hier t-online Meinung von Christine Holthoff am 19.08.2024
wer sich auf den Weg nach Paris macht, tut das in der Regel freiwillig und gern. Ein Spaziergang entlang der Seine, Café au Lait im Künstlerviertel Montmartre oder ein Besuch berühmter Wahrzeichen wie der Kathedrale Notre-Dame – Gründe für eine Reise gibt es viele. Und die ist von Deutschland aus auch noch schnell und günstig. Keine zwei Stunden dauert zum Beispiel ein Flug von Berlin und kostet mitunter nicht einmal 40 Euro. Doch leider ist nicht jeder Weg nach Paris so bequem.
Für die meisten Unternehmen ist er eine riesige Herausforderung. Ihr Weg nach Paris führt in Richtung Klimaneutralität. Und dafür reicht es nicht, ein Ticket fürs Flugzeug oder den Eurostar zu lösen. Sie müssen kräftig investieren, teilweise ihr ganzes Geschäftsmodell hinterfragen, um weniger CO2 auszustoßen und so daran mitzuwirken, die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens zu erfüllen. Nach Einschätzung des Expertenrats für Klimafragen der Bundesregierung reichen die bisherigen Anstrengungen jedoch nicht.
Zwar gibt es durchaus Erfolge, vor allem bei der Umstellung auf erneuerbare Energien – doch in der Breite ist die grüne Transformation bislang nicht angekommen. Dabei ist ein nachhaltiger Wandel nicht nur "nice to have", sondern essenziell. Ohne ihn können Firmen nicht überleben – was letztlich auch den Wohlstand gefährdet. Doch wer sich Photovoltaikanlagen aufs Dach bauen, seine Fahrzeugflotte mit E-Autos bestücken oder in grünen Wasserstoff investieren will, braucht Geld. Viel Geld.
Die Europäische Kommission rechnet damit, dass in der EU bis 2030 jedes Jahr mehr als 600 Milliarden Euro ausgegeben werden müssen, um Klimaneutralität zu erreichen. Für Deutschland veranschlagt die Förderbank KfW notwendige Investitionen von rund 190 Milliarden Euro pro Jahr. Dass die nicht allein aus staatlichen Mitteln bereitgestellt werden können, liegt nicht erst seit den Querelen um den Bundeshaushalt auf der Hand.
Die Schlüsselrolle der Finanzbranche
Förderprogramme und Steueranreize sind zwar nötig und wichtig, doch der Großteil des Geldes muss privat aufgebracht werden. Heißt: Unternehmen müssen sich ihre finanziellen Mittel vor allem am Kapitalmarkt oder von Banken besorgen. Und das wiederum heißt: Keine andere Branche ist so zentral im Kampf gegen den Klimawandel wie die Finanzbranche. Schafft sie es nicht, Kapital im großen Stil für den klimaneutralen Umbau zu vergeben, haben wir ein Problem.
Die gute Nachricht ist: Es hat sich in der Richtung schon einiges getan. Viele Länder und Wirtschaftsregionen weltweit setzen inzwischen auf sogenannte Finanztaxonomien. Das bedeutet, dass sie Kriterien dafür festgelegt haben, welche wirtschaftlichen Aktivitäten als ökologisch nachhaltig gelten. Damit haben Kapitalgeber einen Leitfaden an der Hand, um Geld dorthin zu lenken, wo es wirklich sinnvoll eingesetzt wird – und nicht etwa dorthin, wo Unternehmen das nur behaupten. Auch setzen Taxonomien einheitliche Standards, wann Banken, Versicherer und Vermögensverwalter ihre Anlageprodukte als grün und nachhaltig bezeichnen dürfen. So zumindest die Theorie.
Viele Vorgaben bleiben schwammig
In der Praxis erweisen sich jedoch einige Konzepte als lückenhaft, wie Wissenschaftler der Abteilung Klimapolitik am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) herausgefunden haben. Während die EU-Taxonomie gut abschneidet, weil sie für sehr viele Marktteilnehmer gilt und mit umfassenden Offenlegungspflichten für Unternehmen verbunden ist, gibt es andere Länder, die sich ihre Taxonomien mehr oder weniger hätten sparen können.
