Euronews hier Von Liam Gilliver Zuerst veröffentlicht am 03/12/2025
Zehn Jahre Klimaklagen: Neue Regeln für GroßverschmutzerGerichte nehmen Staaten und Konzerne in die Pflicht
In den vergangenen zehn Jahren gab es eine Welle von Klimaklagen. Sie hat weltweit Regierungen und Großunternehmen zum Handeln gezwungen.
Weltweit müssen Regierungen nach einem „Schub“ an Klimaklagen klare Regeln für ihr Vorgehen festlegen.
Ein neuer Bericht des Climate Litigation Network zeigt, wie zehn Jahre Gerichtsverfahren „verbindliche Rechtspflichten“ für politische Führungspersönlichkeiten und große Verschmutzer etabliert haben, um Bürgerinnen und Bürger vor Klimaschäden zu schützen.
Viele dieser Verfahren ließ der bahnbrechende Urgenda-Fall erst entstehen. Er war weltweit der erste, in dem ein Gericht eine Regierung zu schärferem Klimaschutz verpflichtete.
Das Urteil folgte auf eine Klage der gemeinnützigen Urgenda-Stiftung, der sich fast eintausend Bürgerinnen und Bürger anschlossen. Sie forderten die niederländischen Gerichte auf, die Regierung an ihre Zusagen zur Emissionsminderung, zum Schutz der Bevölkerung und zur Wahrung der Menschenrechte zu binden.
Klimaklagen stellen „Handlungsmacht und Vertrauen“ wieder her
Der Bericht „Das Fundament für unsere gemeinsame Zukunft: Wie zehn Jahre Klimaklagen eine Rechtsarchitektur für Klimaschutz geschaffen haben“ argumentiert, der Aufschwung der Klimaklagen sei eine direkte Antwort auf das Versagen von Politik und Konzernen, die „prägende Herausforderung unserer Zeit“ anzugehen.
Weltweit wünschen sich fast neun von zehn Menschen (89 Prozent) mehr Einsatz ihrer Regierungen gegen den Klimawandel . Nur jede fünfte Person glaubt jedoch, dass ihre Regierung ihre Zusagen einhält.
„Vor diesem Hintergrund sind Klimaklagen
zu einem Instrument geworden,
Handlungsmacht und Vertrauen zurückzugewinnen“
zu einem Instrument geworden,
Handlungsmacht und Vertrauen zurückzugewinnen“
heißt es in dem Bericht.
„Klagen ermöglichen es Bürgerinnen und Bürgern,
über unabhängige Gerichte Rechenschaft einzufordern.
Diese versprechen, ihre Lage nach dem Recht zu beurteilen
und nicht nach kurzfristigen politischen Zwängen.“
über unabhängige Gerichte Rechenschaft einzufordern.
Diese versprechen, ihre Lage nach dem Recht zu beurteilen
und nicht nach kurzfristigen politischen Zwängen.“
Abwehrargumente im Klimarecht
Eine Regierung oder ein mächtiges Unternehmen erfolgreich zu verklagen, schien lange unmöglich. Doch alte Abwehrargumente geraten ins Wanken. Seit den neunziger Jahren stützen sich Konzerne auf ein Trio zentraler Argumente, um sich vor Gericht der Rechenschaft zu entziehen.
Dazu zählen der
- Einwand „Das ist Sache der Politik“, wonach Klimapolitik zu komplex für die Gerichte sei.
- Der Einwand „Tropfen auf den heißen Stein“, der behauptet, ein einzelnes Land oder Unternehmen sei global zu unbedeutend, um einklagbare Pflichten zu begründen.
- Und der Einwand „Ziele nach Belieben“, demzufolge Regierungen und Unternehmen Zeitpunkt und Umfang ihrer Emissionsminderungen frei bestimmen könnten.
Von Fall zu Fall hat die Schlagkraft dieser Einwände nachgelassen. In Ländern wie Brasilien, Deutschland, Irland, den Niederlanden und Südkorea führte das zu schärferen Klimazielen und geänderten Gesetzen.
So entstanden rechtliche Grundlagen, die auch Gemeinden stärken. Sie können nun einst unantastbare Fossilkonzerne wie Shell und TotalEnergies angreifen.
Klimawndel vor Gericht
Der Bericht beschreibt mehrere erfolgreiche Klimaklagen, die dem Urgenda-Fall folgten.
