckte und 40 Jahre nachdem Thomas Edison die erste Glühbirne entwickelt hatte, in mehr als 50 Prozent der Berliner Haushalte elektrisches Licht – ohne den Ersten Weltkrieg wäre die Zahl höher gewesen. 

Der kurze Blick in die Geschichte zeigt, dass große Veränderungen im Energiesystem nicht zwangsläufig langsam ablaufen müssen. Das ist eine politische Entscheidung. 

Der britische Energieanalyst Ben James schreibt in einem bemerkenswerten Blogpost: 

Die meisten Menschen im Westen haben in ihrem Leben keine große Energiewende miterlebt. Wir denken, es sei unmöglich, neue Energieinfrastruktur schnell aufzubauen, weil wir es in jüngster Zeit nicht getan haben.

Er führt vier faszinierende Beispiele an, um seinen Punkt zu illustrieren. 

  1. Großbritanniens Regierung stellte in den 1960er Jahren von Stadtgas auf Erdgas um und „in nur zehn Jahren wurden 14 Millionen Haushalte umgerüstet und 40 Millionen Geräte ersetzt.“

  2. Im Jahr 1936 hatten nur zehn Prozent der ländlichen Haushalte in den USA einen Stromanschluss. Die Regierung erließ deswegen den Rural Electrification Act. 14 Jahre später hatten 80 Prozent der ländlichen Haushalte einen Stromanschluss. 

  3. Die zwei letzten Beispiele sind aktueller.
    Als die OPEC-Staaten im Jahr 1973 nach dem Beginn des Jom-Kippur-Kriegs ihre Ölproduktion drosselten, rutschte der gesamte zu dem Zeitpunkt noch öl-arme Westen in die sogenannte Ölpreiskrise. Frankreichs Regierung baute daraufhin generalstabsmäßig seine AKW-Flotte aus. „Zwischen 1980 und 85 ging in Frankreich alle 2–3 Monate ein neuer Reaktor ans Netz“, schreibt James. Lieferten AKWs Mitte der 1970er Jahre kaum ein Dutzend TWh, waren es im Jahr 2000 knapp 400 TWh. Von dieser Technologie kann heute jeder halten, was er will; aber diese Zahlen sind beeindruckend.

  4. Zuletzt – hat kaum einer auf dem Schirm – Indonesien. Große Teile der Bevölkerung nutzen im Jahr 2007 noch Kerosin zum Kochen Punkt, aber die Regierung wollte diesen Treibstoff nicht länger subventionieren und setzte deswegen ein großes Umstiegsprogramm in Gang. Das Land stieg auf „Autogas“ oder LPG um  und tat das in 5 Jahren:

 Quelle: Ben James

Die vier Beispiele haben eine Sache gemeinsam: Die Regierung entschied sich bewusst für eine marktreife Technologie und setzte anschließend die ganze Macht, die nur ein Staat haben kann, ein, um diese Technologie einzuführen und durchzusetzen. 

Daraus ergeben sich mehrere Schlüsse:

1.Technologieoffenheit bei reifen Technologien ist immer eine Hinhaltetaktik.  Eine Regierung, die sich nicht festlegen will, will in Wahrheit gar nichts tun. Paradebeispiel dafür war die verhunzte Einführung der Wärmepumpe in Deutschland. Das entsprechende Gesetz sah ein Sowohl-als-auch zwischen „H2-ready“-Boilern und Wärmepumpen vor.

2.Ohne die Regierung geht es aber gerade zu Beginn nichts; egal, wie günstig oder vorteilhaft eine Technologie theoretisch wäre. Nur sie kann das Spielfeld abstecken und die Regeln festlegen. Und wenn sie – wie bei der E-Auto-Kaufprämie – von heute auf morgen die Regeln ändert, ist der Schaden nachhaltig.

Letztlich zeigt der Blick in die Geschichte – oder ein Blick aus meinem Bürofenster auf das Umspannwerk nebenan – dass alles schnell(er) gehen kann.

Aber zu guter Kommunikation für eine Technologie gehört auch gute Werbung für die technische Leistung, die dahintersteckt. Dazu gehört Begeisterung. Die vermisse ich zu oft in der öffentlichen Debatte, speziell auch unserer Spitzenpolitiker.

Begeisterung im Übermaß ist ein effektives Nervengift; sie vernebelt den Blick. Aber gut dosiert ist sie vor allem: krampflösend.


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