Am wenigsten wirksam sind sie der DIW-Studie zufolge in Israel, Malaysia, Russland, Südafrika und Usbekistan. Da viele Unternehmen und Investoren international tätig sind, müssten die Taxonomien zudem weltweit abgestimmt und vereinheitlicht werden. Andernfalls ist zwar die EU irgendwann emissionsfrei – doch was nützt das, wenn die CO2-intensiven Firmen ihren Sitz bloß ins weniger strenge Russland verlagert haben?
Mehr Beteiligung an der Börse nötig
Doch auch hierzulande gibt es noch Spielraum für Verbesserungen. So spricht sich etwa Bundesbank-Vorständin Sabine Mauderer dafür aus, den Kapitalmarkt so weiterzuentwickeln, dass nicht nur große Unternehmen schnell an Geld kommen, um sich klimafreundlich zu wandeln, sondern auch Mittelständler und Start-ups. Das gelinge mit einem "tiefen Kapitalmarkt", wie es im Fachjargon heißt, also einem Kapitalmarkt mit vielen Teilnehmern, auf dem eine große Zahl von Wertpapieren gehandelt wird. Auch der Sachverständigenrat Wirtschaft der Bundesregierung hatte jüngst darauf hingewiesen, wie wichtig es sei, dass mehr Bürger ihr Geld in Aktien und Anleihen investieren, um die grüne Transformation zu finanzieren. Dafür hatte er öffentlich geförderte Anlagekonten für Kinder gefordert, um die Scheu vor der Börse abzubauen.
Mauderer regt zudem an, eine Brücke zu bauen zwischen dem Kapitalmarkt und dem Bankensektor. Er ist für deutsche Mittelständler nach wie vor zentral, um an Geld für Investitionen zu kommen. Das könne gelingen, indem man die sogenannten Verbriefungen wiederbelebe. Damit können Banken unter anderem Darlehen in Form von Wertpapieren bündeln und an Investoren verkaufen – was ihnen wieder Kapital verschafft, um neue Kredite für grüne Projekte zu vergeben. Auch braucht es aus Sicht der Bundesbank-Vorständin in Deutschland mehr Mut, Start-ups zu fördern, die umweltfreundliche Technologien entwickeln. Denn die seien die Wachstumsmotoren von morgen.
Kreativität ist gefragt
Überhaupt ist die Finanzbranche gefordert, kreativ zu werden und den Unternehmen Angebote zu machen, die grüne Investments beschleunigen. Auch hier ist schon einiges geschehen. So gibt es beispielsweise Kredite, für die Firmen weniger Zinsen zahlen, wenn ihr CO2-Fußabdruck gering ist. Auch die Zahl sogenannter Green Bonds – also grüner Anleihen, bei denen Unternehmen das Geld für umweltfreundliche Projekte einsetzen müssen – ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen. Das mag auch daran liegen, dass sie für Firmen attraktiver sind als klassische Anleihen: Denn viele Anleger sind bereit, für grüne Investments eine niedrigere Rendite in Kauf zu nehmen und den Unternehmen also einen höheren Preis für die Green Bonds zu zahlen. Lesen Sie hier, wie Anleihen funktionieren.
Deutschland ist hier übrigens weltweit vorn dabei. Seit September 2020 gibt der Bund grüne Bundesanleihen heraus, mit denen etwa saubere Verkehrssysteme, Autos mit geringerem CO2-Ausstoß und erneuerbare Energien gefördert werden. Zum Start konnte die Bundesrepublik so 6,5 Milliarden Euro am Kapitalmarkt aufnehmen, die Nachfrage war allerdings fünfmal höher. 2024 ist geplant, grüne Anleihen im Wert von 19 Milliarden Euro anzubieten. Das macht Deutschland zu einem der führenden Herausgeber in der EU.
Die grüne Transformation ist also auch eine Chance, sich als Land bei der Finanzierung an die Spitze zu setzen. Deutschland kann das durchaus schaffen – und so gleichzeitig bedeutenden Anteil daran haben, dass das Geld in den Strukturwandel fließt. Je schneller und zielgenauer das geschieht, desto eher kommt auch die Wirtschaft in Paris an.
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