Was es bringt, wenn du eine Petition gegen die AfD unterschreibst
Für die einen ist es eine zeitgemäße Art, politisch aktiv zu werden. Andere halten digitalen Aktivismus für nutzlos oder gar kontraproduktiv. Was kann ich wirklich bewirken, wenn ich eine Onlinepetition unterschreibe oder einen Hashtag teile?
Regelmäßig finde ich in meinem E-Mail-Postfach Aufrufe zu Petitionen, die die Welt verbessern oder etwas Schlimmes verhindern sollen. So wie diesen hier:
Keine Macht für Höcke! Nach den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen könnte die rechtsextreme AfD an die Macht kommen. Verhindern können das nur noch die demokratischen Parteien. Dazu müssen sie ihre Machtspiele beenden und stabile Regierungen bilden. Das muss bei den Parteivorsitzenden ankommen – schließ Dich darum gleich unserem Eil-Appell an.
Campact-Team
Die Nachrichten kommen von digitalen Plattformen, auf denen Bürger:innen Onlinepetitionen ins Leben rufen bzw. unterschreiben können. Das Ziel: Aufmerksamkeit für ein politisches Anliegen zu erhalten. »Campact.de« gehört zu den größten Kampagnenplattformen in Deutschland. In Österreich ist »Aufstehn.at« das Pendant. Die weltweit größte dieser Organisationen heißt »Change.org«.
Meistens ignoriere ich die Flut von Petitionsaufrufen. Manche Themen, die mir besonders am Herzen liegen, fangen meinen Blick aber ein. Dann genügen wenige Klicks, um zur Petition zu gelangen und meinen Namen und meine E-Mail-Adresse darunterzusetzen, und schon zähle ich zu den Unterstützer:innen der jeweiligen politischen Forderung.
Was danach mit dem Aufruf passiert, ob meine Stimme irgendetwas gebracht hat – keine Ahnung.
Hast du dich auch schon einmal gefragt, was die Kampagnen tatsächlich erreichen, nachdem du sie unterschrieben hast? Könnte deine digitale Unterschrift etwa verhindern, dass Höcke an die Macht kommt?
Ich habe mich erkundigt, was hinter den Kulissen von Petitionsplattformen passiert – und einen Mitbegründer der deutschen Bürgerbewegung Campact interviewt, die neben ihren eigenen Kampagnen – darunter Straßenproteste – die Plattform WeAct betreibt. Darauf können Privatpersonen ihre eigene Petition ins Leben rufen. Außerdem habe ich eine Expertin für Medienaktivismus gefragt, wie sich Bürgerbeteiligung durch digitale Medien verändert hat und ob Onlineaktivismus überhaupt etwas bewirken kann.
Wird das Netz genutzt, um die eigene politische Meinung zu verbreiten oder zu einer politischen Aktion aufzurufen, spricht man im Englischen von »Clicktivism« – Klickaktivismus. Das kann ein Hashtag sein, den du in die Welt setzt oder teilst, eine Ukraineflagge, mit der du dein Profilbild auf Facebook schmückst, oder eben eine digitale Unterschrift, die du unter einen Petitionsaufruf gegen die AfD setzt.
Was private digitale Plattformen wie Campact ermöglichen, bieten auch Parlamente auf nationaler und regionaler Ebene. Im Deutschen Bundestag ist das Petitionsrecht in Artikel 17 des Grundgesetzes verankert. Petitionen können per Brief und seit dem Jahr 2005 auch auf elektronischem Weg eingereicht werden. Erhält ein Anliegen innerhalb von 4 Wochen 50.000 Unterschriften, muss der Petitionsausschuss im Bundestag darüber sprechen. Auch die Europäische Union hat einen solchen Petitionsausschuss eingerichtet.