- 2015 reichte Asghar Leghair eine Klage gegen die pakistanische Regierung ein. Er verlangte mehr Schutz des Landes vor immer gravierenden Klimafolgen. Der High Court von Lahore gab Leghair Recht, ordnete die Einrichtung einer Kommission für Klimawandel an und verpflichtete Behörden zur Umsetzung von Klimapolitik.
- In der Schweiz klagten Mitglieder der KlimaSeniorinnen gegen die Untätigkeit der Regierung und sahen darin einen Verstoß gegen ihre Menschenrechte.
Der Fall mündete in ein Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der feststellte, dass die Schweiz ihre menschenrechtlichen Pflichten verletzt, weil sie keinen ausreichenden Reduktionspfad für Treibhausgasemissionen festlegt.
- Selbst gescheiterte Verfahren wie Pabai gegen den Commonwealth of Australia haben landesweit Aufmerksamkeit auf die existenzielle Bedrohung durch den Klimawandel gelenkt und den Bedarf an entschiedenerem Regierungshandeln unterstrichen.
In diesem Verfahren reichten zwei Älteste von den Torres-Strait-Inseln 2021 eine Sammelklage gegen die australische Regierung ein. Grund waren steigende Meeresspiegel, die ihre Gemeinschaft bedrohten.
- 2015 zog der Bergführer und Landwirt Saúl Luciano Lliuya gegen RWE, Deutschlands größten Stromerzeuger, vor Gericht.
Lliuya argumentierte, die Emissionen des Konzerns trügen zum Abschmelzen der Gletscher in Peru bei. RWE solle sich daher an den Kosten für Hochwasserschutz in der Stadt Huaraz beteiligen.
Obwohl der Fall scheiterte, legte das Gericht fest: Verweigert ein großer Emittent „Schutzmaßnahmen“, kann er für Kosten in Höhe seines Emissionsanteils haftbar gemacht werden. Und zwar sogar bevor Schäden eintreten.
In der Summe, so der Bericht, haben solche Verfahren rechtliche Bausteine geschaffen.
Sie definieren, wie Regierungen Emissionen senken müssen, um gefährlichen Klimawandel zu verhindern. Dazu gehört, den Temperaturanstieg auf eins Komma fünf Grad Celsius zu begrenzen, wie im Pariser Abkommen vorgesehen. Und sicherzustellen, dass große Verschmutzer für Klimaschäden zur Verantwortung gezogen werden können.
Ein „rechtlicher Imperativ“
„Was vor zehn Jahren ein moralischer Imperativ war, ist heute ein rechtlicher Imperativ“,
sagt Sarah Mead, Co-Direktorin des Climate Litigation Network.
sagt Sarah Mead, Co-Direktorin des Climate Litigation Network.
„Große Verschmutzer,
also die Regierungen und Unternehmen,
die am stärksten für den Klimawandel verantwortlich sind,
müssen ihren Beitrag leisten im globalen Bemühen,
gefährlichen Klimawandel zu stoppen.“
also die Regierungen und Unternehmen,
die am stärksten für den Klimawandel verantwortlich sind,
müssen ihren Beitrag leisten im globalen Bemühen,
gefährlichen Klimawandel zu stoppen.“
Mead ergänzt,
die größten Emittenten der Welt
dürften nicht „straffrei verschmutzen“
und „auf Kosten unserer Zukunft“ Gewinne machen.
dürften nicht „straffrei verschmutzen“
und „auf Kosten unserer Zukunft“ Gewinne machen.
Die Gerichte holten nun auf.
Dennis van Berkle, Justiziar bei Urgenda, sagt, in den vergangenen zehn Jahren hätten Menschen mit Hilfe der Gerichte ein Rechenschaftsgerüst von unten aufgebaut.
„Noch nie waren die Voraussetzungen besser, mit dem Recht Menschen und den Planeten vor dem Klimawandel zu schützen“, fügt er hinzu.
Spiegel hier 02.12.2025 Von Julia Köppe
Juristin über Klimaprozesse: »Die Gerichte schlagen Wegmarken ein«
Lässt sich Klimaschutz durch Klagen erzwingen? Die Juristin Jannika Jahn erklärt, warum Aktivisten zunehmend den Rechtsweg wählen. Und welche Verfahren erfolgreich sind – und welche nicht.
Die Weltgemeinschaft hat sich verpflichtet, Emissionen zu senken. Doch sie steigen und steigen. Im Jahr 2025 werden sie sehr wahrscheinlich erneut einen Rekordwert erreichen. Um Klimagesetze durchzusetzen, ziehen weltweit immer mehr Menschen vor Gericht.
