Freitag, 27. September 2024

Immer wieder "Aber China"....doch der Westen trägt die historische Verantwortung für die Klimakrise

hier Tagesspiegel  Von Felix Kiefer,Viktoria Bräuner,  26.09.2024

Internationaler Solarer Spitzenreiter und viel zu viel Kohle:
So geht Klima- und Umweltschutz auf Chinesisch

Smog liegt über Peking. Immer noch ist heimische Kohle wichtigster Energieträger in China.

Mit ehrgeizigen Maßnahmen versuchen Deutschland, die EU und der Westen die Klimaziele einzuhalten. Doch immer öfter hört man die Frage: Was bringt das alles, wenn China weiter auf schmutzige Kohle setzt?

Manchmal ist Chinas Kommunistische Partei spät dran – aber wenn sie etwas will, kann es plötzlich schnell gehen. So erklärte Parteichef Xi Jinping in einer Rede im Juni 2019 die Bedeutung von Mülltrennung – fast 50 Jahre, nachdem in Deutschland die ersten Altglascontainer aufgestellt wurden.

Mülltrennung, so sagte Xi, hänge direkt mit dem Lebensumfeld der Menschen und dem sparsamen Umgang mit den Ressourcen zusammen. Es sei „wichtiger Ausdruck des Bürgersinns“. Nur einen Monat später startete Shanghai ein eigenes Mülltrennungsprojekt; bis 2020 sollten 46 weitere Großstädte und bis 2025 auch kleinere Städte nachziehen. In vielen chinesischen Metropolen gab es an öffentlichen Plätzen plötzlich verschiedene Mülleimer, um Verpackungs-, Papier- und Restmüll zu separieren. In Wohnvierteln wurden bunte Tonnen aufgestellt, dazu Anleitungen aufgehängt. 

Verursacher soll Vorreiter sein

Überfällig könnte man sagen: Einer Harvard-Studie zufolge werden in der Volksrepublik jährlich allein fast 350 Millionen Tonnen für den menschlichen Verzehr produzierte Lebensmittel weggeworfen. In Deutschland sind es rund 11 Millionen Tonnen. Beim Vergleich dieser Dimensionen drängt sich schnell die Frage auf: Lohnt sich der Aufwand hierzulande für einen verantwortungsbewussten Umgang mit Ressourcen überhaupt?

Dieses „Aber China“-Argument begegnet einem vor allem bei Diskussionen um Klimaschutzmaßnahmen, und zwar meist nach folgendem Muster: Deutschland und die EU setzen sich ehrgeizige Klimaziele und wollen bis 2045 klimaneutral werden, aber China erst bis 2060. Dabei steht die EU gerade einmal für sieben Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen, aber China ist mit einem Anteil von 30 Prozent der oberste Klimasünder. Dazu wird in Deutschland bald keine Kohle mehr abgebaut, aber China baut weiter Kohlekraftwerke. Fazit: Deutschland und Europa könnten die Welt nicht alleine retten, solange die Volksrepublik so weitermacht wie bisher. Das Problem: Vieles spricht gegen diese Hypothese.

Westen trägt historische Verantwortung für Klimakrise

Historisch gesehen, sind es vor allem kumulierte Emissionen, die das ökologische Gleichgewicht der Erde stören – nicht nur die aktuellen. Seit 1850 sind über 2500 Gigatonnen CO₂ durch die Menschheit in die Atmosphäre gelangt. Der Großteil davon durch die USA und Europa – nicht durch China. CO₂-Emissionen aus dem 19. und 20. Jahrhundert, erwärmen die Erde heute immer noch. Die klimaschädliche Wirkung der kohlebasierten Industrialisierung Deutschlands hält bis heute und darüber hinaus an.

Vor allem ist die Volksrepublik aber in einigen entscheidenden Klimaschutzbereichen deutlich aktiver als der Rest der Welt. Beim Ausbau seiner erneuerbaren Energien eilt das Land von Rekord zu Rekord: Im vergangenen Jahr hat China über 216 Gigawatt Photovoltaik zugebaut – Deutschland hat insgesamt bisher knapp 82 Gigawatt installiert. Auch bei Windenergie hat sich die produzierte Leistung Chinas in zehn Jahren fast verzehnfacht. Bei der Batterietechnik ist das Land führend. Der dortige Markt für Elektroautos explodierte. Immer stärker setzen Firmen wie BYD und Nio auch Hersteller in Deutschland unter Druck.

