Süddeutsche Zeitung hier 20.9.24 Kolumne von Carolin Emcke
Man könnte über die historische Ironie schmunzeln, wenn es nicht so bitter wäre. Was als dogmatisch und was als realpolitisch gilt, ist zu einer öffentlichen Travestie geworden. Ausgerechnet diejenigen, die eine realistische Wahrnehmung der ökologischen Gefahren für unsere Gesellschaft haben, werden hemmungslos dämonisiert. Die Grünen werden von Teilen der CDU, den Liberalen, der AfD als populistischer Punchingball benutzt, an dem sich mal albern, mal hasserfüllt abreagieren lässt. Naturschutz wird als woke, als ideologisch, als wirklichkeitsfern diskreditiert. Und ausgerechnet diejenigen, die mit schlafwandlerisch-selbstbewusster Leugnung der Wirklichkeit den Klimaschutz ausbremsen und Leben gefährden, behaupten sich als undogmatisch und nahbar.
Da versinkt halb Europa in den Fluten, aber immer noch soll Nachhaltigkeit eine Zumutung sein? Und ausgerechnet die Grünen treten auf, als müssten sie sich schämen. Wie absurd.
„Ein merkliches Abnehmen des gesunden Menschenverstandes und ein merkliches Zunehmen von Aberglauben (...)“, schrieb die Philosophin Hannah Arendt in ihrer „Vita Activa“ im amerikanischen Exil 1958, „deuten immer darauf hin, (...) dass der Wirklichkeitssinn gestört ist, mit dem wir uns in der Welt orientieren.“
Merkliches Zunehmen von Aberglauben trifft es, und das ist noch harmlos formuliert für das, was gerade zu erleben ist. Es kann einem schwindlig werden vor irrationalem Wahn und Verlust des Wirklichkeitssinns. Da versinkt halb Europa in den Fluten, da ertrinken immer wieder Menschen in Hochwasser, da verrecken Tiere, da werden Höfe und Häuser zerstört, Ernten vernichtet, das Lebenswerk von arbeitenden Familien ruiniert – aber noch immer soll Naturschutz eine Zumutung von ideologisch Verblendeten sein?
Da wechseln sich „Jahrhundertfluten“ und „Jahrhundertsommer“ in rasendem Tempo ab, versalzen die Böden und plastifizieren die Meere, ganze Regionen werden absehbar unbewohnbar, da erkranken und sterben Menschen, steigen die sozialen, psychischen, ökonomischen Kosten der Katastrophen – aber noch immer sollen alle Maßnahmen, die dem Erhalt lebenswerter Gegenden dienen, noch immer soll der Ausbau erneuerbarer Energien oder nachhaltiger Mobilität, noch immer soll der Schutz von Menschenleben eine Zumutung realitätsferner Klimaaktivisten sein?
Es ist absurd. Nicht Naturschutz ist ideologisch, sondern dessen blindwütige Verweigerung.
Man könnte über die historische Ironie schmunzeln, wenn es nicht so bitter wäre. Was als dogmatisch und was als realpolitisch gilt, ist zu einer öffentlichen Travestie geworden. Ausgerechnet diejenigen, die eine realistische Wahrnehmung der ökologischen Gefahren für unsere Gesellschaft haben, werden hemmungslos dämonisiert. Die Grünen werden von Teilen der CDU, den Liberalen, der AfD als populistischer Punchingball benutzt, an dem sich mal albern, mal hasserfüllt abreagieren lässt. Naturschutz wird als woke, als ideologisch, als wirklichkeitsfern diskreditiert. Und ausgerechnet diejenigen, die mit schlafwandlerisch-selbstbewusster Leugnung der Wirklichkeit den Klimaschutz ausbremsen und Leben gefährden, behaupten sich als undogmatisch und nahbar.
