Riffreporter hier Elena Matera 27.04.2023
Das Climate Change Center bezieht Bürger:innen aktiv in die Klimaforschung ein und entwickelt regionale Klimalösungen. Ein Konzept, das international Anerkennung findet.
Wie muss der Verkehr aussehen, damit er klimafreundlicher und gleichzeitig sozialverträglich wird? Eine Frage, mit der sich Soomauroo derzeit intensiv beschäftigt. Das Ziel der Wissenschaftlerin aus dem Inselstaat Mauritius: Die Mobilitätswende in den Städten soll für alle Menschen gerecht werden. Dafür will Soomauroo vor allem die Erfahrungen und Bedürfnisse von Frauen, People of Color, Senior:innen, aber auch von Menschen mit Behinderungen und von Kindern miteinbeziehen. „Bislang sind Städte vor allem auf autofahrende Männer ausgerichtet. Das muss sich ändern“, sagt sie.
Entwicklung regionaler Klimalösungen
Soomauroos feministisches und intersektionales Forschungsthema ist eines von über 20 Projekten, die das Climate Change Center unterstützt. In weiteren Forschungsvorhaben geht es um nachhaltiges Bauen, um Mobilität, Ernährung und Gesundheit sowie Bildung und Kunst. „Unser Ziel ist es, städtische Klimaschutzforschung neu zu denken, Innovationen voranzubringen und vor allem an Lösungen zu arbeiten, um Berlin und Brandenburg klimaneutral zu machen“, sagt Felix Creutzig, Physiker und wissenschaftlicher Koordinator des Zentrums, der neben Soomauroo sitzt.
Der Wissenschaftler ist außerdem einer der Leitautoren des fünften Weltklimaberichts. Immer wieder weist er daraufhin: Die Menschheit muss handeln – die Zeit drängt. Denn die CO2-Emissionen steigen immer weiter an, die 1,5-Grad-Grenze ist technisch noch möglich, doch gesellschaftlich fast außer Reichweite. Lösungen für den Klimaschutz sind dringend notwendig. „Das Climate Change Center nimmt hier eine Schlüsselrolle ein“, sagt Creutzig.
Climate Change Center als Gemeinschaftsinitiative
2020 wurde das Zentrum als Gemeinschaftsinitiative von Hochschulen und Forschungseinrichtungen aus Berlin und Brandenburg gegründet. Federführend ist dabei die TU Berlin. Mittlerweile sind neun Hochschulen und mehr als 30 außeruniversitäre Forschungseinrichtungen Teil des Netzwerks.
„Zakia Soomauroos Forschungsprojekt zur gendergerechten Mobilität ist ein zentrales Element unseres Zentrums. Klimaschutz muss auf den Straßen ermöglicht werden – dazu braucht es inklusive Mobilität“, sagt Creutzig. Eben solche Forschungsprojekte würden den einmaligen Charakter des Climate Change Center ausmachen, sagt der Wissenschaftler.
Denn:
Nicht nur Wissenschaftler:innen, auch Vertreter:innen aus Politik,
Wirtschaft, Kunst, Medien und der Zivilgesellschaft arbeiten im Zentrum
an klimafreundlichen Lösungen.
In einem sogenannten Expert:innenrat
treffen sich die Vertreter:innen regelmäßig, bringen ihre Perspektiven
ein, um die Strategie des Zentrums mitzugestalten. Teil des Rats sind
unter anderem die Berliner Wissenschaftssenatorin Ulrike Gote, der
freischaffende Berliner Künstler Tino Sehgal, Carla Reetsma von Fridays for Future
und Andreas Gehlhaar, Leiter für Nachhaltigkeit und Umwelt der
Deutschen Bahn AG. „Wir haben einen Raum geschaffen, in dem sie sich
austauschen können“, sagt Creutzig.
Bürger:innen werden aktiv in die Forschung einbezogen
Entscheidend ist vor allem, dass die Bürger:innen aktiv in der Klimaforschung dabei sind. Zakia Soomauro schätzt das sehr. Sie möchte für ihr Forschungsprojekt mit den Menschen auf der Straße über deren Bedürfnisse und Erfahrungen im Verkehr sprechen, mit ihnen gemeinsam Lösungen für eine Mobilitätswende erarbeiten. Dafür will sie in den kommenden Wochen und Monaten verschiedene Interviews in Bibliotheken, Kitas und auf Spielplätzen in Berlin führen.
„Was bedeutet es, mit einem Kinderwagen oder mit einem Rollstuhl unterwegs zu sein? Was wünschen sich die Menschen? Soziale Aspekte werden im Verkehr bislang kaum berücksichtigt. Es ist alles immer sehr technisch. Das möchten wir ändern“, sagt Soomauroo. „Wir möchten den Menschen zuhören.“
Lokale Lösungsstrategien sollen global anwendbar sein
Bislang gebe es nur wenige belastbare Daten zu den Mobilitätsmustern und -bedürfnissen der verschiedenen Gruppen, vor allem von Frauen. „Wir möchten diese geschlechtsspezifische Datenlücke schließen.“ Nur so könne man anschließend Empfehlungen für ein gerechteres, inklusives Verkehrssystem für die Politik ableiten.
„Letztendlich sollen die lokalen Lösungsstrategien und Maßnahmen, die wir hier für Berlin und Brandenburg erarbeiten, auch global anwendbar sein“, sagt Felix Creutzig. In dem Projekt Urban Timber untersuchen Wissenschaftler:innen der TU-Berlin, wie Holz als zentraler Baustoff eingesetzt werden kann – für ein klimaneutrales Bauen der Zukunft. Auch die Wärmewende wird gemeinsam mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung Berlin genaustens analysiert. Und dann gibt es noch verschiedene Formate für Bürgerbeteiligungen, aber auch Kunstprojekte, die eine nachhaltige Transformation der Städte zugänglich und erfahrbar machen sollen.
Internationales Interesse ist groß
Bis Ende 2023 gibt es unter anderem das sogenannte Sounding Board, eine Verkehrsplanung gemeinsam mit Bürger:innen: Jugendliche, Senioren, Studierende – sie alle diskutieren, kommentieren und priorisieren gemeinsam verschiedene Transformationsszenarien. „Sie werden so selbst bestärkt, sich auch lösungsorientiert mit den Problemen ihrer Lebenswelt auseinanderzusetzen“, sagt Creutzig.
Er ist sichtlich stolz auf die Entwicklung des Wissenszentrums. Internationale Wissenschaftler:innen zeigen großes Interesse wie auch die Berliner Politik. Im neuen Koalitionsvertrag der Berliner Regierung wird das Climate Change Center explizit erwähnt. Ein nächster wichtiger Schritt: Mit Unterstützung der Einstein Stiftung Berlin soll ein weiteres Forschungszentrum hinzukommen: das Einstein Center Climate Change, mit einem Schwerpunkt auf Politikberatung. Der Antrag auf die Förderung durch die Einstein Stiftung wird gerade fertiggestellt und soll im Juni eingereicht werden.
Creutzig und Soomaroo sind überzeugt, dass es mit dem CCC-Zentrum weitergehen wird, weitergehen muss. „Wir müssen regionale Klimaschutzmaßnahmen voranbringen“, sagt Creutzig. „Und man sieht schon jetzt: Wir können viel bewegen, wenn wir gesamtgesellschaftlich arbeiten.“
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