Spiegel hier Eine Kolumne von Ullrich Fichtner 07.12.2025
Millionen Batterien aus E-Autos: Mit Vollgas in die KreislaufwirtschaftGebrauchte Akkus aus der E-Mobilität sind kein Müll, sondern Rohstoffbank. Bald werden seltene Erden und Metalle aus der »Schwarzmasse« ewig zirkulieren. Wer da noch auf Verbrenner setzt, verliert.
Es ist ein Jammer, dass sich der Marsch in die Zukunft nicht beliebig beschleunigen lässt, wo es doch bei allen klimarelevanten Technologien wirklich wünschenswert wäre. Für den Moment werden zum Beispiel immer noch viermal so viele Autos mit Verbrennungsmotoren neu gebaut wie solche mit Elektroantrieb.
Nach Schätzungen wurden zuletzt um die 65 Millionen Benzin- und Dieselstinker im Jahresverlauf weltweit gefertigt, gegen gut 17 Millionen elektrische Autos. Letzteren gehört natürlich die Zukunft, aber die real existierenden (deutschen) Automobilkonzerne möchten die Gegenwart gern noch ein wenig strecken. Sie kennen sich in ihr einfach viel besser aus als in der Zukunft.
Ihr Verhalten folgt einem Muster, das auch kurz vor dem globalen Finanzcrash von 2008 bei den Banken zu beobachten war: Es wird getanzt, solange die Musik spielt, obwohl längst allen klar ist, dass bald brutal der Stecker gezogen wird. Es hat etwas von Wirklichkeitsverweigerung. Auch heutige Hersteller (und Politiker), die weiter auf die Verbrenner setzen, tanzen durch eine untergehende fossile Welt und scheinen gar nicht zu bemerken, wie sie dabei selbst zu Fossilien werden.
Ullrich Fichtner, Jahrgang 1965, bereist als Reporter des SPIEGEL seit 2001 die Welt. Er hat aus vielen Kriegs- und Krisengebieten berichtet, mit wechselnden Dienstsitzen in Hamburg, New York und Paris. Seine Arbeiten wurden vielfach ausgezeichnet. Dass viele Menschen heute, zumal im reichen Europa, den Glauben an die Zukunft verlieren, findet er unbegreiflich. Heutige Kinder seien, im Gegenteil, »geboren für die großen Chancen«, meint er, und so lautet auch der Titel seines aktuellen Buches.
Der Elektromobilmarkt wächst jedenfalls, und er wächst schnell. Im Jahr 2014 wurden weltweit erst 300.000 E-Autos produziert. 2020 waren es 2,9 Millionen, 2021 schon 6,5 Millionen, 2022 liefen erstmals mehr als 10 Millionen Elektrische in einem Jahr vom Band. Im vergangenen Jahr 17,3 Millionen.
Fette Wertstoffspeicher von Tesla, BYD & Co.
Das heißt nun alles Mögliche für Märkte und Menschen, aber auf jeden Fall beendet es langfristig die Welt der Verbrenner und bringt neue Industrien hervor. Es braucht nun keine besseren Vergaser mehr, sondern fortlaufend Innovationen und Investitionen in optimierte und möglichst nachhaltige Verfahren der Stromproduktion, in Antriebs- und Speichertechnologien, in die Materialwissenschaften. Und im Zuge dessen wird auch Re- und Upcycling ein ganz großes Ding.
All die E-Autos, die es schon gibt und die noch kommen, ob von BYD, Tesla, VW, Geely, BMW, Renault oder Toyota, sie haben alle eine fette und mit Wertstoffen vollgepackte Lithium-Ionen-Batterie an Bord. Und während ich diese Zeilen schreibe, geht ein Wettrennen los, wie man sie am besten recycelt, wiederverwendet, in Kreisläufe bringt. Wie aus gebraucht wieder neu wird – oder ob am Ende womöglich alles ganz anders kommt.
Es ist eine der Innovationsnischen, von denen man als Alltagsmensch keinen Schimmer hat. Das liegt daran, dass sie gerade erst aufgeht, und außerdem werden technische Details verhandelt, für deren Verständnis ein physikalisch-chemisches Grundstudium nicht von Nachteil wäre. Die ökonomische Seite kann aber jedes Kind verstehen: Hier entsteht ein Zukunftsmarkt mit gewaltigem Potenzial. Und eine Arena für geopolitische Konkurrenzkämpfe, die noch nicht entschieden sind.
Auf dem Batterie-Weltmarkt geht die Post ab
Ich habe ein paar der zugehörigen Fragen mit ChatGPT zu klären versucht, aber von der KI eigentlich nur Quatsch mit Soße zurückbekommen. Also habe ich Natalia Soldan von der RWTH , der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen kontaktiert, die nicht nur Sprüche zusammen häkelt, sondern sich wirklich auskennt.
Sie forscht in Aachen seit fünf Jahren über Batterien und beobachtet mit ihrem Institut für »Fertigungstechnik von E-Mobilitätskomponenten« den Markt. Sie fährt auch selbst in Fabriken, um vor Ort nachzuschauen, was da läuft – und was nicht.
Soldan gehört federführend zu dem Team, das auf battery-news.de Schaubilder und hochinteressante Atlanten über die Entwicklungen auf dem Batterie-Weltmarkt füllt. Dort ist zu lernen, wie in diesem Sektor gerade die Post abgeht. Weltweit entstehen und arbeiten jetzt reihenweise neue Unternehmen, die aus der kommenden Flut an Altbatterien Dienstleistungen und Geschäftsmodelle schöpfen wollen.