Der Petitionsausschuss
Nachdem der Petitionsausschuss über ein Anliegen beraten hat, kann er es an die Bundesregierung »zur Berücksichtigung« überweisen – das heißt, dass sich die Regierung innerhalb von 6 Wochen damit auseinandersetzen muss. Ansonsten kann er das Anliegen mit dem Vermerk »zur Erwägung«, »als Material« oder schlichtweg ohne weitere Notiz weiterleiten. Diese Verweise ziehen jedoch in abstufender Reihenfolge immer geringere Handlungspflichten nach sich. Im Jahr 2023 gingen beim Petitionsausschuss mehr als 11.000 Petitionen ein. Rund 630 dieser Anliegen wurden laut Jahresbericht des Ausschusses zur Berücksichtigung an die Bundesregierung überwiesen.
Felix Kolb ist Mitbegründer und Vorstand bei Campact. Er findet: »Die Unterschriftensammlungen, die in den Petitionsausschuss des Bundestags eingehen, landen bei Politiker:innen, die relativ wenig Änderung bewirken können.« Der Ausschuss sei daher nur »eine Simulation von Beteiligung«.
Bei privaten Plattformen wie Campact ist der Bundestag nicht automatisch gefordert, sich mit einer Petition zu beschäftigen, sobald eine gewisse Anzahl an Unterschriften gesammelt wurde. Campact muss also aktiv das Gespräch mit der Politik und den »relevanten Entscheidungsträger:innen« suchen. Dazu zählt Kolb allerdings nicht die Mitglieder im Petitionsausschuss, sondern vielmehr die zuständigen Minister:innen.
Ein Klick kommt selten allein: Was passiert, nachdem ich eine Onlinekampagne unterstützt habe?
Wie kann nun aber das Anliegen einer Petition »zu den relevanten Entscheidungsträger:innen« gelangen? Kolbs Antwort: »Wenn ein Thema unerwartet viel Aufmerksamkeit erhält, dann steigt der Druck der betroffenen Politiker:in, sich damit zumindest auseinanderzusetzen.«
Es gilt also, besonders viele Anhänger:innen für eine Kampagne zu gewinnen, um genügend Druck aufzubauen.
Petitionen, die bei der Plattform WeAct eingereicht werden und die Campact für besonders Erfolg versprechend hält, bekommen Unterstützung. Das heißt, Campact berät die Organisator:innen der Kampagne, wie sie ihre Forderungen besser formulieren können, oder verbreitet den Aufruf in der eigenen Community. So gelangen also die E-Mails mit den Aufrufen in dein Postfach. Teilweise unterstützt Campact die Aktivist:innen auch finanziell, um etwa ein Banner für eine Demo drucken zu lassen. Dabei gilt: Je mehr Resonanz die Petition erhält, desto stärker wird sie von Campact unterstützt und verbreitet.
2023 wurden auf WeAct 1.000 Petitionen von Mitgliedern gestartet und 3,7 Millionen Unterschriften gesammelt. Mit den Unterschriften in der Tasche bzw. auf dem Datenträger sucht Campact dann das Gespräch mit den zuständigen Minister:innen.
Ein Erfolgsbeispiel von Campact
Im Jahr 2012 plante die schwarz-gelbe Regierung ein umstrittenes Steuerabkommen mit der Schweiz. Dieses hätte Schwarzgeld aus Deutschland, das in Schweizer Banken gelagert wurde, nachträglich mit einer Pauschale besteuert, Steuerhinterziehende wären straffrei geblieben. Daraufhin startete Campact einen Onlineappell mit 110.000 Unterschriften gegen das Abkommen und mobilisierte die politische Opposition. Auch mit Straßenprotesten übte Campact Druck aus. Schließlich verhinderten die rot-grünen Stimmen im Bundesrat das Abkommen. Mehr dazu liest du in der FAZ.
Was uns der Fall von Franzi und Caro über Onlinekampagnen lehrt
Eine der Petitionen, die Campact in größerem Maße unterstützt hat, ist die von Franzi und Caro aus dem Jahr 2020. Die beiden Studentinnen aus München wurden angezeigt, weil sie Nahrungsmittel, die von Supermärkten weggeschmissen wurden, aber noch genießbar waren, aus Müllcontainern fischten. Das sogenannte »Retten von Lebensmitteln« ist in Deutschland eine Straftat.