Klimaziele ohne China kaum erreichbar

Und doch reichen diese Anstrengungen aus Sicht von Klimafachleuten nicht. Immer noch erzeugt China zwei Drittel seiner Energie aus Kohle. Nahezu die gesamte Ausbaukapazität von Kohlekraft in den letzten Jahren geht auf das Konto der Volksrepublik. Dazu wächst die Energienachfrage und damit auch der CO₂-Ausstoß des zweitbevölkerungsreichsten Land der Erde weiter.

In der Wissenschaft herrscht Einigkeit darüber, dass das 1,5-Grad-Ziel, wenn überhaupt, nur mit China erreichbar bleibt. „Die Zukunft der Menschheit liegt in Chinas Händen“, schrieb etwa der Wirtschaftswissenschaftler Adam Tooze kürzlich in einem Gastbeitrag für die „Zeit“. Darin warnt der Brite, dass allein die Volksrepublik fast ein Drittel des verbliebenen CO₂-Budgets beanspruchen würde, scheitere Xi mit seinen Klimavorhaben.

BIld rechts: Solarer Vorreiter: Allein dieses Solarthermiekraftwerk in der nordwestchinesischen Stadt Hami soll eine Leistung von 50 Megawatt haben. © dpa/Hu Huhu

Die Hoffnungen vieler Expert:innen stützen sich auch darauf, dass China, wenn es ein Problem erkannt und benannt hat, vor radikalen Maßnahmen nicht zurückschreckt, um es zu lösen. Das zeigt sich auch beim Thema Mülltrennung.....


Zum Thema noch ein älterer Text aus der Schweiz

hier 12.07.2021  Autor(en): Lukas Rühli

Die historische «CO2-Schuld»: Treibhausgasemissionen können vom Wirtschaftswachstum entkoppelt werden

In der gegenwärtigen Klimadebatte wird viel von Verantwortung und Schuld gesprochen. Die Schweiz trage als wohlhabendes Land eine besonders grosse Verantwortung – umso mehr als sie in der Vergangenheit weit mehr Kohlendioxid (CO2) pro Kopf ausgestossen habe als andere Länder.

Nun kann man natürlich das Konzept einer «CO2-Schuld» generell für fraglich halten: Die Errungenschaften der industriellen Revolution (die überhaupt zur Verbrennung fossiler Energieträger führten) haben weltweit erheblichen Wohlstand erzeugt. Insofern könnte man ebenso gut behaupten, die restlichen Länder stünden in der Schuld des Westens. Dem könnte man aber wiederum die Schuld der Kolonialisierung entgegenhalten. Kurz: Die Argumentation über «Schuld» ist in der Klimadebatte wenig zielführend. Trotzdem ist eine genauere Analyse der CO2-Schuld interessant, wenn auch nicht so sehr zur Klärung moralischer Verantwortung, sondern schlicht um des statistischen Sachverhalts selbst willen.

Zur Beurteilung der CO2-Schuld des Westens müssen die historischen Emissionsanteile ins Verhältnis zur (damaligen) Einwohnerzahl gesetzt werden.

Weltweit beträgt für die Periode von 1850 bis 2018 der jährliche einwohnergewichtete[1] CO2-Ausstoss pro Kopf 3,19 Tonnen (vgl. Abb. 1). Einige Weltregionen weisen deutlich weniger auf: Für Afrika und Indien liegt dieser Wert unter 1 Tonne. Auch China, das restliche Asien und Südamerika liegen deutlich unter dem weltweiten Mittelwert. Europa anderseits weist historisch gesehen fast die doppelten Pro-Kopf-Emissionen im Vergleich zum globalen Mittel auf. Mit riesigem Abstand «in Führung» liegt Nordamerika (USA und Kanada) mit historischen jährlichen Durchschnittsemissionen von 17 Tonnen pro Kopf.......

Weiterführende Informationen zum Thema finden Sie in unserer Studie «Wirkungsvolle Klimapolitik».


Autor: Lukas Rühli Senior Fellow und Forschungsleiter Smart Government

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