Jannika Jahn beobachtet die Entwicklung seit Jahren. Eine politische Agenda hat sie nicht, sie ist auch keine Aktivistin, sondern als Forscherin eine unabhängige Beobachterin. Sie hat Jura in London und Köln studiert, in einer Großkanzlei gearbeitet und sich dann für die Wissenschaft entschieden. Sie erforscht die rechtlichen Grundlagen von Klimaklagen. Mittlerweile lebt die 40-Jährige in Frankfurt am Main und pendelt für mehrere Tage in der Woche nach Heidelberg, wo sie am Max-Planck-Institut für Ausländisches Öffentliches Recht und Völkerrecht arbeitet. Zum Interview mit dem SPIEGEL trifft sie sich in einem Café im Frankfurter Nordend.
SPIEGEL: Frau Jahn, eine Viertelstunde von hier zu Fuß ist das Landgericht Frankfurt. Eine Kammer hat dort Ende August entschieden : Apple darf seine Smartwatch nicht als »klimaneutral« bewerben. Wieso?
Jahn: Der Konzern hatte versprochen, die Emissionen auszugleichen, die bei der Herstellung der Uhr entstehen. Dafür sollten in Paraguay Eukalyptusbäume gepflanzt werden, die klimaschädliches CO₂ aus der Atmosphäre binden.
SPIEGEL: Was daran ist eine Mogelpackung?
Jahn: Ein Großteil des Landes, auf dem die Bäume stehen, war nur bis zum Jahr 2029 gepachtet. Das ist aus Sicht des Gerichts zu kurz. Denn Verbraucher dürften davon ausgehen, dass die natürliche CO₂-Senke durch die Bäume mindestens bis zum Jahr 2050 gesichert ist. Bis zu dem Jahr also, ab dem die EU klimaneutral sein will. Die Werbung gilt damit als irreführend und nicht vereinbar mit lauterem Wettbewerb.
Juristin Jahn: »Ein wichtiges Ziel ist Aufmerksamkeit«
SPIEGEL: Nicht nur in Frankfurt beschäftigen sich Gerichte mit Klimafragen. Eine Datenbank der Columbia Law School in New York listet aktuell mehr als 4200 Verfahren auf der ganzen Welt – abgeschlossene und laufende.
Jahn: Die Zahl solcher Klimaklagen hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Verklagt werden einzelne Unternehmen, wie im Fall von Apple, aber auch Staaten.
SPIEGEL: Was sind das für Menschen, die Klimaschutz einklagen?
Jahn: Viele sind jung. In Deutschland etwa hat eine Gruppe junger Menschen die erste Klimaentscheidung vor dem Bundesverfassungsgericht erfochten. Aber auch eine Gruppe Schweizer Seniorinnen ist erfolgreich vor Gericht gezogen. Und in einem anderen Fall klagte ein peruanischer Bauer gegen den Energiekonzern RWE. Unterstützt werden die Klagen meist von Umweltorganisationen.
SPIEGEL: Was erhoffen sich Klimaschützer von solchen Klagen?
Jahn: Ein wichtiges Ziel ist Aufmerksamkeit. Häufig berichten Medien über die Verfahren, dadurch wird das Thema Klimaschutz in die Gesellschaft getragen, gewinnt womöglich weitere Unterstützer, und der politische Druck steigt, strengere Klimagesetze zu erlassen. Hinzu kommt: Einige Klimaklagen haben spektakuläre Erfolge erzielt.
SPIEGEL: Zum Beispiel?
Jahn: Das oberste Gericht in den Niederlanden verurteilte die dortige Regierung im Jahr 2019, die Emissionen deutlich zu senken. Die beschloss daraufhin etwa ein Tempolimit tagsüber von 100 Kilometer pro Stunde auf Autobahnen. Dieses Urteil war sozusagen die Initialzündung für weitere Klimaklagen, weil es gezeigt hatte: Vor Gericht lassen sich Maßnahmen erstreiten.
SPIEGEL: Auch in Deutschland wollten Klimaschützer ein Tempolimit juristisch durchsetzen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Klage jedoch als unzulässig abgelehnt.
Jahn: Das zeigt, wie unterschiedlich die Rechtsprechung von Land zu Land ist.
Ich gehe davon aus, dass das deutsche Verfassungsgericht auch künftig keine Maßnahmen vorgeben wird, sondern nur einfordert, dass Emissionen reduziert werden müssen. Wie genau, obliegt dann der Politik.