Daraufhin starteten Caro und Franzi eine Petition auf WeAct, die fast 200.000-mal unterschrieben wurde. Campact unterstützte die beiden Frauen in der Folge dabei, gerichtlich gegen das Verbot von Lebensmittelrettung vorzugehen. Ihre Verfassungsbeschwerde wurde vom Bundesverfassungsgericht jedoch abgelehnt. Sie gaben aber nicht auf, schrieben mit Unterstützung von WeAct einen offenen Brief an das Ministerium für Landwirtschaft und Ernährung und übergaben im November 2022 ihre Petition an das Justizministerium. Tatsächlich warben der Justizminister Marco Buschmann und der Landwirtschaftsminister Cem Özdemir im Jahr 2023 in einem Schreiben an die Landesjustizminister dafür, das Containern straffrei zu machen. Bisher konnten sich die Länder aber nicht darauf einigen.
Die Petition der Münchner Studentinnen zeigt, dass Veränderung nicht von heute auf morgen passiert. Die Gesetzeslage konnte die Kampagne (noch) nicht ändern. Allerdings sorgte der Aufruf dafür, dass heute mehr Menschen über Lebensmittelverschwendung sprechen, Medien davon berichten und sich auch ein Teil der Politik mit dem Problem auseinandersetzt.
Genau das ist eine wichtige Funktion von digitalem Aktivismus: eine breite Öffentlichkeit für Themen zu schaffen, die vorher nur in einzelnen Gruppen besprochen wurden. Anne Kaun nennt diesen Effekt »diskursive Mobilisierung«. Sie ist Professorin für Medien und Kommunikation an der Södertörn-Universität in Stockholm und forscht zu Medienaktivismus.
Als klassisches Beispiel für diese Form der Mobilisierung erwähnt Kaun die MeToo-Bewegung Zwar war Sexismus auch vorher schon ein bekanntes Problem. Doch erst der Hashtag #metoo setzte das Thema global auf die Agenda vieler sozialer Kommunikationsräume – von Parlamenten über (soziale) Medien bis hin zum privaten Abendessen mit der Familie. Sexismus und Geschlechterungleichheit wurden damit zwar nicht aus der Welt geschafft; aber die Diskussion warf Licht auf ein strukturelles Problem, das lange totgeschwiegen wurde, und hat viele Menschen für das Thema sensibilisiert.
Damit digitale Kampagnen ein breites Echo finden und langfristig Wirkung zeigen, brauchen sie eine professionelle Struktur im Hintergrund. »Man braucht Ressourcen, um zum Beispiel eine Gesetzesänderung zu bewirken«, sagt Kaun. Dazu gehörten Zeit, aber auch organisatorische Infrastruktur. Laut Kaun haben daher politische Anliegen eher eine Chance auf Wirkung, wenn sie von einer Organisation mit einer gewissen Expertise getragen werden statt von unerfahrenen, individuellen Akteur:innen.
Bleibt die Frage: Haben wir mit einem einfachen Klick unsere bürgerlichen Pflichten erfüllt? Oder beruhigt Klickaktivismus nur unser Gewissen?
»Onlinekampagnen verhalten sich zu Straßenprotesten wie McDonald’s zu einer langsam gekochten Mahlzeit«
Dass sich ein Teil des Aktivismus heute ins Netz verlagert hat, sehen manche kritisch. So schrieb Micah White von der »Occupy Wall Street«-Bewegung vor einigen Jahren im Guardian, digitale Bürgerbeteiligung verhalte sich im Vergleich zu Straßenprotesten wie McDonald’s zu einer langsam gekochten Mahlzeit.
Laut Kritiker:innen von Netzaktivismus werden Onlineproteste keine tiefgründige Auseinandersetzung mit dem Thema erfordern, weshalb viele das Problem nach einem Klick wieder vergessen haben. Skeptiker:innen befürchten außerdem, dass diese Art des Aktivismus zu politischer Lethargie führt, weil eine digitale Unterschrift das Gewissen beruhigt und Menschen glauben lässt, sie müssten sich nicht weiter engagieren. Ein weiteres Argument: Proteste im Netz werden von der Politik nicht ernst genommen, denn theoretisch kann jede:r eine Petition mit wenig Aufwand und falschem Namen starten oder unterschreiben. Dieses Phänomen wird häufig mit dem Begriff »Slacktivism« beschrieben.
