Klimaklage gegen Österreich: Regierung verteidigt sich erst nach der Wahl vor Gerichtshof
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat einer Klimaklage gegen Österreich "Priorität" eingeräumt. Jetzt bat die Regierung um eine Fristverlängerung und nimmt damit Tempo aus dem Verfahren
Nach einem jahrelangen Stillstand nimmt das größte Klimaverfahren gegen Österreich allmählich Fahrt auf. Anfang Juli räumte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) der Klimaklage eines unter multipler Sklerose leidenden Österreichers "Priorität" ein und gab der Republik bis 20. September Zeit, sich in einer Stellungnahme zu verteidigen. Theoretisch hätte der Gerichtshof noch dieses Jahr ein Urteil fällen können – doch jetzt nimmt die österreichische Bundesregierung Tempo aus dem Verfahren.
In einem Schreiben an den Gerichtshof erklärte das österreichische Außenministerium, dass die Zeit bis September zu kurz sei, um die aufgeworfenen Fragen "in Anbetracht der Wichtigkeit und Komplexität der Sache mit der nötigen Aufmerksamkeit und Sorgfalt" zu beantworten. Der EGMR kam dem Ersuchen vergangene Woche nach und verlängerte die Frist bis 4. November. Für das weitere Verfahren bedeutet das zweierlei: Erstens wird die Republik ihre Stellungnahme erst nach der Wahl einreichen. Zweitens dürfte das Urteil kaum vor dem nächsten Jahr fallen.
Brisant ist die Angelegenheit auch deshalb, weil Österreich in den kommenden Monaten eine neue Regierung bekommt. Zuständig für die Verteidigung Österreichs vor dem Gerichtshof sind mit dem Außenministerium und dem Bundeskanzleramt zwei derzeit von der ÖVP geführte Institutionen. Doch auch die Grünen hätten als Koalitionspartner bei der Art und Weise, wie sich Österreich vor dem EGMR verteidigt, ein Wörtchen mitzureden.
"Priorität" für Verfahren
Die Klimaklage des Österreichers wurde im Frühjahr 2021 von seiner Anwältin Michaela Krömer beim EGMR eingebracht, nachdem ein Antrag beim österreichischen Verfassungsgerichtshof (VfGH) gegen klimaschädliche Steuergesetze gescheitert war. Rechtlich stützt er sich auf eine Verletzung der Menschenrechte auf Gesundheit und Privatleben. Er leide unter dem Uhthoff-Phänomen, bei dem steigende Hitze den Körper lahmlegt. Österreich sei mitverantwortlich, weil es nicht genug gegen die Erderwärmung unternommen habe; der Staat müsse seinen Verpflichtungen zum Klimaschutz stärker nachkommen.
Der EGMR hatte das Verfahren vorübergehend pausiert, weil sich der Gerichtshof zunächst mit dem Fall der Schweizer Klimaseniorinnen befassen wollte, bevor er weitere Entscheidungen in Sachen Klimaschutz trifft. Wie berichtet, hat der Gerichtshof die Schweiz im April verurteilt und nahm das Verfahren gegen Österreich wieder auf. Aufgrund der "Bedeutung und Dringlichkeit der aufgeworfenen Fragen und der angeblichen Verschlechterung des Gesundheitszustands" der betroffenen Person räumte er dem Rechtsstreit "Priorität" ein und forderte Österreich zur Stellungnahme auf.
Grüne eingebunden
Aus dem Büro der Verfassungsministerin heißt es auf Anfrage des STANDARD, dass "das Bundeskanzleramt – der jahrzehntelangen Staatspraxis entsprechend – alle betroffenen Stellen in die Ausarbeitung der österreichischen Stellungnahme einbinden wird". Das Klimaschutzministerium bestätigt das. Man sei vom Verfassungsdienst im Bundeskanzleramt aufgefordert worden, sich zum Verfahren zu äußern, und habe bereits eine Stellungnahme an ihn übermittelt.
Laut dem Klimaschutzministerium unter Leonore Gewessler (Grüne) sprechen "gewichtige Gründe dafür, dass der EGMR die 'Klimaklage' für zulässig erklären könnte". Auch wenn die Bundesregierung in den vergangenen Jahren viele Anstrengungen im Klimabereich unternommen habe, könnte der EGMR entscheiden, "dass Österreich nicht alle von ihm aufgestellten Kriterien für eine angemessene nationale Klimapolitik erfüllt". (Jakob Pflügl, 27.8.2024)
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