Freitag, 13. September 2024

Reformergebnisse gegen „Regelungsdschungel“

hier  12.09.2024,Von: Andreas Schmid

Nach Bauernprotesten: Özdemir präsentiert Reformergebnisse 

Immer wieder klagen deutsche Bauern über zu viel Bürokratie. Das Landwirtschaftsministerium hat nun erste Maßnahmen entwickelt. Wie viele bereits umgesetzt sind, zeigt eine interne Auswertung, die unserer Redaktion exklusiv vorliegt.

Passend zur aktuell stattfindenden Agrarministerkonferenz hat der Deutsche Bauernverband ein Positionspapier veröffentlicht. Auf den elf Seiten taucht ein Wort immer wieder auf: „Bürokratie“. Es kommt in unterschiedlichen Formen (Entbürokratisierung, Bürokratieabbau, bürokratisch) ganze 15 Mal vor. Der Bürokratieabbau war auch eine zentrale Forderung der Bauernproteste im Winter. „Schluss mit dem Verordnungswahn“ oder „Bürokratiewahnsinn stoppen“ stand auf Schildern von Traktoren.

Özdemir verspricht Entlastung für Bauern: „Landwirte kämpfen mit Regelungsdschungel“

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir will dem nun entgegenwirken. „Unsere Landwirtinnen und Landwirte kämpfen seit vielen Jahren und Jahrzehnten mit einem dichten Regelungsdschungel, darunter auch viel unnötige Bürokratie“, sagt der Grünen-Politiker zu unserer Redaktion. Sein Ministerium hat zuletzt konkrete Maßnahmen zum Bürokratieabbau entwickelt. IPPEN.MEDIA liegt nun eine bislang interne Auswertung vor, wie viele der Vorschläge bereits umgesetzt sind.

Acht Maßnahmen sind bislang vollständig umgesetzt, bei 21 weiteren seien die „Arbeiten im BMEL abgeschlossen“. Die Umsetzung befinde sich „im weiteren Verfahren“. Sechs weitere Maßnahmen sind bislang noch „in Bearbeitung“. Die Auswertung ist Teil der Initiative Freiräume schaffen. Landwirte stärken. Ein Überblick über die konkreten Maßnahmen:

1. Vollständig umgesetzte Maßnahmen zum Bürokratieabbau

  1. Geringere Form- und Größenvorgaben für Blühstreifen: damit können Bauern laut Ministerium leichter Geld verdienen, wenn sie Blühflächen auf ihrem Acker haben. Früher galten hier strenge Regeln, wie der Streifen auszusehen hat.

  2. Neue Brachenregeln: für freiwillige Brachen gab es bisher nur Geld, wenn mindestens ein Prozent der Betriebsfläche stillgelegt wurde. Als neue Grenze gelten 0,1 Hektar.

  3. Weniger Meldeauflagen bei Nutzhanf: hierfür hatten sich auch andere Ampel-Politiker im Zuge der Cannabis-Freigabe stark gemacht. Nutzhanf macht nicht high.

  4. Einfachere Öko-Regeln bei Dauergrünland: eine bei Bauern leidige Vorgabe wurde gestrichen. Künftig darf der Viehbesatz nicht mehr nur an bis zu 40 Tagen unterschritten werden.

  5. „Praxischeck“ Lebensmittelhandwerk: Entlastungen für die Gewerbe Bäckerei, Fleischerei und Konditorei sowie Verwaltungen. (Hier führte das BMEL einen „Praxischeck“ durch und listet die Maßnahme daher bei abgeschlossen. Bislang ist aber nur der Praxischeck abgeschlossen, konkrete Maßnahmen müssen erst erarbeitet werden).

  6. „Praxischeck“ Einfachere Melde- und Dokumentationspflichten im Pflanzenbau: Auch hier wurde ein Praxischeck durchgeführt, die mehrfache Eingabe von Daten soll Geschichte sein.

  7. Leichtere Melde- und Dokumentationspflichten: Bauern müssen nun nicht mehr jährlich ihren Nachweis als aktive Betriebsinhaberin erneuern, sondern können einen bereits vorhandenen Nachweis wiederverwenden.

  8. EU-Agrarförderung auch bei Verlust von Ohrmarken: Landwirte erhalten künftig auch dann gekoppelte Prämien aus der EU-Agrarförderung für ihre Rinder, Mutterschafe oder Mutterziegen, wenn die Tiere eine oder beide Ohrmarken verloren haben, was in der Praxis durchaus häufig passiert.