Aberglaube gilt als nüchtern und nahbar
Die Vokabeln und ihre Bedeutungen sind pervertiert, Aberglaube und Realitätsverlust gelten als nüchtern und zugewandt. Wahrhaftiges Beschreiben der Wirklichkeit und der Aufgaben, die sie stellt, gilt als abgehoben und dogmatisch. Das Drehbuch zu dieser Politik des Irrationalen ist international. Es wird in Putins Troll-Fabriken geschrieben und es dient längst nicht nur dem Ziel der Destabilisierung demokratischer Gesellschaften, sondern es zersetzt die öffentliche Vernunft, die Fähigkeit, Humbug und Lügen von Tatsachen und Wissen zu unterscheiden. Klimaschutz ist dabei das trojanische Pferd, mit dem sich ins Herz der demokratischen Selbstverständigungsdiskurse dringen und Desorientierung stiften lässt.
Ausgerechnet die FDP, die sich als liberale, aufgeklärte Partei der Möglichkeiten verstehen sollte, die für eine moderne Wirtschaft und dynamische Gesellschaft stehen könnte, hat sich verrannt im Dogma der innovationsfeindlichen Schuldenbremse. Über die liberalen Ideen der sozialen Mobilität und der europäischen Vielfalt hat sich eine Festung-Europa-Rhetorik gelegt, für die nationalistisch gesinnte Parteien durchaus Argumente in ihren Programmen finden können, aber eben nicht eine Partei, deren Tradition immer eine der offenen, globalisierten Welt war. Aus einer ins optimistische Gelingen verliebten Partei der Freiheit ist eine verhärtete, pessimistische Partei des Bangemachens und Verhinderns von Zukunft geworden.
Ausgerechnet die CDU, die sich als verantwortungsbewusste Partei der Bewahrung von Wohlstand und Sicherheit verstehen sollte, ist vor lauter Anti-Klimaschutz-Dogma unwillig oder unfähig, die notwendigen Bedingungen der Energie- oder der Verkehrswende zu erkennen. Die fehlenden politischen Vorgaben und Anreize verhindern genau das, was die marktfreundlichen Konservativen eigentlich für sich beanspruchen: internationale Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum.
In der New York Times von Dienstag dieser Woche analysiert der Kolumnist Robinson Meyer die Amtszeit von Donald Trump als folgenreiche Schwächung des Wirtschaftsstandorts USA: Amerika sei nicht einfach zufällig hinter China zurückgefallen, nachdem der damalige Präsident Trump die Klimapolitik vernichtet habe. Sondern Amerika sei zurückgefallen, weil Trump die Klimapolitik zerstört habe. Meyer legt die blanken, nüchternen Zahlen vor: Die amerikanische Industrie hinkt der chinesischen hinterher im Bereich der Produktion hybrider und elektrischer Autos, aber auch bei Solar, Wind und Lithiumbatterie-Herstellung. China produziert heute weltweit mehr als die Hälfte der Elektroautos, China produziert weltweit mehr als 80 Prozent der Solarpaneele.
Es ist nicht zu verstehen, warum die Grünen auftreten, als müssten sie sich schämen, weil sie sich noch nicht vollständig dem populistischen Angst-und-Ressentiment-Tetris ergeben haben. Es ist nicht zu verstehen, warum die Grünen sich derart einschüchtern lassen von einer Politik der ideologisierten Posen. Es wird Symbol-Popanz betrieben, wo sachliche Kontroversen nötig wären. Es ist allerdings auch nicht zu verstehen, warum in manchen Redaktionen der Medien dieses Spektakel auch noch angefeuert und mitgespielt wird. Es ist ja nicht so, als wüsste niemand, was die Zahlen tatsächlich hergeben, es ist ja nicht so, als gäbe es keine wissenschaftliche Expertise, es ist ja nicht so, als erlebten nicht alle selbst, wie die Klimakrise die sozialen, kulturellen, ökologischen Grundlagen unseres Lebens zerstört, wie sie gerade diejenigen trifft, die ohnehin schon verwundbarer und schutzloser sind. Wer immer noch glaubt, mit voyeuristischer Lust an Empörungsfolklore die Agenda setzen zu müssen, wer immer noch glaubt, nur Stimmungen spiegeln zu müssen anstatt die Wirklichkeit, macht sich zum Komplizen des Irrationalen.
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