Ich gehe davon aus, dass das deutsche Verfassungsgericht auch künftig keine Maßnahmen vorgeben wird, sondern nur einfordert, dass Emissionen reduziert werden müssen. Wie genau, obliegt dann der Politik.
SPIEGEL: Gerichte sollten den Klimaschutz also besser der Politik überlassen?
Jahn: Nein, ihnen kommt eine unabhängige Kontrolle zu. Wird der Klimaschutz vernachlässigt, können Gerichte Nachbesserung einfordern – wie bei der ersten Klimaentscheidung in Deutschland im Jahre 2021.
Damals erklärte das Bundesverfassungsgericht das zu dem Zeitpunkt gültige Klimaschutzgesetz für verfassungswidrig, weil die Emissionen erst nach 2030 drastisch sinken sollten. Laut dem Gericht verletzte das die Freiheitsrechte der jungen Kläger. Die Bundesregierung musste daraufhin konkrete Reduktionsziele für klimaschädliches CO₂ festlegen. Bis zu diesem Urteil war nicht klar, dass so etwas überhaupt möglich ist. Und ich halte die Rolle von Gerichten noch aus einem weiteren Grund für wichtig.
SPIEGEL: Und der wäre?
Jahn: In demokratischen Systemen dominieren häufig kurzfristige Interessen. Politiker sind auf regelmäßige Wiederwahlen angewiesen und orientieren ihre Entscheidungen daher tendenziell an kurzfristig erzielbaren Erfolgen. Diese Tendenz wird dadurch verstärkt, dass in marktwirtschaftlichen Systemen auch Unternehmen in kurzen Abständen bestimmte Gewinnziele erreichen müssen. Bleibt der Erfolg aus, wächst der wirtschaftliche Druck auf die Politik, günstigere Rahmenbedingungen zu schaffen, auch wenn diese langfristigen Zielen zuwiderlaufen.
SPIEGEL: Was kann die Justiz da ausrichten?
Jahn: Gerichte interpretieren die Verfassung – ein Dokument, das über Generationen Gültigkeit hat und grundlegende Prinzipien festhält, die eingehalten werden sollen. Die Gerichte schlagen sozusagen langfristige, verbindliche Wegmarken ein.
SPIEGEL: Besondere Aufmerksamkeit in diesem Jahr bekam ein Klimagutachten des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag, das im Juli veröffentlicht wurde. Das Schriftstück umfasst 140 Seiten, die Verkündung dauerte fast zwei Stunden. Die meisten Bürger werden sich kaum durch einen so langen juristischen Fachtext quälen wollen.
Jahn: Ich schon.
SPIEGEL: Wunderbar, was steht in dem Gutachten?
Jahn: Das wohl Wichtigste: Nach internationalem Recht sind alle Staaten verpflichtet, jeweils Beiträge zum Klimaschutz zu leisten, die in ihrer Gesamtheit geeignet sind, das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten.
SPIEGEL: Steht das nicht schon im Pariser Klimaschutzabkommen?
Jahn: Einige Staaten vertraten die Auffassung, das Pariser Temperaturziel sei lediglich eine politische Absichtserklärung. Der Internationale Gerichtshof hat nun klargestellt, dass Staaten sehr wohl verpflichtet sind, wirksam zum globalen Klimaschutz beizutragen.
SPIEGEL: Und wer sich nicht daran hält?
Jahn: Kann verklagt werden.
SPIEGEL: Auch Deutschland?
Jahn: In der Tat. Die Bundesrepublik hat sich der Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofs unterworfen und stößt pro Kopf sehr viel klimaschädliches Gas aus, wie viele andere Industriestaaten auch. Daraus erwächst eine besondere Verantwortung. Ich gehe davon aus, dass besonders vom Klimawandel betroffene Staaten in Zukunft Klagen auf Schadenersatz einreichen werden.
SPIEGEL: Länder wie Vanuatu? Dessen Staatsgebiet besteht aus Inseln im Pazifik. Durch den steigenden Meeresspiegel drohen sie unterzugehen.
Jahn: Zum Beispiel.
SPIEGEL: Wenn es zu Klagen auf Schadensersatz kommt, um welche Summen geht es?
Jahn: Das wage ich nicht zu beziffern. Zunächst kommt es darauf an, welcher Schaden genau geltend gemacht wird, und dann geht es um den Nachweis, dass das beklagte Land auch tatsächlich ursächlich dazu beigetragen hat.
SPIEGEL: Wie soll das gehen?
