Die Zeit hier von Johannes Schneider, Auszüge in blau
Mit dem Status "bürgerlich" ist es so eine Sache. In einer politischen Landschaft, wo er als (Selbst-)Beschreibung eher konservativer und teils rechter Kräfte dient, kann man ihn schnell verwirken, wenn man progressive, gar linke Ansichten vertritt. Da kann man ansonsten noch so großer Freund der schönen Künste, Inhaber tadelloser Umgangsformen und grundständiger Verfechter der freien, gleichen und geheimen Wahl sein. Man wird zum Beispiel nie Teil einer bürgerlichen Koalition, wenn man nicht wenigstens ein bisschen rechts ist. ...
Auf der anderen Seite sind
ein Siegelring und eine schöne Krawatte genug, damit einen das Verdikt
"Nazi" auch dann nicht trifft, wenn es inhaltlich längst angebracht
wäre.
Das wäre eine hübsche These über das Missverständnis der
mitteleuropäischen Nachkriegsgesellschaften mit dem Bürgerlichen: Die
extreme Verbindung aus preußischem Uniformfetisch, Geschrei und
Herrenmenschentum im Nationalsozialismus hat dazu geführt, dass bis
heute zivile Kleidung, eine angenehme Stimmlage und ein vordergründig
dezentes Auftreten reichen, um erstaunlich lange der eigenen Enttarnung
als filmreifer Bösewicht entgehen zu können. Zugleich überträgt sich
hier die fatale Unschärfe des Bürgerlichen auf seine Kritik. Wo sie
immer am jeweiligen Grenzfall festgemacht wird,
bleibt stets ein Graubereich, in dem sich etwas weniger krasse
Populisten und elitäre Günstlingswirtschaftler trefflich tummeln können.
Fragen Sie mal den just zurückgetretenen österreichischen
Bundeskanzler.......
Der Begriff dämonisiert Linke und Progressive
....... Und den Konservatismus kann man fragen, ob er nicht ganz neue Allianzen eingehen muss, um nicht zur leeren Chiffre zu verkommen – mit jungen Klimaschützerinnen als Bewahrerinnen heimischer Kulturlandschaften etwa oder mit radikalen Künstlern als Bewahrer einer kulturellen Landschaft, die Radikalität erlaubt.
"Bürgerlich" aber ist – ähnlich wie Heimat – ein Wort, dessen Inhaltsleere sich mit Emotionen, Geraune und Ressentiments füllen lässt. Bürgerlich ist viel und nichts und im Zweifel ist es immer das, was derjenige beansprucht, der am lautesten schreit. Paradoxerweise klingen Beschwörungen des Bürgerlichen damit oft wie das Gegenteil dessen, was man sich so gemeinhin unter bürgerlich vorstellt, nämlich stark nach Emporkömmling. Fast ließe sich Bürgerlichkeit wie der Fight Club definieren. Die erste Regel lautet: Man spricht nicht drüber. Und im Umkehrschluss: Wer darüber zu laut spricht, gehört gar nicht dazu.
Dabei könnte man es nun getrost belassen, würde das Reden über Bürgerlichkeit nicht eben von Rechten und Rechteren als Teil eines Verblendungszusammenhangs gebraucht, in dem die politische Linke dämonisiert und egoistisches Handeln zu Lasten eines größeren öffentlichen Interesses camoufliert wird. Doch nicht nur die Linke könnte der wächserne Antagonist "bürgerlich" bald unangenehm betreffen, gerade in Deutschland: Während die Hoffnung auf eine (politisch diffuse) Ampel-Koalition momentan mit allerlei positiv konnotierten Begriffen wie Bewegung, Fortschritt, Zukunft oder auch – Helmut Schmidt möge verzeihen – Visionen einhergeht, könnte die Realität ihrer Machtbalance bald eine sehr technokratische sein, die sich bis in die Sprache zieht. Wo aber dann allseits von "Vernunft" und "Pragmatismus" die Rede ist, mit der den Koalitionspartnern entgegenzukommen sei, um "Handlungsfähigkeit" sicherzustellen, bieten sich mannigfaltige Ansatzpunkte für eine inhaltlich unpräzise und wenig konstruktive, aber Seriosität verheißende, also im besten Sinne "bürgerliche" Kritik.
Indem etwa die Union bald das Bürgerlich-Konservative als warmherzige Wonnezone und seriösen Sicherheitsort gegenüber der Zukunftstechnokratie der Ampel beschwört, hat sie blitzschnell zurück, was Linke aus dem Papierwust ihrer Pläne und Konzepte selten zusammenzuschreiben vermögen: eine gut klingende Erzählung der eigenen Stärke und Stärken. .....
Nur hier ordnen sich schöne Sakkos, sonore Stimmlagen und Warnungen vor dem Sozialismus sofort zu dem allgemeinen Eindruck: Okay, mit denen wird es schon ganz gut werden für uns "normale Leute".
Zugleich aber findet echte Interessenvertretung im Sinne der Allgemeinheit nicht statt oder nur als Beifang einer auf Machterlangung und Machterhaltung ausgerichteten Politik. Die ist lange nicht tot: Dass momentan verschiedene mutmaßlich bürgerliche Politiker weltweit in der Defensive sind, bedeutet nur, dass sie etwas zu ruchlos das Gebrauchtwagenhändlerhafte nach außen gekehrt haben, wobei das natürlich eine Beleidigung für alle Gebrauchtwagenhändler ist. Solange sich in den Verteilungskämpfen der Zukunft niedersten Egoismen nachkommen lässt, wird das versucht werden. Und die Kategorie des Bürgerlichen und vergleichbare Formationen in anderen Kultur- und Sprachräumen helfen, dass das Schmierige sauberer, nämlich doch irgendwie werteorientiert aussieht.
... Eigentlich ist das längst überfällig, dass sich Menschen mit Anstand, Weitblick und Gemeinsinn unabhängig ihrer politischen Orientierung als "bürgerlich" definieren. ......
..."Bürgerlich" ist eben nur bei denen moralisch, deren einzige Moral darin besteht, bürgerlich zu sein.
Es kann also beim Versuch, den Begriff rechtsopportunistischen Kräften zu entreißen, nur darum gehen, ihn umfassend zu diskreditieren, als bestenfalls wertlose, schlimmstenfalls gefährliche politische Kategorie. Das ist ein bisschen schade, weil er natürlich auch viele Dinge beschreibt, die einem als zutiefst bürgerlichem Menschen lieb und teuer sind, und zwar nicht nur Reihenhaus und Klavierunterricht: eine Zivilität im Umgang, eine lebhafte Debattenkultur, eine gewisse Maßfülle und Umsicht auch im eigenen guten Leben.
Andererseits wäre es auch wieder eine sehr linke Form der Selbstanklage, würde man sich nun die Schuld an der Entwertung des Bürgerlichen geben. Die tragen schließlich mächtige Männer, deren Kleidung besser auf dem Körper sitzt als die Seele im Leib.
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