Ein Großteil der Maßnahmen ist im Ministerium abgeschlossen, aber noch nicht in die Praxis umgesetzt. Die meisten davon sind erst jetzt durch neue EU-Regeln möglich geworden, die Brüssel im Zuge der Bauernproteste erlassen hat. Darunter fallen Projekte zum Acker- oder Ökolandbau, der Tierhaltung oder der Agrarförderung. Die meisten dieser Maßnahmen sollen zum Jahresanfang starten. Eine Auswahl:


2. im Ministerium abgeschlossene Maßnahmen

  1. Geld für pflanzenschutzfreien Anbau: Wer Kulturen wie Hirse, Amaranth, Buchweizen oder Quinoa ohne Pflanzenschutzmittel anbaut, soll dafür künftig Förderung erhalten. Wie viel, ist unklar.

  2. Mehr Leben auf dem Hof: Bauernhöfe dürfen stärker bebaut werden. Neben Erweiterungen von Wohngebäuden im Außenbereich betrifft das auch die Errichtung eines selbstständigen Wohngebäudes als Anbau. Zudem wird in beiden Fällen die Zahl der möglichen Wohnungen auf vier erhöht. Bedingung: Der Wohnraum wird von der Familie genutzt.

  3. Abschaffung von Kontrollen und Sanktionen bei EU-Agrarförderung: Bezieht sich auf Fläche bis 10 Hektar, was rund ein Viertel der Betriebe in Deutschland ausmacht. Der Bundesrat wird sich am 27. September damit befassen.

  4. Neue Ökoregeln beim Agroforst: Gehölzstreifen müssen nicht mehr drei Meter breit sein, damit es Förderung gibt. Auch Abstandsregeln werden gelockert.

  5. Mehr Geld für Schafe und Ziegen: Die Voraussetzung für Zahlungen für Mutterschafe und Ziegen sollen vereinfacht werden, unter anderem durch die Abschaffung der Stichtagsregelung. Kommt 2025.

  6. Förderungen von Grünland auch für Wildtierhalter: Wer Wild auf Dauergrünland extensiv hält, soll damit künftig „gutes Geld verdienen können“, heißt es. Wie viel, ist unklar.

  7. Weniger Vorgaben bei Tierarztbehandlung: Dokumentations- und Informationspflichten bei der Abgabe von Tierarzneimitteln sollen vereinfacht werden. Soll Ende September vom Bundestag beschlossen werden.


„Wir haben bereits viele Vereinfachungen für die Betriebe in die Tat umgesetzt, weitere sind auf den Weg gebracht“, sagt Özdemir gegenüber unserer Redaktion. „Angefangen bei unnötigen Sanktionen bei verlorenen Ohrmarken, über entrümpelte Meldepflichten für Weinbaubetriebe bis hin zum digitalen Rinderpass, mit dem die Papiervariante dann Geschichte sein wird.“ Die letzten beiden Maßnahmen sind bislang nur geplant – wie insgesamt sechs Projekte. Unter anderem folgende:


3. Maßnahmen „in Bearbeitung“

  1. Digitaler Rinderpass: Bislang ist der Pass papiergebunden. Diese Maßnahme hängt mit EU-Recht zusammen und kommt wohl erst Ende 2025.

  2. generell geringere Meldepflichten bei Tierhaltung: Hier heißt es im Papier: „Meldepflichten sollen reduziert, Stichtage vereinheitlicht und schlanke digitale Lösungen angeboten werden.“ Man warte aber noch auf die Ergebnisse eines Gutachtens dazu.

  3. Weniger Bürokratie beim Weinbau: Hier soll die Weinüberwachungs-Verordnung geändert werden. Bis wann, ist unklar.


Das Ministerium hatte schon vor einigen Monaten ein Papier vorgestellt, von dem Bauern „spürbar profitieren“ würden. Es geht um schnellere Genehmigungsverfahren, weniger Papierkram, verschlankte Verordnungen und insgesamt mehr Freiheiten bei der täglichen Arbeit. Nun heißt es: „Der Abbau unnötiger Bürokratie ist eine Daueraufgabe. Der Vorschriftendschungel ist über Jahrzehnte gewachsen, und es erfordert einen langen Atem auf allen staatlichen Ebenen, ihn wieder zurückzudrängen.“

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