Die Jagd auf »Schwarzmasse« hat begonnen
Es rangeln alte Firmen, neue Start-ups und Ableger ausländischer Anbieter um Sieg und Platz. In Deutschland heißen sie etwa Accurec in Krefeld, Kyburz in Chemnitz, Li-Cycle in Magdeburg, Aurubis in Hamburg, Nickelhütte in Aue, Primobius in Kuppenheim und Hilchenbach, Pure in Hagen, H.C. Starck in Goslar, BASF in Schwarzheide, tozero in München, und es gibt viele Unternehmen mehr. Und sie alle wollen oder können heute schon Batteriepacks aus Autos demontieren, schreddern, sieben und sortieren, in kleinere Module zerlegen, um zu den eigentlichen Zellen vorzustoßen, wo dann die »Schwarzmasse« sitzt. Heißt wirklich so. Und um sie vor allem geht es.
»Schwarzmasse ist eine Mischung der Aktivmaterialien«, sagt Natalia Soldan, »das sind die wertvollen Materialien, Nickel, Kobalt, Lithium, Mangan.« Ihre Trennung gestalte sich schwierig, weil sie immer auch verunreinigt seien. »Wir haben immer ein bisschen Kunststoff dabei, ein bisschen Stahl, ein bisschen Aluminium. Die Aufgabe ist, das auch noch wegzutrennen«, sagt Soldan. Aber da verhakt es sich gern.
Man muss das Reich der manuellen, mechanischen Trennung verlassen und hineingehen in die Wunderwelt der Hydrometallurgie . Dort werden Metallmischungen wie die Schwarzmasse mithilfe wässriger Lösungen und im Zuge von Prozessen getrennt, die Laugung und Fällung heißen, es gibt außerdem elektrochemische Verfahren. Am Ende stehen bestenfalls reine Metallsalze, Kobalt-, Nickelsulfat und andere, die wiederum zum Ausgangsstoff neuer Batteriekomponenten werden. Die Rede ist von Tausenden, von Zehntausenden Tonnen wiedergewonnener, neuwertiger Rohstoffe.
Ein wirklich einiges Europa könnte mithalten
Chinesische Firmen liegen vorn. Ihr Vorteil gegenüber Europa , aber auch den USA ist ihre schiere Größe. Natalia Soldan hat ermittelt, dass sich die aufwendige Trennung der Schwarzmasse ab einer Menge von 20.000 bis 60.000 Tonnen Ausgangsmaterial wirtschaftlich wirklich lohnt. In China gibt es Anlagen dieser Größe, Europa und Amerika tun sich da noch schwer. Aber es ist nichts entschieden.
Zählt man die Recycling-Kapazitäten aller europäischen Wettbewerber zusammen, kommt man auf Zahlen, die denen in den USA ungefähr gleichen. Anders gesagt: Hätte die EU einen wirklich integrierten, gemeinsamen Markt, einen europäischen Plan, könnte sie auf Dauer durchaus konkurrenzfähig mit China und Amerika sein. Bleibt es aber beim nationalen Klein-klein und setzen sich Populisten bei Wahlen mit ihren nationalistischen Schnapsideen durch, werden die Standorte, einer nach dem anderen, vom Weltmarkt untergepflügt werden.
Die EU will das Richtige. Eine neue Batterie-Richtlinie ist seit August in Kraft.
Sie schreibt den Automobilherstellern Recycling-Quoten und ähnliches vor. Derlei wird von Lobbyisten gern als Hindernis bemeckert, aber tatsächlich bekommt dadurch ein neuer Markt erste Kriterien und Gesicht. Und es entsteht ein politisch gewollter Druck zur Innovation.
Welcher Batterietyp wird sich durchsetzen?
Viele Wettrennen laufen gerade gleichzeitig. Der Umgang mit den Altbatterien, die der frühe E-Automarkt nun in großen Mengen nach und nach aussortiert, ist nur eines der offenen Probleme. Gleichzeitig läuft eine Innovationsspirale. Es ist ungewiss, welcher Batterietyp sich langfristig durchsetzt. Oder welche der ständig neuen Erfindungen skalierbar, also in industriellem Maßstab anwendbar wird.
Kommt vielleicht bald die Feststoffbatterie, die ganz ohne Elektrolyte arbeitet? Lassen sich seltene Erden und teure Metalle anderweitig ersetzen? Und fassen die Unternehmer jetzt endlich den nötigen Mut, um die Kreislauflogik nicht immer erst hinterher, sondern von Anfang an anzuwenden? Volkswagen, sagt Natalia Soldan, sei da auf gutem Weg. VW entwickele erfolgreich seinen MEB, das heißt ausgeschrieben »Modularer E-Antriebs-Baukasten«, bei dem das Zerlegen und Zusammensetzen von vorneherein mitgedacht ist.
Die Lage ist jetzt diese: Wir werden auch in Sachen Mobilität Zeitzeugen eines epochalen Umbruchs.
Das Automobil, unser rußiger alter König, seit 150 Jahren von kleinen Explosionen angetrieben, wird elektrisch. Das lässt den Fortschritt galoppieren. Wer das zugehörige Problem der millionenfach anfallenden Altbatterien versteht und die Frage der endlosen Weiterverwendung löst, wird ökonomisch zu den Gewinnern gehören. Wer stattdessen weiter Zeit damit verschwendet, Verbrenner zu optimieren, wird nicht mehr lange tanzen. Die Musik dazu endet, und zwar ziemlich genau: jetzt.

Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen