National Geographic hier Von Jens Voss 27. Apr. 2023
Straßenverkehr versus Klimaschutz: Brauchen wir immer mehr Autobahnen?
Der Straßenverkehr zählt zu den größten Klimasündern. Trotzdem will die Bundesregierung den Autobahnausbau vorantreiben. Wie lässt sich das mit den Klimazielen vereinbaren?
Der Weltklimarat IPCC mahnt in aller Deutlichkeit: Der Treibhausgasausstoß muss rapide sinken. Andernfalls drohen dramatische Zukunftsszenarien: fast drei Grad Erderwärmung und ein rasant steigender Meeresspiegel bis zum Jahr 2100. Noch hat es die Menschheit selbst in der Hand. Viele Länder haben sich Klimaziele gesetzt. Die USA etwa wollen bis 2050 klimaneutral sein, China bis 2060 und Indien bis 2070.
Deutschland will vorangehen. Das Klimaschutzgesetz verpflichtet das Land, bis 2045 CO2-neutral zu sein. Doch zum wiederholten Mal nach 2020 hat Deutschland seine Klimaziele auch im vergangenen Jahr verfehlt. Die Industrie hat ihre Emissionen zwar deutlich reduziert. Auch der Energiebereich konnte das vorgeschriebene CO2-Reduktionsziel knapp einhalten. Doch der Gebäudesektor und vor allem der Verkehrsbereich hinken den Vorgaben deutlich hinterher.
„Der Verkehr ist der einzige Sektor, der gleichzeitig sein Ziel verfehlt und einen Emissionsanstieg gegenüber dem Vorjahr verzeichnet“, erklärt das Umweltbundesamt (UBA). Nach Angaben der Behörde hat der Verkehr im vergangenen Jahr rund 148 Millionen Tonnen an Treibhausgasen ausgestoßen. Das seien fast zehn Millionen Tonnen mehr als die zulässige Jahresemissionen von 138,8 Millionen Tonnen.
Zehn Millionen Tonnen – das entspricht in etwa dem jährlichen CO2-Fußabdruck von einer Million Menschen in Deutschland. Und auch diese Menge ist Experten zufolge viel zu viel. Keine Frage: Der Verkehr zählt zu den größten Klimasündern. Laut UBA entstehen 98 Prozent der Verkehrsemissionen auf den Straßen. Trotzdem will die Bundesregierung jetzt den Autobahnausbau beschleunigen. Darauf hat sich die Ampelkoalition Ende März nach zähen Verhandlungen geeinigt.
Insgesamt 144 Autobahnprojekte will die Bundesregierung forcieren. Das entspricht fast 1.000 Kilometern. Ziel sind weniger Staus und flüssiger Verkehr. Entlang der Straßenränder sollen Solaranlagen aufgestellt werden. Aber auch der Schienenverkehr soll ausgebaut werden. Das Geld dafür will der Bund aus der Lkw-Maut nehmen, die deshalb ab kommendem Jahr erhöht werden soll.
Mehr Tempo beim Straßenbau: Wie lässt sich das mit dem Klimazielen vereinbaren? Nach Ansicht der Umweltverbände überhaupt nicht. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) spricht von einem fatalen Signal in Zeiten der Klimakrise. „Autobahnausbau ist mit erheblicher Naturzerstörung und mehr CO2-Emissionen durch den Bau und Mehrverkehr verbunden“, kritisiert der BUND-Vorsitzende Olaf Brandt.
Der Bau neuer Autobahnen und Bundesstraßen zerstöre Wälder, Moore und Wiesen, schade dem Klima, belastet das Grundwasser und bringe Lärm und Abgase in bislang unberührte Natur. Brandt: „Die Kosten für neue Straßen gehen in die Milliarden, während marode Straßen zerbröseln, weil das Geld für die Sanierung fehlt.“
„Die Klimaziele werden so nicht erreicht“
Gegenwind kommt auch aus Forschung und Wissenschaft. „Die Klimaziele werden so nicht erreicht“, sagt Energie- und Verkehrsexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. „Da nützt es auch nichts, neben neuen Autobahnen Photovoltaikanlagen zu bauen. Ein Salatblatt im Burger ist keine Ernährungsumstellung.“
Auf Kritik stoßen auch die Pläne der Regierung zum Umbau des Klimaschutzgesetzes. Statt die bislang jährlichen Emissionsvorgaben in den einzelnen Sektoren wie Energie, Industrie, Verkehr und Gebäude einzuhalten, soll es künftig möglich sein, verpasste Ziele eines bestimmten Sektors in einem anderen Bereich auszugleichen. „Die Aufweichung der Sektorziele durch die geplante Anpassung des Klimaschutzgesetzes ist problematisch, da sie den Verkehrssektor aus der Verantwortung entlässt“, sagt Kemfert.
Der Expertenrat für Klimafragen der Bundesregierung sieht das genauso: Die Aufweichung der Ressortverantwortung erhöhe das Risiko für künftige Zielverfehlungen, warnt die stellvertretende Vorsitzende Brigitte Knopf.
Unterstützung bekommt der Koalitionsbeschluss vom Verband der Automobilindustrie (VDA). „Den Ausbau von Autobahnen mit dem verpflichtenden Aufbau von Solar- und Windkraftanlagen zu verbinden, kann dabei helfen, die Versorgung mit Erneuerbaren Energien sowie die generelle Energieversorgungssicherheit – und somit eine Grundlage für die Transformation – schneller voranzubringen“, betont VDA-Präsidentin Hildegard Müller.
Auch der ADAC begrüßt die Ampelpläne. „Wir brauchen den Ausbau der Schiene und wir brauchen auch Investitionen in die Straße an Engpässen und zur Sanierung. Und wir brauchen vor allem mehr Tempo“, sagt ADAC-Verkehrspräsident Gerhard Hillebrand. Die Aufhebung der Sektorenziele dürfe aber nicht dazu führen, in den Anstrengungen für Fortschritte beim Klimaschutz im Verkehr nachzulassen. „Der Verkehrssektor muss dekarbonisiert werden, und es muss weiter daran gearbeitet werden, dass der Hochlauf der Elektromobilität Erfolg hat sowie Alternativen zum Pkw ausgebaut und attraktiver werden.“
Der BUND indes hat die Bundesregierung „auf wirksamen Klimaschutz im Verkehrs- und Gebäudebereich“ verklagt. Statt weiterer Autobahnen fordert die Umweltorganisation unter anderem den Ausbau von öffentlichem Verkehr und Radwegen, die Abschaffung des Dienstwagenprivilegs, eine Reform der Kfz-Steuer und ein Tempolimit.
Tatsächlich hat das Umweltbundesamt vor kurzem errechnet, dass man bereits mit Tempo 120 auf deutschen Autobahnen 6,7 Millionen Tonnen CO2 einsparen könnte – mehr als doppelt so viel wie bislang angenommen. Nicht nur das: Ein Tempolimit würde auch zu deutlich weniger Unfällen und Staus führen. Und Autofahrer würden einiges an Sprit und damit viel Geld sparen.
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