UN-Klimakonferenz in Zeit online hier
Von Andrea Böhm, Petra Pinzler, Heinrich Wefing und Christiane Grefe
Bei der UN-Klimakonferenz in Glasgow droht die Politik an den Klimazielen zu scheitern. Können die Gerichte eine Wende bringen?
An diesem Sonntag beginnt in Glasgow die 26. UN-Klimakonferenz. Gastgeber Boris Johnson hat sie zum "Wendepunkt für die Menschheit" erklärt. Was die Vertragsstaaten vor sechs Jahren in Paris versprochen haben, die Erderwärmung, wenn irgend möglich, bis 2100 auf 1,5 Grad zu begrenzen, soll nun in Schottland endlich konkretisiert werden: durch ambitioniertere Klimaziele aller Vertragsstaaten, Regelung des Emissionshandels, genug Geld für eine grüne Transformation in den ärmeren Ländern.
Bislang deutet wenig auf einen "Wendepunkt für die Menschheit". Die Emissionen steigen nach einem kurzen Tief während der Corona-Pandemie wieder deutlich an. Regierungen von Industrie- und Schwellenländern verkünden weitreichende Klimaziele – und unterlaufen sie dann. Kurz vor Konferenzbeginn hat das UN-Umweltprogramm die Gräben zwischen Worten und Taten dokumentiert: Wind- und Solarenergie werden zwar ausgebaut, aber China will noch mehr Kohlekraftwerke im eigenen Land errichten, Australien seine Kohleförderung aufrechterhalten, Deutschland bleibt nicht nur weltweit größter Produzent von Braunkohle, sondern finanziert weiterhin Öl- und Gasprojekte in aller Welt. Die Prognosen für 2100 liegen derzeit bei weit über zwei Grad.
Mit Klimakonferenzen allein, mit Selbstverpflichtungen, welche die Staaten dann nicht einhalten, wird man das 1,5-Grad-Ziel kaum erreichen. Nötig ist ein Instrument des Zwangs. Wenn Regierungen und Parlamente regelmäßig ignorieren, was sie beschlossen haben, und gegen nationale Gesetze und internationale Verpflichtungen verstoßen, gibt es nur eines: die Gerichte.
Spätestens seit dem spektakulären Klima-Urteil des Bundesverfassungsgerichts Ende März ist auch in Deutschland klar: Die höchsten Richterinnen und Richter schalten sich in den Kampf gegen die Erderwärmung ein. Nicht nur nebenbei und im Detail, sondern fundamental und mit ziemlicher Wucht. Weltweit rollt eine Welle von Klimaklagen auf die Gerichte zu: gegen Unternehmen, gegen Staaten, gegen Politiker. Manche zielen auf die Einhaltung geltender Klimaschutzverträge, manche auf Schadensersatz von Umweltsündern, manche sollen Politiker und Firmenbosse gleich hinter Gitter bringen. Alle sollen Druck machen, dass die Klimakatastrophe energischer bekämpft wird........
Noch einen Schritt weiter gehen will der britische Jurist Philippe Sands. "Es ist eine Sache, ob ein Konzern ein paar Hundert Millionen Euro Schadensersatz zahlen muss. Aber es ist etwas ganz anderes, wenn der Vorstandschef sich Sorgen machen muss, der Staatsanwalt könnte morgens an die Tür klopfen." Deshalb hat Sands im Auftrag der britischen NGO Stop Ecocide gemeinsam mit elf weiteren Juristinnen und Juristen vorgeschlagen, Ökozid unter Strafe zu stellen, als neuen Tatbestand des internationalen Strafrechts, parallel zu Genozid und Verbrechen gegen die Menschlichkeit......
"Auch Richterinnen und Richter werden vom öffentlichen Diskurs beeinflusst, sie sind Menschen, auch sie haben Kinder. Und deshalb, glaube ich trotz aller Hochs und Tiefs, ist der Wandel, den wir anstreben, unumkehrbar." Bloß gilt auch hier: Die Zeit ist knapp – und neben zustimmenden Worten von Politikern braucht Sands vor allem feste Zusagen von Regierungen. "Eine bedeutende Rolle", sagt er, "wird Deutschland spielen." Er hoffe sehr, dass sich die neue Bundesregierung für seinen Vorschlag einsetzen werde.
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