Freitag, 29. Oktober 2021

„Wie der Weg aussieht, das wissen wir“

Klimaschutz in der Süddeutschen Zeitung  hier  Von Michael Bauchmüller
Auszüge in blau

Industrie, Verkehr, Gebäude, Konsum – überall sollen die Emissionen rapide sinken. Wie soll das gehen? Ein Gespräch mit Dirk Messner, dem Präsidenten des Umweltbundesamtes.

Ein klimaneutrales Deutschland bis 2045, das lässt sich leicht fordern. Doch wie soll das binnen 24 Jahren funktionieren, in der Industrie, im Verkehr, in Kraftwerken, Ställen und Heizungskellern? Möglich ist das, sagt Dirk Messner, der Präsident des Umweltbundesamtes – mit einer Mischung aus Innovationen, Anreizen, Verboten. „Wir müssen überall ziemlich weit an die Grenze dessen gehen, was nötig und möglich ist.“

SZ: Herr Messner, in Deutschland wird so viel über Klimaschutz gesprochen wie eigentlich noch nie. Ist da ein Land im Aufbruch?

Dirk Messner: Das würde ich so beschreiben, ja. Aber nicht nur Deutschland ist im Aufbruch, sondern die ganze Welt. Auch China, die USA und viele andere richten sich auf Klimaneutralität aus. Die Weltwirtschaft scheint sich in die Richtung zu bewegen. Wir sind da in Deutschland und Europa nicht auf einem Sonderweg. Aber es ist auch die Modernisierungsagenda für unser Land. Und da haben wir unglaubliche technologische Möglichkeiten. Wenn nicht wir, wer dann?

Klingt gut. Gleichzeitig ist aber Deutschland erst durch fossile Energien zum Industrieland geworden. Jetzt soll es darauf verzichten und dennoch Industrieland bleiben. Wie soll das gehen?

Die meisten Technologien haben wir ja vor Augen. Der Energiesektor steht im Zentrum, der muss erneuerbar werden. Wie das geht, wissen wir. Wir wissen, wie wir Prozesse in der Industrie elektrifizieren. Und dann gibt es einige Sektoren, da ist es komplizierter, etwa bei Stahl und Zement, in Teilen auch in der Chemie. Da ist Wasserstoff als Lösung ins Spiel gekommen. Noch ist da einiges zu tun. Aber wie der Weg aussieht, das wissen wir. Jetzt müssen wir ihn gehen.

Das klingt fast, als könnten Ingenieurinnen und Tüftler das Land am Schopf aus der Klimakrise ziehen. Geht das denn so einfach?

Natürlich sind Innovationen ein Schlüssel. Wir müssen alle Grundstrukturen der Wirtschaft defossilisieren: Wir brauchen klimaneutrale Energie- und Mobilitätssysteme, wir müssen unsere Städte neu organisieren. Wir wollen die Landwirtschaft neu denken.

Und da uns die Zeit wegläuft, um global noch unter zwei Grad Erwärmung zu bleiben, muss in allen Sektoren gleichzeitig etwas passieren, das kann einen wahren Investitionsschub auslösen.

Aber mit Innovationen allein geht es auch nicht, da braucht es noch mehr.

Nämlich?

Wir brauchen auch Verhaltensänderungen, soziale Innovationen. Die Art und Weise, wie wir uns ernähren, macht zum Beispiel einen Unterschied. Wir müssen nicht alles selbst besitzen, sondern können mehr teilen: Nicht jeder braucht ein oder zwei eigene Autos. Und es wird übrigens auch Verbote geben müssen.

Die sind aber nicht besonders populär.

Mag ja sein. Aber wir hätten das Ozonloch nicht ohne ein FCKW-Verbot in den Griff bekommen. Es ist auch ganz normal und vernünftig, dass bestimmte chemische Produkte verboten sind, weil sie Gefahren bergen. Und wir werden auch im Klimaschutz Dinge verbieten müssen. Für die Kohle haben wir ein Enddatum schon festgelegt, und für den Verbrenner müssen wir das auch machen.

Welcher Zeitpunkt schwebt Ihnen da vor?

Das lässt sich leicht mathematisch herleiten. Wenn wir eine Chance haben wollen, dass auch der Verkehr 2045 klimaneutral funktioniert, dürfen spätestens um 2035 keine neuen Verbrenner mehr zugelassen werden. Aber auch um Preissignale kommen wir nicht herum, um die Marktdynamiken Richtung Klimaneutralität zu mobilisieren............

Aber nicht überall verbinden Menschen mit Klimaschutz Komfort. Viele tun sich etwa schwer mit dem Gedanken, künftig weniger Fleisch zu essen.

Das ist ein schwieriges Thema, keine Frage. Begeisterung für Innovationen lässt sich einfacher entfachen als Begeisterung für veränderte Lebensstile.

Aber wenn wir aufgeklärte Bürgerinnen und Bürger sein wollen, müssen wir auch Fakten zur Kenntnis nehmen.

Etwa, dass wir den Fleischkonsum und die Haltung von Tieren vermindern müssen, wenn wir das Klima schützen wollen. Viele bewegen sich ja auch in diese Richtung, auch weil damit eine gesündere Ernährung verbunden ist, andere empfinden das als Einschnitt. Aber man muss darüber reden können, damit sich etwas verändert.

Für diese Aufgabe bleiben nur 24 Jahre Zeit, bis 2045. Geht dafür nicht alles viel zu langsam?

Als Gesellschaftswissenschaftler kann ich mir gut erklären, warum das so lange dauert. Schon John Maynard Keynes hat gesagt: Es ist leicht, neue Konzepte und Ideen zu entwickeln, aber schwer, die alten zu vergessen. Wir müssen uns aber klarer machen, wofür das alles geschieht – nämlich zur Gefahrenabwehr:

Wir haben ja im Ahrtal im Sommer einen Vorgeschmack bekommen, welche Verheerungen uns blühen.

Klar ist: Wir müssen überall ziemlich weit an die Grenze dessen gehen, was nötig und möglich ist. Im Vorbeigehen, ohne dass es jemand merkt, wird das nicht gelingen.

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