Clicktivism vs. Slacktivism
Während der oben erklärte Begriff »Clicktivism« neutral ist, schwingt im Begriff »Slacktivism« Kritik mit. Er besteht aus den englischen Wörtern »slack«, auf Deutsch »bummeln«, und »activism«. »Bummelaktivismus« meint also eine oberflächliche politische Beteiligung, die es nicht über den Bildschirm hinaus schafft. Sie beruhigt zwar das Gewissen, leistet aber keinen wirklichen Beitrag und erfordert keine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema.
Felix Kolb von Campact erkennt die Kehrseite des Onlineaktivismus: »Der größte Vorteil dieser Kampagnen – dass sie so einfach sind – ist gleichzeitig ihr größter Nachteil.« Es koste viel mehr Aufwand, zu einer Demo zu fahren, als eine digitale Unterschrift zu setzen. 100.000 Menschen, die auf der Straße protestierten, hätten politisch daher mehr Gewicht als 100.000 Menschen, die bei Campact klickten.
Medienexpertin Anne Kaun fügt hinzu: »Dadurch, dass die Schwelle, sich an Onlinepetitionen zu beteiligen, geringer ist, kommt es zu einer Masse an solchen Aufrufen. Das führt dazu, dass die Aufmerksamkeit sinkt und man sehr viel mehr Unterzeichner:innen sammeln muss, damit die Petition Wirkung zeigt.«
Kein Klick ist auch keine Lösung: Was Onlineaktivismus kann
Doch gerade weil ein Klick so einfach ist, kann Netzaktivismus für viele ein Einstieg in den politischen Aktivismus sein. Studien bestätigen: Unpolitische Menschen finden durch Klickaktivismus leichter einen Zugang zum Engagement auf der Straße. Und Menschen, die sich schon politisch engagieren, werden durch digitale Beteiligungsplattformen nicht weniger aktiv.
Campact ruft seine digitalen Unterstützer:innen immer wieder dazu auf, zusätzlich auf Demos zu gehen oder Briefe an Politiker:innen zu schreiben. Der Erfolg ist messbar: Am 10. Oktober 2015 gingen in Berlin 150.000–250.000 Menschen auf die Straße, um gegen die Freihandelsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) und CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) zu protestieren. Das Berliner Institut für Protest- und Bewegungsforschung befragte damals rund 500 Teilnehmende der Proteste unter anderem dazu, woher sie von der Demo erfahren hätten und was sie zur Teilnahme bewegt hätte. Mehr als die Hälfte gab an, die Kommunikation von Organisationen habe sie mobilisiert. Als häufigste Organisation wurde Campact genannt (37%).
Kolb ist überzeugt: Es gebe zahlreiche Menschen, die an Politik interessiert seien. Gleichzeitig hätten viele aber die Einstellung entwickelt, sie könnten nichts ändern, »die da oben« täten sowieso, was sie wollten.
So kommen wir zu einer der wichtigsten Aufgaben von Klickaktivismus: Motivation. »Wenn wir das Gefühl haben, ein Thema mobilisiert eine große Zahl an Menschen, sind wir eher geneigt, dafür auf die Straße zu gehen«, erklärt Medienexpertin Kaun. Gerade soziale Medien können die nötige Reichweite generieren und Menschen zum Mitmachen motivieren. Auch Fridays for Future hätte wohl ohne Hashtags und Aufrufe in sozialen Medien und Messengerdiensten kaum die Dimension angenommen, die sie heute haben.
Mit Klicks die Welt zu verändern – das ist eine Illusion. Doch sie können den Weg ebnen für weitere Schritte außerhalb des Netzes, wie die Beispiele der Petition gegen Lebensmittelverschwendung oder die Proteste gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA gezeigt haben. Solange die Klicks nicht der einzige Schritt bleiben, lohnt sich digitaler Aktivismus also allemal.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen