Mittwoch, 25. September 2024

David, nicht Goliath

hier   Frankfurter Rundschau  22.09.2024, Michael Bloss

Das Ende des Green Deal wäre der Anfang der De-Industrialisierung Europas. Denn die USA und China haben uns schon überholt.

Der Green Deal ist der größte Erfolg der europäischen Politik der vergangenen fünf Jahre. Beim EU-Gipfel am Donnerstag haben die Staats- und Regierungschefs jedoch versäumt, seine Fortsetzung zu sichern. Jetzt liegt es an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, den Green Deal zu retten und erfolgreich abzuschließen. Denn er ist das zentrale Modernisierungsprojekt unserer Zeit. Ohne den Green Deal stehen sowohl der Klimaschutz als auch Europas Wirtschaft auf dem Spiel.

Mit dem Green Deal haben wir es geschafft, die Klimapolitik der EU signifikant zu verbessern und Europas Wirtschaft für die Zukunft und den internationalen Wettbewerb fit zu machen. Im Mai hat der Climate Action Tracker berechnet, dass durch die Klimagesetze des Green Deal der EU-Klimakurs um über ein Grad verbessert wurde. Das ist ein massiver Erfolg. Der Green Deal ist die beste und umfassendste Klimapolitik, die Europa jemals hatte. Schon jetzt ist klar: Der Green Deal wird das Leben unzähliger Menschen verbessern.

Der globale Wettlauf um die klimaneutrale Wirtschaft der Zukunft ist bereits in vollem Gange. Längst haben die USA und China sich auf den Weg gemacht und uns in vielen Bereichen überholt. Im Jahr 2023 hat China 297 Gigawatt erneuerbare Energien neu installiert, während in der EU nur 66 GW dazukamen.

Tesla und BYD verkaufen mehr Elektroautos als alle europäischen Autohersteller zusammen. Im vergangenen Jahr stieg der Verkauf von E-Autos in China um 37 Prozent und in den USA sogar um 48 Prozent an. Der globale Trend geht klar in Richtung Klimaneutralität. Anstatt den Green Deal zu hinterfragen, müssen wir uns sputen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Trotz dieser klaren Signale droht der europäische Klimaschutz verwässert zu werden. Auf dem letzten EU-Gipfeltreffen haben die Staats- und Regierungschefs ihre „Strategische Agenda“ für die nächsten fünf Jahre festgelegt. Doch der Green Deal kommt darin nicht mehr vor. Das zentrale Ziel, unsere Wettbewerbsfähigkeit durch den Aufbau einer klimaneutralen Industrie abzusichern, ist von der Agenda verschwunden. Es zeichnet sich ab, dass die zweite Hälfte dieses Jahrzehnts – die entscheidende Phase für die klimaneutrale Modernisierung – verschlafen wird. Dass ausgerechnet jetzt die Staats- und Regierungschefs den Green Deal fallenlassen, ist ein Fehler mit dramatischen Folgen für den Klimaschutz und Europas wirtschaftliche Zukunft.

Die Ambitionen werden zurückgeschraubt, während unsere globalen Wettbewerber weiter Fahrt aufnehmen. Europa kann es sich aber nicht leisten, auf der Stelle zu treten. Damit riskieren wir, den Anschluss an die Industrie der Zukunft zu verlieren.

Die Abkehr vom Green Deal wäre in doppelter Hinsicht fatal: Die europäische Wirtschaft hat bereits massiv investiert und begonnen, den Green Deal umzusetzen. Ein abrupter Stopp würde die Investitionen gefährden und die Unsicherheit am Markt verstärken.

Gleichzeitig investieren die USA und China ungebremst in grüne Technologien. Es droht, dass China schneller grünen Stahl produziert als Europa. Instrumente wie der europäische CO2-Zoll könnten zu spät kommen, um den Schaden zu begrenzen. Es wäre daher ein schwerer Fehler, den Green Deal zurückzudrehen. Vielmehr ist es jetzt entscheidend, ein zukunftsgewandtes Industriekapitel hinzuzufügen, das Innovation und Wettbewerbsfähigkeit fördert.

Die Angst vor De-Industrialisierung ist real, aber sie resultiert nicht aus Klimaschutzmaßnahmen, sondern aus Chinas aggressiver Industriepolitik. Während dort gezielt Schlüsselindustrien gefördert werden, droht Europa wegen mangelnder strategischer Industriepolitik zurückzufallen.

Gegen Chinas Dominanz hilft eine aktive Industriepolitik: Öffentliche Gelder zur Modernisierung der europäischen Industrie, ein beschleunigter Ausbau der erneuerbaren Energien zur Senkung der Energiepreise sowie eine effiziente europäische Entscheidungsfindung darüber, wo welche Industrie sinnvoll erhalten und ausgebaut werden sollte, sind der Schlüssel. Wir müssen verstehen, dass wir gerade David sind, nicht Goliath. Auf den fossilen Lorbeeren der Vergangenheit auszuruhen, gefährdet unsere Wirtschaftskraft. Ohne einen klaren Plan fehlt der europäischen Wirtschaft Sicherheit, und der Pariser Klimapfad bleibt ein bloßes Schlagwort.

Der Green Deal muss also auch ein verbindlicher Deal für die europäische Industrie werden. Fokus und Investitionen sind dabei unverzichtbar. Die Hürden für grüne Innovationen müssen gesenkt und die Verlässlichkeit der europäischen Politik sichergestellt werden. Denn Klima und Industrie dürfen nicht getrennt gedacht werden – sie müssen gemeinsam gestaltet werden.

Michael Bloss ist klimapolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament und Koordinator im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie (ITRE).



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