Mittwoch, 13. Oktober 2021

Autofreie Innenstädte sorgen nicht nur in Wangen im Allgäu für Streit

Schwäbische Zeitung von Ulrich Mendelin mailto:u.mendelin@schwaebische.de  hier
Auszüge in blau

......Anlass für den Ärger des Metzgers ist ein verunglücktes Experiment der Stadt Wangen im Allgäu. Oberbürgermeister Michael Lang (parteilos) wollte den Autoverkehr für vier Wochenenden im Juli und August aus der historischen Altstadt verbannen, jeweils von Freitag, 11 Uhr bis Montag, 6 Uhr.
Mit dem Vorstoß ging er noch über einen Beschluss des Gemeinderates hinaus, der auf Betreiben der Grünen zustande gekommen war und der Sperrungen nur außerhalb der Ladenöffnungszeiten vorgesehen hatte. Ziel war es, den Einkaufsbummel in der Stadt attraktiver zu machen, und dem Einzelhandel nach den schwierigen Corona-Monaten einen Schub zu verleihen.
Der Schuss ging nach hinten los. Knapp 50 Händler unterzeichneten einen wütenden Brief an Lang. Sie seien „fassungslos und schockiert über völlig überflüssige Testwochenenden zur autofreien Altstadt“, schrieben Metzger Joos und die anderen Unterzeichner. Von einer „diktatorischen Maßnahme“ war die Rede, weil aus dem Rathaus vorab keinerlei Informationen gekommen waren........

In Ravensburg wurde der zentral gelegene Gespinstmarkt nach einer Sanierung zur autofreien Zone erklärt – die Folgen für den Altstadtverkehr sollen nach einiger Zeit evaluiert werden. Außerdem wird ein großer, zentrumsnah gelegener Parkplatz künftig kostenpflichtig.....

In Friedrichshafen stand der Gemeinderat vor der Frage, wie es mit der zentralen Friedrichstraße weitergehen soll, nachdem die Umgehungsstraße B31-neu jüngst freigegeben worden ist. Gesperrt wird die bisherige Hauptschlagader der Stadt zwischen Bahnhof und Uferpark zwar erst einmal nicht. Aber der Verkehr wird auf Tempo 20 gedrosselt. Ein Konzept, das ausdrücklich als Provisorium angelegt ist.

Aus Sicht von Anne Klein-Hitpaß, Leiterin des Forschungsbereichs Mobilität beim Deutschen Institut für Urbanistik in Berlin, überwiegen die positiven Folgen eines reduzierten Autoverkehrs in Innenstädten stark, sowohl für das Klima, für die Lebensqualität, aber auch für Handel und Gewerbe. Die Verkehrsforscherin berichtet von Befragungen, bei denen Einzelhändler die Zahl ihrer Kunden, die mit dem Auto kommen, „stark überschätzt“ hätten. „Wo die Aufenthaltsqualität steigt, wird auch mehr eingekauft“, sagt Klein-Hitpaß.

In Baden-Württemberg ist das Zurückdrängen des Individualverkehrs in den Innenstädten ausdrücklich ein politisches Ziel, festgehalten im grün-schwarzen Koalitionsvertrag. Ein eigenes Förderprogramm des Landes gebe es dafür zwar nicht, sagt Verkehrs-Staatssekretärin Elke Zimmer (Grüne), wohl aber vielfältige Angebote.
„Dazu gehört Unterstützung zum Umbau von Straßen, zum Rückbau von Parkplätzen, zur Errichtung von Radabstellanlagen und zur ÖPNV-Förderung. Instrumente wie der Mobilitätspass und höhere Parkgebühren können Anreize setzen, um das Auto stehen zu lassen und stattdessen andere Mobilitätsformen zu nutzen. Über Car-Sharing wird das Zweit- oder Drittauto unnötig – oftmals sogar der Autobesitz insgesamt.“.....

Alle, Autofahrer genauso wie Fußgänger, sollen ihren Platz in engen Altstadtgassen haben – diesen Ansatz hält Matthias Lieb für völlig verfehlt. „Das Auto muss langsam aus der Stadt verdrängt werden“, fordert der baden-württembergische Landesvorsitzende des ökologisch orientierten Verkehrsclubs Deutschland (VCD). „Wir hatten 50 bis 60 Jahre autozentrische Verkehrsplanung“, sagt Lieb. „Das kann ich nur ändern, indem ich das dominierende Verkehrsmittel einschränke.“ Leider fehle es bei der Umsetzung in den Kommunen „oftmals an der notwendigen Stringenz.“

...Unerschwinglich ist das Parken in Sigmaringen nicht: Die erste halbe Stunde ist frei, ein ganzer Tag kostet zwei Euro. Nur eben nicht direkt vor den Geschäften, sondern im Parkhaus. Das ist von der Fußgängerzone in etwa zwei Minuten zu Fuß zu erreichen. Für SPD-Gemeinderätin Tyrs sind es „absurde Diskussionen“, die sich da abspielen: „Einzelne Händler denken, sie müssen dann ihren Laden dichtmachen.“ 

.......Im kommenden Jahr werden Straßensperrungen und Fahrverbote in vielen Kommunalparlamenten wieder auf der Tagesordnung stehen: In Wangen, in Sigmaringen – und auch in Berlin.....

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