Jahn: Fürs Erste geht es um die Frage, ob Emissionen dem Klima schaden. Das ist inzwischen in der Wissenschaft unstrittig. Dann geht es darum, ob ein gewisses Naturphänomen auf den Klimawandel zurückzuführen ist. Also darum, ob etwa ein Waldbrand aufgrund steigender globaler Temperaturen ausgebrochen ist oder ob es auch so gebrannt hätte.
SPIEGEL: Wie will man so etwas nachweisen?
Jahn: Mittlerweile ist das möglich. Bleiben wir beim Waldbrand: Sogenannte Attributionsstudien können berechnen, wie häufig ein solches Feuer in einem stabilen Klima im Vergleich zu einem Klima mit steigenden Temperaturen zu erwarten wäre. Dadurch kann festgestellt werden, ob ein bestimmter Waldbrand durch die globale Erwärmung wahrscheinlicher wird. Dabei muss nicht zu 100 Prozent nachgewiesen werden, dass der Klimawandel die Ursache ist.
SPIEGEL: Sondern?
Jahn: Vor Gericht genügt häufig eine hinreichende Wahrscheinlichkeit. Was genau dabei als »hinreichend« gilt, müssen die Richterinnen und Richter im Einzelfall abwägen.
SPIEGEL: Aber auch mit Attributionsstudien lässt sich doch nicht beweisen, dass Emissionen in Deutschland für Klimaschäden am anderen Ende der Welt verantwortlich sind.
Jahn: Sie meinen, weil man nicht jedes einzelne klimaschädliche Molekül aus Deutschland nachverfolgen kann?
SPIEGEL: Genau.
Jahn: Tatsächlich ist noch nicht abschließend juristisch geklärt, wie solch ein Nachweis aussehen könnte. Eine Möglichkeit könnte sein, den Anteil eines Landes an den globalen Emissionen als Maßstab heranzuziehen. Nach dem Internationalen Gerichtshof dürfen allerdings nur Emissionen berücksichtigt werden, die auf eine Verletzung der internationalen Klimaschutzpflichten zurückgehen.
SPIEGEL: Der peruanische Bauer, den Sie erwähnten, ist im Mai allerdings mit so einer Klage vor einem deutschen Gericht gescheitert. Er hatte RWE verklagt, weil ein Gletscher sein Haus zu überschwemmen droht. Er forderte von dem Energiekonzern, sich an den Kosten für einen Staudamm zu beteiligen.
Jahn: Das Gericht hat die Klage nur abgewiesen, weil nicht bewiesen werden konnte, dass das Haus des Mannes durch den Gletscher konkret gefährdet ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass es überflutet wird, schätzte ein Gutachten auf unter ein Prozent. Stünde das Haus weiter unten im Tal, wäre das Urteil vermutlich anders ausgefallen. Denn das Gericht hat grundsätzlich anerkannt, dass Konzerne für Klimaanpassungen anderswo unter Umständen aufkommen müssen.
SPIEGEL: Das heißt, deutsche Unternehmen müssten am anderen Ende der Welt Staudämme bezahlen?
Jahn: Zumindest hat es dieses Gericht so gesehen. Die Frage ist aber juristisch noch nicht endgültig geklärt, weil sie nicht bis zur letzten Instanz durchgefochten ist. Das Verfahren gegen RWE ist beendet, aber ich denke, es wird eine vergleichbare Klage kommen, die dann wahrscheinlich höchstrichterlich entschieden wird.
SPIEGEL: Angenommen, die Unternehmen müssten wirklich zahlen. Würde das nicht unweigerlich den Ruin für alle Konzerne in Industrieländern bedeuten, die Emissionen ausstoßen?
Jahn: Nicht unbedingt, die Konzerne müssten nur den Anteil der Kosten übernehmen, der ihrem Beitrag an den globalen Emissionen entspricht. Je nach Schadensumfang kann das natürlich in beträchtliche Höhen gehen. Wenn es aber, wie im Fall von RWE, nur um Anpassungsmaßnahmen geht, kann es sich auch um vergleichsweise geringe Summen handeln. In der RWE-Klage ging es nur um einige 1000 Euro. Um konkrete Summen allein dürfte es vielen Klägern ohnehin nicht gehen.
SPIEGEL: Worum denn sonst?
Jahn: Sie erhoffen sich eine Signalwirkung. So wollen sie erreichen, dass Unternehmen mehr in den Klimaschutz investieren und sich stärker bemühen, Emissionen zu senken.

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